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Grüner Wille zur Macht
Nicht nur in den Umfragen bewegen sich die Grünen, auch in den Inhalten. Die Stoßrichtung ist klar: an die Regierung. Leitartikel von Jana Wolf

Regensburg (ots)

Die Grünen sind beweglich. Man kann es an den Umfragewerten ablesen: Seit dem 15-Prozent-Zwischentief im April robbt die Partei kontinuierlich aufwärts. Anfang Juli steht sie laut Infratest dimap schon wieder bei 20 Prozent. Noch haben die Grünen ihr Vor-Corona-Niveau nicht erreicht. Doch die Ökopartei taucht schneller aus der krisenbedingten Versenkung auf als alle anderen Oppositionsparteien. Auch der Vorsprung zur SPD wird wieder größer, die Grünen sind stabil auf Platz zwei hinter der Union. In dynamischen Pandemiezeiten ist jede Prognose freilich schwierig. Aber eines deutet sich an: Die kommende Regierung, die im nächsten Jahr übernehmen wird, ob im Zweier- oder Dreierbündnis, wird ohne die Grünen nur schwer auskommen. Sie selbst jedenfalls machen längst keinen Hehl mehr aus ihrem Führungsanspruch. Bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, hört man Annalena Baerbock, Robert Habeck und Co. rufen: Ja, wir wollen! Der Aufwärtstrend macht die Grünen mutig, manch einer würde wohl sagen: übermütig. Denn nicht nur in ihren Zustimmungswerten ist Bewegung, sondern auch in ihren Inhalten. Ökologie reicht der Harmonie-Truppe längst nicht mehr aus, sie wollen mehr sein als eine Ein-Themen-Partei. Das neue grüne Grundsatzprogramm, das ein Parteitag im November beschließen soll, soll ein "Programm für die Breite der Gesellschaft" sein, sagt Baerbock, - "und zwar in allen Bereichen". So freundlich die beiden Strahle-Chefs auch daherkommen, mit ihrem Willen zur Macht ist es ihnen ernst. Interessant an der Neujustierung ist, wie die Grünen das Thema Sicherheit neu ausdeuten. Es geht ihnen nicht primär um innere Sicherheit und einen wehrhaften Staat, sondern um den Schutz der Gemeinschaft vor dem Auseinanderdriften. Die Partei will für eine "Gemeinsamkeit in der Gesellschaft" (Habeck) arbeiten, gegen Armut und Diskriminierung vorgehen, Gesundheit und Pflege als "zentrale Pfeiler der Daseinsvorsorge" stärken, sich gegen eine "Kommerzialisierung" des Gesundheitssystems stemmen. Die Versöhnung von Sicherheit und Sozialem - das kann man getrost als Doppelattacke gegen Union und SPD verstehen. Ökologie und Klimaschutz lassen sich die Grünen natürlich nicht nehmen, diese Themen stehen weiterhin im Zentrum ihrer Programmatik. Auch dabei geben ihnen Umfragen recht: Im jüngsten Deutschlandtrend gibt die Hälfte der Befragten an, Deutschland solle den Klimaschutz als Toppriorität für die EU-Ratspräsidentschaft setzen, noch vor der Corona-Bewältigung. All diese Bewegungen lassen die Konkurrenz nicht kalt, das treibt bisweilen seltsame Blüten. Friedrich Merz etwa, einer der drei Aspiranten für den CDU-Vorsitz, ließ sich im "Spiegel" im grünen Anzug mit grüner Krawatte ablichten. Bislang galt eher Armin Laschet als Freund eines schwarz-grünen Bündnisses. Merz' Signal ist klar: Wenn es der eigenen Macht dient, lässt sich auch der schwärzeste Kandidat auf diesen Deal ein. Auch die SPD bemüht sich redlich, ihr Öko-Bewusstsein herauszukehren, etwa mit der Absage an eine Autoprämie im Konjunkturpaket. Sie hat sich damit aber ein anderes Problem eingehandelt und die Gewerkschaften, eine wichtige Stammklientel, gegen sich aufgebracht. Die SPD hat damit zu kämpfen, in sozialen Fragen nicht weiter an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Dass das eher schlecht als recht gelingt, ließ sich in den vergangenen Monaten, ja sogar Jahren mitverfolgen. Aus der sozialdemokratischen Schwäche wollen nun die Grünen Profit schlagen. Noch ist der Beweis nicht erbracht, ob ihnen das in Regierungsverantwortung gelingen kann, noch sind sie in der Opposition. Zu hoffen ist, dass das grüne Streben nach Macht Bewegung in das ganze Parteienspektrum bringt. Je mehr starke Konkurrenz, desto mehr Druck zu klaren Positionierungen. Dieser Wahlkampf könnte spannend werden.

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