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Surfen auf dem grünen Zeitgeist
Die Klimakrise beschert den Grünen heute ungeahnten Zulauf. Vielen gelten sie als Regierungspartei im Wartestand. Leitartikel von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Den Demonstranten aus den Reihen der vor 40 Jahren gegründeten Grünen empfahl der einstige SPD-Ministerpräsident von Hessen, Holger Börner, Prügel mit der Dachlatte. Jede Zusammenarbeit mit der Sponti-Partei lehnte er ab. Doch wenige Jahre später war ausgerechnet jener Börner der erste Landeschef, der mit den Grünen eine Regierung bildete. Ein gewisser Joschka Fischer, davor bekannt aus der Frankfurter Straßenkampfszene, wurde Umwelt- und Energieminister. Die Turnschuhe, die der spätere Bundesaußenminister trug, stehen heute im Haus der Deutschen Geschichte in Bonn. Am Wochenende feierten die Ökopartei, die 1993 mit ostdeutschen Bürgerrechtsorganisationen zum Bündnis90/Die Grünen firmierte, ihr 40. Jubiläum. So verschieden wie die Frisuren, das Auftreten und die Programmatik von damals und heute auch waren, geblieben ist der rebellische Geist. Die Grünen waren jahrzehntelang der Sauerteig in der deutschen Gesellschaft. Sie wurden und werden gehasst oder geliebt, verspottet oder verehrt. Doch anders als vor vier Jahrzehnten, als viele die Bewegung für einen vorübergehenden Bürgerschreck hielten, sind die Grünen heute zu einem ernstzunehmenden politischen Faktor im Land geworden. Sie haben Deutschland verändert - und sind selbst umgekrempelt worden. Das hat mit den zahlreichen politischen Häutungen zu tun, die die Grünen, zum Teil sehr schmerzhaft, durchgemacht haben. Statt des Rotationsprinzips der ersten Jahre, das Grünen-Abgeordnete nach zwei Jahren zum Ausscheiden aus dem Parlament zwang, folgten sie bald den Regeln des Establishments, das sie doch so sehr bekämpften. Und spätestens mit dem ersten rot-grünen Regierungsbündnis auf Bundesebene 1998 war die Ökopartei in der harten Realität angekommen. An der deutschen Beteiligung am Krieg auf dem Balkan wäre die Partei beinahe zerbrochen. Fischer büßte auf dem legendären Parteitag 1999 in Bielefeld ein Trommelfell ein. Ein Radikal-Pazifist schleuderte ihm einen Farbbeutel an den Kopf. Nach der Attacke votierte der Grünen-Kongress für die Beteiligung am Nato-Einsatz. Grüne in Regierungsverantwortung unterscheiden sich bisweilen sehr von der Ökopartei auf Oppositionsbänken. Das gilt bis heute. Dass die Grünen seit geraumer Zeit auf einem Umfragehoch surfen und selbst die Union von Platz eins verdrängen könnten, hat vor allem mit der Brisanz des Klimathemas zu tun. Keine Partei in Deutschland hat so penetrant den Klimaschutz nach vorn gestellt, hat für Windkraft und die Abschaltung von Kohlenkraftwerken gekämpft. Der Widerstand gegen die Atomkraft gehört ohnehin zu den Gründungsmotiven der Partei. Freilich kommen nach dem flotten Fordern einer Energiewende auch die Nebenwirkungen und Risiken zum Vorschein. Während Teile der einstigen Bewegung forsch den ökologischen Umbau von Energieerzeugung, Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft fordern, gehen andere - vor allem direkt Betroffene - gegen neue Stromtrassen und Windräder, gegen die Abschaffung des Verbrennungsmotors auf die Barrikaden. Die knifflige Aufgabe für die Grünen - und die anderen Parteien in Verantwortung - besteht darin, zwischen beiden Polen zu vermitteln, Lösungen mit den Bürgern zu suchen und nicht gegen sie. Es ist das Verdienst der Grünen, dass Ökologie und Nachhaltigkeit heute zum Maßstab in der Politik geworden sind. Und um ein Haar wäre es in Bayern ja fast zu einem schwarz-grünen Regierungsbündnis gekommen. Die Union war allerdings beim Geburtstagsfest der Grünen in Berlin kaum vertreten. Umworben werden Habeck, Baerbock und Co. von den Schwarzen dagegen schon.

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