Darf sich impfen lohnen?/Wer geimpft ist, wird Vorteile haben. Daran führt gar kein Weg vorbei. Eine Impfpflicht durch die Hintertür ist das nicht. Leitartikel Von Bernhard Fleischmann
Regensburg (ots)
Party-Time: Mit der Zulassung der ersten Impfstoffe können demnächst Geimpfte endlich tun und lassen, was sie wollen. Oder doch nicht? Was sich die einen wünschen, ist für andere eine Horrorvorstellung. Manche sähen darin eine Impfpflicht durch die Hintertür, andere denken, dass wir nur geschlossen solidarisch die Corona-Krise gut überstehen. Klar ist aber: Geimpft zu sein, wird Vorteile haben. Es wird und darf auch gerne eine Impf-Dividende geben.Weil jetzt Impfungen starten, drängen sich gleich zwei Fragen auf: Wer kommt zuerst dran? Und was darf der Geimpfte dann? Beides hängt zusammen. Denn falls die Gesellschaft Geimpften Vorteile einräumt, dann stellt sich die Frage nach der Gerechtigkeit: Wer nicht zu jenen Gruppen gehört, die anfangs eine Impfung erhalten, muss auf mögliche Impf-Privilegien zunächst verzichten. Dieses Dilemma besteht, muss aber zunächst hingenommen werden.Es werden immer mehr Situationen entstehen, in denen Geimpfte Dinge tun können und womöglich auch dürfen, die Ungeimpften verwehrt bleiben. Warum sollte man im Altersheim einer Gruppe geimpfter Senioren das Treffen am Tisch verweigern? Sie wären eine homogene Gruppe. Die soziale Isolation hätte keinen Sinn mehr und schadet nur noch.Im weiteren Alltag wird es komplizierter: Denn noch steht nicht fest, ob die Impfstoffe neben der Erkrankung auch die Weitergabe des Virus verhindern. Falls Geimpfte nicht mehr ansteckend sind, werden sie fordern, dass Corona-Einschränkungen für sie nicht mehr gelten. Das muss politisch entschieden werden. Einerseits.Andererseits werden sich Lebensbereiche in der Praxis sowieso neu regeln. Wirte und Fluggesellschaften etwa können eigenständig darüber entscheiden, ob sie nur noch Geimpfte ins Lokal oder den Flieger reinlassen. Das ist nachvollziehbar und legitim. Wer lieber auf den Schutz für sich und andere verzichtet, kocht eben weiter selbst, trinkt allein und fliegt nicht nach Spanien.Weniger Entscheidungsfreiheit könnte im Beruf bleiben. Unter der Prämisse, dass eine Impfung Ansteckungen verhindert: Darf man ungeimpfte Alten- oder Krankenpfleger dicht an Heimbewohnern oder Patienten arbeiten lassen? Muss sich ein Patient einem Impfverweigerer am Krankenbett ausliefern? Noch ein Beispiel: Warum sollte ein Geimpfter, der eng mit einem Infizierten in Kontakt war, in Quarantäne gehen? Jede Normalität, die ohne Risiko möglich ist, muss zugelassen werden. Allein daraus ergeben sich Privilegien für Geimpfte.Spätestens dann, wenn alle Bürger geimpft sind, die das wollten, könnten die Corona-Schutzmaßnahmen aufgehoben werden. Im besten Fall ist bis dahin die Quote von wohl 60 bis 70 Prozent für die Herdenimmunität erreicht. Falls nicht, haben wir ein gewaltiges Problem. Denn die Geimpften werden keine Rücksicht mehr nehmen wollen, sondern ihr Leben in vormals gewohnter Normalität führen wollen.Wer nicht geimpft werden will, vermeidet mögliche Nebenwirkungen des Impfstoffs. Und er hat die durchaus große Chance, nie an Corona zu erkranken - umso größer, je mehr Mitbürger sich impfen lassen. Es ist eine Rechnung mit Wahrscheinlichkeiten. Impfgegner wetten darauf, sich nicht anzustecken oder nur schwach zu erkranken - weil sie jung sind, weil sie sich supergesund wähnen, weil sie das Virus leugnen oder für harmlos halten - ihrer Gründe gibt es viele.Grundsätzlich darf jeder sein Risiko bestimmen und in Kauf nehmen, zu erkranken oder in den Tod zu gehen. Doch wenn er dabei andere in Gefahr bringt, muss er sich in dieser Freiheit Einschränkungen gefallen lassen. Dann findet - nicht nur - die Party der Geschützten halt ohne ihn statt.
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