Der Luxus auf Rädern Leistung lohnt sich, sagen die Autohersteller. Die Motoren sind so kräftig wie noch nie. Klima hin, Artensterben her - wir gönnen uns einfach den Komfort. Von Bernhard Fleischmann
Regensburg (ots)
Es geht aufwärts. Seit 30 Jahren ungebremst, mit nur einer Unterbrechung. Selbst das neue Corona-Virus kann dem Drang nach oben nichts anhaben. Wir sind resistent. Im Ernst. Denn wir kaufen mehr und mehr - Leistung im Automobil. Im ersten Halbjahr 2020 hat sich der Deutsche im Durchschnitt 166 Pferde unter der Haube gegönnt. Ein Rekord. So wie all die Jahre zuvor auch schon. Zur Erinnerung: 1990 genügten im Schnitt noch 92 PS. Da kann das Klima sich noch so sehr erwärmen, wir wollen Power. Außerdem: Wenn es heißer wird, dann brauchen wir potentere Klimaanlagen, um uns gegen Achsel- und Rückenschweiß zu wehren. Die Klimaanlage zieht enorm viel Kraft, die an den Rädern fehlt. Also her mit noch mehr Leistung. Es ist schon merkwürdig. Je mehr wir über Klima-Erwärmung, Artensterben, Feinstaub reden, umso breiter machen wir uns auf der Straße. Je mehr wir das tun, umso häufiger und anhaltender werden die Staus. Dort ist es zwar selten schön, aber leichter auszuhalten, wenn wir von der Außenwelt abgeschirmt und in wohligen Komfort gebettet sind. Dabei hilft eine große Karosserie mit üppiger Innenausstattung. Nun könnte man argumentieren, dass viele PS wenig bringen, wenn es sowieso kaum vorwärtsgeht. Doch das ist zu rational gedacht. Wir wollen können. Falls es mal möglich ist. Mit 90 PS fühlt man sich heute auf der Überholspur wie eine Schnecke auf Valium. Außerdem weckt das Spüren von kräftiger Beschleunigung ein Glücksgefühl. Dummerweise dringt dieses Gefühl umso schwerer durch, je besser ein Auto die Insassen von der Umgebung abschottet. Die Hersteller müssen die Leistungsdosis erhöhen, um sie für den Fahrer überhaupt noch spürbar zu machen. Ein Porsche 911 kam 1975 auf 165 PS. Er wäre heute beinahe kläglich motorisiert. Mittlerweile ist er viel fülliger geworden und mit 385 bis 650 PS unterwegs. Als der VW Golf GTI 1976 auf die Straße gelassen wurde, galt er mit seinen 110 als knalliger Feger. 2020 sind das die Leistungswerte eines Basismotors in der Kompaktklasse. Langt zum Mitschwimmen, zieht aber nicht gerade die Wurst vom Brot. Die Gründe für das Power-Plus liegen auf der Hand. Die Autos sind schneller und locker eineinhalb Mal schwerer als vor 30/40 Jahren. Weil wir sicherer und bequemer unterwegs sein wollen. Und weil wir es uns leisten können - ökologisch zwar eher nicht, aber finanziell. Der Aufschrei über steigende oder einfach als hoch empfundene Spritpreise ist zwar stets verlässlich und laut, besonders bei Tempolimit-Gegnern. Klar, bei Highspeed säuft jedes Auto, da darf Benzin und Diesel nicht teuer sein. Aber gekauft werden im Zweifel die potenteren Modelle. Zurzeit bietet der Ölpreis sowieso keinen Anreiz, ein Auto eine Nummer kleiner zu wählen; oder gar auf das motorisierte Individualmobil zu verzichten. Nun haben Motorentechniker und Aerodynamiker viel getan, damit wir trotz üppigerer Modelle pro Kilometer weniger Treibstoff verbrauchen und die Abgase sauberer sind als früher. Im Gegenzug fahren wir mehr. Und es gilt weiter der Grundsatz: Von nichts kommt nichts. Wer ordentlich Power haben will, muss mehr Energie einsetzen. Das gilt auch für Elektroautos. Bei den Batteriemobilen oder Hybriden herrscht ja die gleiche Leistungsverrücktheit. Man könnte stattdessen mehr Augenmerk auf Energieeffizienz und Reichweite legen. Für den Verbraucher wäre das ein weitaus größerer Gewinn. Es verlieren vor allem Klein- und Sportwagen bei den Käufern. Auf der Gewinnerseite stehen klar die SUV. Sie sind die wesentlichen Treiber der Powerwelle. Weil der Antrieb das Mehrgewicht und den höheren Luftwiderstand kompensieren muss. Dass diese Fahrzeuge den größten praktischen Nutzen bieten, ist häufig fragwürdig. Es geht um Komfort, vielfach um Image und Vorlieben. Man gönnt sich halt den Luxus.
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