Das Risiko, einsam zu sterben
as Besuchsverbot sollte die hochgefährdeten Senioren schützen. Doch die Isolation schadet ihnen auch. Es ist richtig und überfällig, die Regeln maßvoll zu lockern.
Regensburg (ots)
Ehepartner, die sich nicht Lebewohl sagen können. Töchter und Söhne von Demenzkranken, die plötzlich nicht mehr kommen, aber keine Chance haben, dass ihre Angehörigen jemals den Grund dafür verstehen. Krebspatienten, die noch "zu gesund" sind, als dass die Familie sie besuchen dürfte: Das Mitte März verhängte Besuchsverbot in Alten- und Pflegeheimen sollte Risikogruppen vor Corona schützen. Was auch fast überall gelang. Nur - Senioren sind nicht nur in Sachen Virus hochgefährdet, sie sind auch eine Risikogruppe für Einsamkeit. Besonders hart trifft es jene, die ohnehin schon vom Schicksal gebeutelt sind. Bayerns Staatsregierung erlaubte von Anfang an Ausnahmen bei kranken Kindern in Kliniken oder im Sterben liegenden Familienmitgliedern. Doch es gab großen Auslegungsspielraum. Das brachte die Heime in ein Dilemma. Viele Einrichtungen legten die Regeln daher lieber streng aus und führten harsche Besuchsverbote ein. Der Preis war, Demenzkranken ihre Bezugspersonen zu nehmen - was Betroffene bekanntermaßen verwirrt und ängstigt - und Sterbenden einen einsamen letzten Lebensabschnitt zu bescheren. Die Heimleitungen hatten und haben allen Grund, vorsichtig zu sein. Das zeigt das Beispiel der Pflegestätten, in die das Virus trotz aller Vorsicht einen Weg gefunden hat. Dass Pflegeheime nicht einmal bei unheilbar Kranken, die in Einzelzimmern liegen, Besuche erlaubten, klingt unmenschlich und die Situation für Betroffene und Angehörige ist es auch. Aber es fehlt an allen Ecken und Enden Schutzkleidung - wo soll die für Angehörige herkommen? Zudem rächt sich einmal mehr, dass sich die Politik all die Jahre taub gestellt hat, wenn es um Unterbezahlung und Überlastung von Pflegekräften ging. Gäbe es mehr Personal, wären Besuche in Härtefällen einzurichten. So aber mussten und müssen die Heime weiterhin das Ansteckungsrisiko sowohl für Bewohner als auch für Pflegekräfte, die seit der Coronakrise ohnehin Zwölf-Stunden-Schichten schieben, um jeden Preis so gering wie möglich halten. Besuche einer festen Kontaktperson unter strengen Auflagen zu erlauben, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Viel zu lange galt die Kontaktsperre als alternativlos. Viel zu lange kamen die Menschen, die wir am meisten schützen müssen und wollen, fast gar nicht in der öffentlichen Debatte vor. Schon deshalb ist es wichtig und überfällig, über mögliche andere Lösungen zu reden. Im Idealfall finden die Verantwortlichen einen Weg, Nähe zuzulassen, ohne das Ansteckungsrisiko massiv zu vergrößern. Immerhin gibt das Verbot vielen Bewohnern und ihren Angehörigen ja auch Sicherheit. Als wäre dieser Spagat nicht schon schwierig genug, bleiben auch nach der Lockerung die alten Probleme. Pflegepersonal- und Schutzkleidungsmangel lösen sich nicht in Luft auf, die Verantwortung tragen letztlich die Einrichtungen selbst. Wie viele Pflegeheime werden einen "angemessenen Schutz" garantieren können? Davon hängt ab, ob sie von den gelockerten Bestimmungen auch Gebrauch machen. Angehörige müssen sich selbst natürlich auch immer die Gewissensfrage stellen. Ist mein Besuch nötig? Kann ich ihn verantworten? Gleichzeitig zeigen Untersuchungen, dass Isolation für alte Menschen schwere gesundheitliche Folgen haben kann. Die Studien belegen, dass die Quarantänemaßnahmen bei früheren Coronavirus-Ausbrüchen wie SARS oder MERS mit erhöhten Raten an Depression, Angst, posttraumatischen Belastungsstörungen und einer Zunahme von Stresssymptomen verknüpft waren. Das gilt nicht nur für Menschen in Pflege, sondern für alle Seniorinnen und Senioren, die gerade in ihren vier Wänden ausharren. Die Wirtschaft ist im Fokus, der Fußball ist im Fokus. Spätestens jetzt braucht es endlich einen Rettungsplan für Familien - und zwar nicht nur für die mit kleinen Kindern, sondern auch für die mit Oma und Opa.
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