Ein nachvollziehbares Urteil/ Beobachter verweisen nach Ende des Lübcke-Prozesses auf einen Mangel an Aufklärung über rechtsextremistische Strukturen. Das Urteil hat Symbolwirkung für viele Menschen.
Regensburg (ots)
Das Urteil gegen Stephan Ernst, den Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, ist gefallen. Und eines ist es gewiss nicht: überraschend. Der 47-Jährige wurde zu Recht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Denn er hat den CDU-Politiker auf seiner Terrasse heimtückisch erschossen. Und er hat allein durch seine Vorgeschichte gezeigt, warum - aufgrund einer tiefsitzenden rechtsextremistischen Gesinnung, die ihn über das Recht Lübckes auf seine Zukunft ebenso hinweg sehen ließ wie über das Leid der verzweifelten Hinterbliebenen.Die Strafe gegen den Mitangeklagten Markus H. fällt milde aus. Seine Gesinnung ist nicht weniger aktenkundig. Allerdings lagen gegen H., der während des Prozesses oft kalt lächelnd in Erscheinung trat, keine Beweise vor. In seinem Fall verhält es sich anders als im Fall von Beate Zschäpe im NSU-Prozess. Sie hatte bei den Morden ihrer Weggefährten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos wohl nie den Finger am Abzug, war aber in die Planung eingebunden.Juristisch ist das aktuelle Urteil daher nachvollziehbar - auch wenn die Familie Lübcke damit verständlicherweise genauso unglücklich ist wie manche Beobachter, die auf einen Mangel an Aufklärung über einschlägige Strukturen verweisen. Politisch bleibt im Kampf gegen den Rechtsextremismus ohnehin vieles offen.Die Gefahr zeigt sich in diesen Tagen erneut. Im Saarland steht der Tod eines Flüchtlings aus Ghana im Jahr 1991 vor der Aufklärung; verdächtig ist ein Rechtsextremist aus Saarlouis. Der Generalbundesanwalt klagt eine Heilpraktikerin aus dem Nürnberger Land wegen rechtsextremistischer Anschlagspläne an. Im Fall Hanau wird ruchbar, dass der Täter, obwohl er psychisch krank und polizeibekannt war, drei waffenrechtliche Berechtigungen ausgestellt bekam. In Brandenburg schließlich wollte die AfD-Landtagsfraktion Andreas Kalbitz in jenes Gremium wählen, das den Verfassungsschutz des Landes kontrollieren soll - genau jenen Kalbitz, der wegen Rechtsextremismus-Verdachts aus der Partei ausgeschlossen wurde. Wenn der Tod des mutigen Christdemokraten Walter Lübcke etwas Gutes hat, dann besteht dieses Gute darin, dass er zahllose Menschen wachrüttelte. Vor dem Mord schien die Auseinandersetzung mit neonazistischen Kräften eine Sache für Linke und Liberale zu sein, während sich CDU und CSU eher für Islamisten zuständig fühlten. Mit dieser unseligen Arbeitsteilung ist Schluss. Das Schicksal ihres Parteifreundes Walter Lübcke sowie die Anschläge von Halle und Hanau haben bürgerlichen Kreisen die Gefahr des Rechtsextremismus deutlich vor Augen geführt. Er kann auch sie treffen.Im Übrigen sollen die Sicherheitsbehörden zwar mehr Stellen bekommen. Die sind jedoch faktisch vielfach ebenso Zukunftsmusik wie das Analysesystem "Radar", das vom Bundeskriminalamt entwickelt wird und zeigen soll, wer in der rechtsextremistischen Szene zu terroristischen Taten fähig ist. Die Zahl rechtsextremistischer Gefährder, die offiziell mit rund 70 angegeben wird, steht nämlich in einem krassen Missverhältnis zu den offiziell 615 islamistischen Gefährdern. Schließlich gibt es in Deutschland weit mehr Opfer rechtsextremistischer als islamistischer Gewalt. Die Kehrtwende der Sicherheitsbehörden und der für sie politisch Verantwortlichen weist also auf eine neue Entschlossenheit in der Gegenwart ebenso hin wie auf enorme Versäumnisse in der Vergangenheit. Gewiss, vieles geschieht nun. Dazu zählt der zunehmend konsequente Umgang mit der AfD. Doch der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist noch lang. Vielleicht wird man später einmal sagen, dass er mit dem Tod von Walter Lübcke wirklich begonnen hat.
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