"Die Mannschaft" steht im Abseits: Der Profifußball ringt um Aufmerksamkeit und Zuneigung. Vor allem die deutsche Nationalelf leidet unter dem Liebesentzug. Leitartikel von Heinz Gläser
Regensburg (ots)
Das Dschungelcamp blieb den jungen Herren gottlob noch erspart. Aber immerhin präsentierten sich Nationalspieler wie Joshua Kimmich und Leon Goretzka schon mal im RTL-Klassiker "Wer wird Millionär?" bei TV-Rateonkel Günther Jauch dem Volk als nah- und fehlbar. Der Profifußball hierzulande ringt in diesen Tagen sichtlich um Aufmerksamkeit und Zuneigung. Beides flog ihm früher ohne großes Zutun zu. Das beginnt sich zu ändern. Ursächlich dafür ist natürlich die Pandemie, die Geisterspiele erzwingt, Ausfälle diktiert und die Kassen leert. Nicht nur die Klubs ächzen unter der Krise, auch das Flaggschiff des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ist in schweres Fahrwasser geraten. Das hat der Länderspiel-Dreierpack jüngst wieder erwiesen. Doch für die rapide schwindende Begeisterung des Publikums ist im Fall der Nationalmannschaft und ihrer einstmals vergötterten Helden in kurzen Hosen ausnahmsweise mal nicht Corona verantwortlich. Sinkende Einschaltquoten, schleppende Ticketverkäufe und schwache Merchandising-Erlöse kündeten schon lange vor dem Virus vom Liebesentzug der Fans. Die DFB-Elf, das Lieblingskind der Nation, droht ins Abseits zu geraten. Dort ist im Fußball wenig zu gewinnen. Die Gründe für den rasanten Abschwung im sportlichen Bereich zu verorten, führt ein wenig in die Irre. Gewiss spielt der Bundestrainer derzeit - ganz gegen sein Naturell - personell va banque. Dafür steckt Joachim Löw immer mehr verbale Prügel der im Dienste der Medien stehenden Expertengilde ein, die von ehemaligen Nationalspielern wie Lothar Matthäus lautstark angeführt wird. Löw mag eine spannende Auswahl mit großem Entwicklungspotenzial auf die Beine gestellt haben. Sein Mut, überaus verdiente Akteure wie Thomas Müller und Mats Hummels in den vorzeitigen Nationalmannschaftruhestand zu versetzen, verdient durchaus Respekt. Allerdings hatte der Weltmeister-Coach von 2014 mit dem aus Selbstgefälligkeit resultierenden sportlichen Bankrott vier Jahre später beim globalen Championat in Russland zu viel Kredit verspielt, als dass er nun Geduld erbitten dürfte. Löws Wirken wird höchst kritisch beäugt und mehr denn je an positiven Ergebnissen gemessen. Die fehlen momentan. Die Misere wurzelt freilich tiefer. Sie begann mit dem nationalen Rausch, in den das Sommermärchen 2006 das Land versetzte. Im Gefolge der Heim-WM überdehnten die führenden Köpfe der DFB-Elf, allen voran Manager Oliver Bierhoff, die Ansprüche. Die Cashcow Nationalmannschaft gerierte sich im DFB wie ein Staat im Staate, unantastbar und den Sphären des gemeinen Volkssports enthoben. Negativer Höhepunkt des Höhenflugs war das aus Marketinggründen ersonnene Etikett "Die Mannschaft", das einen an Arroganz nicht zu überbietenden Alleinvertretungsanspruch auf dem Sektor der professionell betriebenen Leibesübungen signalisierte. Der selbstbewusste Slogan ist ein Schlag ins Gesicht aller Hungerleider, seien es nun Judoka, Ruderer oder Volleyballer. Indes, nach dem WM-Triumph 2014 in Rio den Janeiro ebbte die nationale Euphorie ab. Die Generation Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger & Co. hatte die Verheißungen des Sommermärchens erfüllt. Was seither folgte, wirkte wie eine sportliche Zugabe. Es folgte allerdings nicht mehr so arg viel. Das Publikum reagierte mit Verdruss und Fernbleiben auf schüttere Darbietungen, bei denen eine B-Elf durch ständige Auswechslungen nur noch wenig mit dem elitären Gehabe zu tun hatte. Der sportliche Wert der Länderspiel-Duelle sank im Gleichschritt mit dem Unterhaltungsfaktor. Künstlich aufgeblähte Wettbewerbe wie die unsägliche Nations League sind in der öffentlichen Wahrnehmung Ladenhüter. Bierhoff ist geschäftstüchtig und smart genug, entschlossen gegenzusteuern. Auftritte wie bei Jauch dienen dazu, verloren gegangene Sympathien zurückzugewinnen. Das wird schwer. Schwerer vielleicht sogar, als wieder Titel und Trophäen zu erobern.
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