Sie waren Helden
Von der Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst muss auch ein Signal ausgehen, dass wir den aufopferungsvollen Einsatz der Beschäftigten honorieren. Von Heinz Gläser
Regensburg (ots)
Ausländer spotten gerne, die Deutschen hätten bis heute den Sinn von Streiks nicht kapiert. Der unausgesprochene Konsens hierzulande lautet, dass Ausstände möglichst geräusch- und folgenlos über die Bühne zu gehen haben. Die mediale Begleitmusik ist entsprechend. Fährt der Bus nicht, bleibt die Kita zu oder der Müll liegen, finden sich zuverlässig enthemmte Mitbürgerinnen und Mitbürger, die vor Mikrofonen lautstark ihren Ärger über diese Zumutungen kundtun. Aktuell kommt hinzu, dass Arbeitsniederlegungen - und seien sie zeitlich arg befristet - das hehre Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhalts in einer epochalen Krise zu konterkarieren scheinen. Streiks im öffentlichen Dienst haftete zudem stets ein Stigma an. Hier probe eine Berufsgruppe den Aufstand, die in den Genuss staatlicher Wohltaten kommt, nach denen Beschäftigte in der freien Wirtschaft vergeblich lechzen. Dennoch lassen selbst ansonsten stramm arbeitgebernahe Publikationen in der laufenden Tarifauseinandersetzung Sympathien für die Forderungen der Gewerkschaften anklingen. Wenn hochrangige Vertreter der kommunalen Arbeitgeber die Warnstreiks wie üblich als "unpassend" und die Forderungen als sowieso völlig überzogen brandmarken, verhallt dies in der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit. Die Signale sind offenbar angekommen. Denn die Zeichen stehen nun plötzlich auf Einigung. Innenminister Hort Seehofer und die Arbeitgeber von Bund und Kommunen präsentieren sich vor der heute beginnenden dritten Runde der Tarifverhandlungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten dezidiert kompromissbereit. Dabei liegen die Vorstellungen noch himmelweit auseinander. Insgesamt 3,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt in drei Jahresstufen offerieren die Arbeitgeber, Verdi &. Co. peilen bei einer einjährigen Laufzeit ein Lohn- und Gehaltsplus von 4,8 Prozent, mindestens aber 150 Euro mehr im Monat an. Ohne die Bedeutung dieser Tarifauseinandersetzung zu überhöhen, taugt sie als Lehrbeispiel für die Doppelzüngigkeit in der Corona-Krise. Zahlreich und wohlfeil waren in der ersten Hochphase der Pandemie die Solidaritätsbekundungen mit all jenen, die den Laden sprichwörtlich am Laufen hielten. Der Applaus war den Beschäftigten in den Krankenhäusern, in den Kindertagesstätten und bei der Müllabfuhr sicher. Geht es ans Eingemachte, sollten sich die Helden von damals doch bitteschön wieder bescheiden. Aber Beifall macht nicht satt. Es reicht nicht, wenn sich die Kommunen gebetsmühlenartig auf leere Kassen berufen, gleichzeitig aber achselzuckend den Mietenwahnsinn in den Städten als leider gottgegeben hinnehmen. Ähnlich wie nach der Weltwirtschaftskrise in den Jahren nach 2008 geht es darum, den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren. Sollte sich abermals der Eindruck verfestigen, dass der Staat den ohnehin mächtigen Akteuren der Finanz- und Wirtschaftswelt ohne Wenn und Aber beispringt, die Kosten aber auf die Allgemeinheit abwälzt, wären die sozialpsychologischen Folgen verheerend. Als ob der Populismus hierzulande noch ein Konjunkturprogramm nötig hätte. Gewiss gibt es Menschen, die es sich in der Zeit des Lockdowns in der behaglichen Amtsstube oder noch besser daheim im Homeoffice bequem gemacht und ihr überschaubares Arbeitspensum weiter reduziert haben. Doch das Gros der im öffentlichen Dienst Beschäftigten rackert und schuftet für ein bescheidenes Auskommen. Bei ihnen nun zu knausern, wäre schlicht schäbig. Es würde all die vollmundigen Appelle an die Solidarität ad absurdum führen. Und wie es aktuell den Anschein hat, sind wir auf die aufopferungsvollen Dienste der Helden von einst in den kommenden Monaten erneut dringend angewiesen.
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