Mittelbayerische Zeitung: Gerechtigkeit geht anders/Die SPD kämpft um die "Respekt-Rente", als hinge ihr Überleben davon ab./Leitartikel von Claudia Bockholt
Regensburg (ots)
rente doch noch die Zielgerade? Hoffnungsvoll sind jedenfalls die Teilnehmer der Koalitions-Arbeitsgruppe, die wieder einmal stundenlang auf diesem Knochen herumgekaut haben. Doch selbst wenn das im Koalitionsvertrag vereinbarte Projekt auf den Weg gebracht wird: Aus dem dringend nötigen Imagegewinn für die SPD als Gerechtigkeitspartei für den hart arbeitenden einfachen Mann, respektive die Frau, wird wohl nichts werden. Denn gerade die Zielgruppe, die die Sozialdemokraten mit ihrer "Respekt-Rente" bedienen wollen, wird sich verschaukelt vorkommen, wenn die eigentlich im Koalitionsvertrag vereinbarte Bedürftigkeitsprüfung entfällt. Dann würde eine Beamtengattin, die einen komfortablen Lebensabend mit Eigenheim und Pensionsansprüchen des Gatten genießt, trotz Teilzeitarbeit am Ende die gleichen Anrechte haben wie eine geringqualifizierte Alleinerziehende, die ein Arbeitsleben lang Vollzeit gearbeitet, aber wenig verdient und nichts auf der hohen Kante hat. Gerechtigkeit sieht anders aus. Selbst die Bertelsmann-Stiftung, die nicht im Ruch steht, den Schwächsten der Gesellschaft die Butter vom Brot nehmen zu wollen, hält die Grundrente für einen Irrweg. Eine von ihr beauftragte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung prognostiziert, dass die Altersarmut nicht nennenswert verringert würde. Vom Gießkannenprinzip ist in der Studie nicht die Rede, allerdings sei das Modell "noch nicht ausreichend zielgenau" - was ungefähr das Gleiche ist. Der grundsätzliche Gedanke der "Respekt-Rente" ist gut und richtig. Wer ein Leben lang gearbeitet und seinen Teil für das Sozialversichungssystem geleistet hat, soll mehr bekommen als jemand, der nie oder nur wenig Beiträge entrichtet hat. Alles andere verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der arbeitenden Bevölkerung. Das Gefühl, dass es im eigenen Land gerecht zugeht, ist ein hoher Wert. Die "Respekt-Rente" sollte in diesem Sinne denen zugesprochen werden, die sie verdient und nötig haben. Der Verweis darauf, dass der Verwaltungsaufwand für eine Bedürftigkeitsprüfung hoch wäre, ist kein schlagendes Gegenargument: Der ideelle Wert muss in diesem Fall höher gewichtet werden als die Wirtschaftlichkeit. Die Ökonomie spielt in der Diskussion um die Grundrente ja auch sonst keine große Rolle. Drei, vier, sieben? Wieviele Milliarden die Grundrente am Ende kosten wird und aus welchen Töpfen sie finanziert wird, ist aktuell noch gar nicht klar. Verschiedene Zahlen und Berechnungen schwirren umher. Schon etwas verlässlicher sind die Prognosen zu den deutlich steigenden Rentenzahlungen, weil sich die Babyboomer aufs Altenteil zurückziehen. Und schwarz auf weiß gibt es auch schon die sinkenden Steuereinnahmen, weil die Exportindustrie schwächelt, was sich über kurz oder lang auch auf Handel und Handwerk und bald auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass die fetten Jahre vorüber sind. Ist das die Zeit, um Wohltaten mit umstrittenem Nutzen unters Volk zu bringen? Schon ist angesichts der Herausforderungen der Zukunft die Rente mit 69 im Gespräch. Die Bundesbank hat sie gefordert, weil das umlagefinanzierte System in Schieflage gerät. Fast 95 Milliarden hat der Bund 2018 an die Rentenversicherung überwiesen, ein Drittel der Gesamtausgaben. Und die Finanzierungslücke wächst jährlich weiter. Wer heute den Großeltern höhere Renten verspricht, bürdet den Enkeln eine gewaltige zusätzliche Last auf. Die Grundrente soll eine Gerechtigkeitslücke schließen - und reißt doch nur an anderer Stelle eine neue auf. Das merken die Wähler.
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