Uhrendreh mit Nebenwirkungen
Die 1980 eingeführte Zeitumstellung hat die versprochenen Einsparungen nicht gebracht und sie wird von einer großen Mehrheit der Menschen abgelehnt. VonReinhardZweigler
Regensburg (ots)
Das Unbehagen mit der Umstellung auf Sommerzeit, die in dieser Sonntagnacht vorgenommen wird, fängt damit an, dass viele Menschen überlegen müssen: geht es nun vor oder zurück. Dabei hilft die Eselsbrücke, dass im Frühling die Gartenmöbel vor die Terrasse oder auf den Balkon heraus getragen werden - also die Uhr um eine Stunde von zwei auf drei Uhr vorgestellt wird. Im Herbst gilt dann: Kommando zurück. Die Chronometer müssen, sofern das nicht per Digitalfunk automatisch geschieht, um eine Stunde zurückgestellt werden.Dabei war die Einführung der Zeitumstellung vor 41 Jahren, in Ost und West übrigens, mit viel Vorschusslorbeeren bedacht, geradezu mit Euphorie begrüßt worden. Wenn es abends länger hell ist, dann würden die Kosten für Beleuchtung sinken. Freilich ist die Bilanz in dieser Hinsicht ernüchternd. Die erwartete Ressourceneinsparung hat es nicht gegeben. Unter anderem weil es morgens länger dunkel sowie kälter ist, wird teilweise sogar mehr Strom verbraucht als ohne die Umstellung. Auf einer anderen Ebene liegt freilich der Zugewinn, wenn man sommerzeitmäßig länger im Biergarten sitzen, im Garten werkeln, auf der Terrasse sitzen, sich länger im Hellen draußen bewegen kann. Sommerzeit steht für viele als ein Symbol für mehr Freiheit, mehr Erleben. Das dürfte erst recht für die jetzige Zeit der Corona-bedingten Einschränkungen gelten.Auf der anderen Seite der Waagschale wiegt es allerdings schwer, dass vier Fünftel der Menschen die Zeitumstellung ablehnen, weil sie von ihren Nebenwirkungen beeinträchtigt werden. Vor knapp drei Jahren gab es eine EU-weite Abstimmung dazu, in der, vor allem Teilnehmer aus Deutschland, zu 80 Prozent gegen die Umstellung votierten. Drei Viertel gaben zudem in Umfragen an, sich schlapp und müde zu fühlen, fast zwei Drittel klagten über Einschlaf- und Schlafstörungen, vor allem Frauen. Über ein Drittel erklärte, sich nach der Zeitumstellung - vor allem der jetzigen im Frühjahr - schlechter konzentrieren zu können. Mehr als ein Viertel der Befragten fühlte sich gereizt. Und 15 Prozent der Erwerbstätigen gaben zu, schon einmal zu spät zur Arbeit gekommen zu sein. Chronomediziner warnen seit langem, dass die unsägliche Zeitumstellung ein Eingriff in den Sozialrhythmus der Menschen darstelle, der nur Probleme bringe. Zwei Mal im Jahr werde ein kleiner Jetlag verordnet, der den Biorhythmus, die innere Uhr, mehr oder weniger durcheinanderbringe. Landwirte kennen ähnliche Auswirkungen bei ihren Tieren, die ihre innere Uhr partout nicht nach den Vorgaben der Politik umstellen wollen. In 40 Jahren Praxis sind die Debatten über das Drehen am Zeiger, vor allem die Klagen dagegen, mal laut, mal weniger lautstark geführt worden. Neue Argumente dafür oder dagegen gibt es kaum welche. Und eigentlich hat auch das EU-Parlament längst beschlossen, die Zeitumstellung in diesem Jahr abzuschaffen. Unter anderem hatte sich der damalige Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für deren Ende starkgemacht. Leider haben es die 27 EU-Mitglieder bislang nicht vermocht, sich auf ein einheitliches Vorgehen zu verständigen. Die Staaten-Union ist offenbar nicht nur gelähmt, wenn es um die Bestellung von Corona-Impfstoffen geht, sondern auch in der vergleichsweise kleinen Frage der Zeitpolitik. Und während die einen, etwa Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und viele befragte Deutsche, für "ewige Sommerzeit" plädieren, wollen andere, dass die sogenannte Normalzeit, die Winterzeit, bleiben solle. Wieder andere warnen vor einem Flickenteppich an nationalen Zeitregimen. Es ist zum Verzweifeln.So oder so werden wir das nervige Drehen an der Uhr zwei Mal im Jahr offenbar noch etliche Jahre ertragen müssen. Auch wenn sich die meisten Bürger und Bürgerinnen in den EU-Staaten und die Politik von Berlin bis Brüssel eigentlich einig sind, dass die weithin nutzlose Zeitumstellung sofort abgeschafft gehört, geschieht in der Sache nichts. Oder, um es in Abwandlung eines Spruchs des großen Karl Valentin zu sagen: Mögen hätten sie schon wollen, aber dürfen haben sie sich nicht getraut.
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