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Schmutzige Geheimnisse
Papst Franziskus wird für mehr Transparenz im Umgang mit Missbrauchsfällen gefeiert. Die Entscheidung lohnt einen zweiten Blick. Von Marianne Sperb

Regensburg (ots)

Papst Franziskus zieht einen Schleier über schmutzigen Geheimnissen weg. Seine Direktive ist das starke Signal an Gläubige, Priester und Opfer, dass Missbrauch in der Kirche nicht auf Pardon hoffen darf. Täter und Mitwisser können sich nicht länger verstecken hinter dem Päpstlichen Geheimnis. Selten sind sich Vertreter von Kirchen, Kirchenskeptikern und Opferverbänden in ihren Reaktionen so nahe gekommen. Als "epochale Entscheidung" feiert Erzbischof Charles Scicluna, ein Berater des Papstes beim Thema Missbrauch, den Schritt. "Durchaus bahnbrechend" nennt sie Magnus Lux von "Wir sind Kirche". Und selbst Matthias Katsch von der Opfervereinigung "Eckiger Tisch" begrüßt die Maßnahme, wenn auch als "überfälligen Schritt". Die Direktive aus Rom lohnt aber einen zweiten Blick. Was im medienwirksamen Beifall untergeht: Bereits seit 2002 regelt eine Leitlinie der Deutschen Bischofskonferenz glasklar, dass die Staatsanwaltschaft Meldung über jeden kirchlichen Missbrauchsfall erhält, der bekannt wird. Das Bistum Regensburg zieht diese Richtlinie nach eigenen Angaben auch strikt durch. Und: Einsicht in kirchliche Personalakten bekommen Staatsanwälte bereits heute, sofern sie mit der gesetzlich erforderlichen richterlichen Anordnung ausgestattet sind. Kein Zweifel: Die Kirche muss an der Seite der Opfer stehen und alles tun, um Leid zu lindern und neues Leid zu verhindern. Das kann man gar nicht dick genug unterstreichen. Kirchen sind aber auch Arbeitgeber und müssen sorgsam umgehen mit Daten. Mitarbeiter haben - das dürfte jeder, der selbst Mitarbeiter ist, auch sehr begrüßen - einen Rechtsanspruch auf die Vertraulichkeit von persönlichen Informationen. Die #MeToo-Debatte zeigte eindrucksvoll, dass sexueller Missbrauch nicht nur in Kirchen vorkommt, wo er allerdings einen ganz besonders schweren Vertrauensbruch darstellt, sondern in vielen Institutionen, die oft erst spät reagierten oder gar selbst Meldung an Ermittler machten. Der Fall eines Priesters im Bistum Regensburg verdeutlicht das Dilemma. Ihm wurde 2018 Missbrauch vorgeworfen. Die Kirche informierte die Staatsanwaltschaft. Die Ermittler prüften die Beschuldigungen und kamen nach sechs Wochen zu dem Ergebnis: Die Aussagen waren unglaubwürdig. Sie stellten die Ermittlungen ein. Der demokratische Rechtsstaat funktionierte, auch ohne Neuregelung des Vatikans. Eine zweite Sache fällt im Applaus für die Lockerung der strikten Verschwiegenheitspflicht bislang unter den Tisch: Der Papst spricht für die Kirche weltweit. Die Regelungen, die er trifft, gelten auch in Ländern, in denen Priester verfolgt werden und wo die Weitergabe ihrer internen Daten an Behörden lebensgefährliche Folgen für sie bedeuten könnte. Im Bistum Regensburg wallen jetzt wieder die Erinnerungen an jahrzehntelangen systematischen Missbrauch bei den Domspatzen auf. Strikte Geheimhaltung und ein Netzwerk der Vertuschung ermöglichten das entsetzliche Leid von Kindern. Nicht das Wohl der Schüler, sondern das Wohl der Kirche zählte. Erst der öffentliche Druck, der Druck von außen machte schließlich die Aufarbeitung möglich. Für die Opfer aus der dunklen Zeit von den 1950er bis in die 1970er, die die Studie zu den Domspatzen von Bernhard Löffler und Bernhard Frings aufgearbeitet hat, kommt die Transparenz-Offensive des Papstes zu spät. Aber sie schenkt seinen Worten vom Gipfeltreffen im Vatikan Glaubwürdigkeit: Es gebe keine Entschuldigung für den Missbrauch von Kindern, sagte Franziskus Anfang 2019, und: "Es ist unsere Pflicht, diesem stillen, erstickten Schrei große Aufmerksamkeit zu schenken." Seine Botschaft ist stark: Kein Pardon mehr.

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