Grünes Kontrastprogramm
Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Annalena Baerbock ließ Robert Habeck den Vortritt. Allerdings nur, damit der Co-Chef der Grünen gestern die Entscheidung zugunsten der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock verkünden konnte. Die einstige basisdominierte Sponti-Partei lieferte damit gleichsam die Blaupause dafür, wie Macht- und Personalfragen geräuschlos, und ohne der eigenen Partei zu schaden, gelöst werden können. Zumindest nach außen wird Harmonie zelebriert, kein endloser zermürbender Machtkampf. Die Grünen haben offenbar dazugelernt. Die Unionsschwesterparteien hingegen sind nach einer Woche des politischen Fingerhakelns, nach endlosen Gesprächen der beiden auf das Kanzleramt erpichten Unions-Kandidaten kaum weiter vorangekommen. Weder Markus Söder noch Armin Laschet konnte im Kampf um die Spitzenposition für den nächsten Wahlkampf entscheidend Terrain hinzugewinnen. Beide Lager wirken wie eingegraben. Schlimmer noch, ein praktikables Verfahren, wie die nervige Pattsituation zwischen den Schwesterparteien aufgelöst werden kann, scheint nicht in Sicht. Allerdings klang Markus Söder gestern in München zumindest etwas versöhnlicher als eine Woche zuvor. Da hatte er sein Ja-ich-will für die Spitzenkandidatur der Union ziemlich kategorisch verkündet. Nun räumt er, fast reumütig ein, dass er die Spitzengremien der CDU mit seinem Hinterzimmer-Vergleich nicht in den Senkel habe stellen wollen. Allerdings will der Franke immer noch Kanzlerkandidat werden, nun jedoch vielleicht nicht mehr um jeden Preis. Zumindest nicht um den Preis, die Union, vor allem die CDU, zu zerreißen und nicht wieder gut zu machenden politischen Schaden anzurichten. Vielleicht hat das Vorbild der Harmonie bei den Grünen dazu beigetragen, dass Söder erneut bekräftigte, sich notfalls einem Votum der großen Schwesterpartei zu beugen und auf die Spitzenkandidatur zu verzichten. Fast scheint es, als schlage der in diversen Machtkämpfen gestählte CSU-Chef nun auf der Klaviatur der Demut neue Töne an: das Schicksal der Union, das große Ganze im Blick behalten. Wer Kanzler oder zumindest erst einmal Kandidat dafür werden will, muss auch staatsmännisch können. Doch sollte es zur Taktik Söders gehört haben, eine Entscheidung innerhalb der Unionsfraktion herbeizuführen, dann ist dieses Unterfangen erst einmal gescheitert. Das CSU-Urgestein Franz Josef Strauß erzwang einst über dieses Verfahren seine Kanzlerkandidatur gegen den ewigen Widersacher, CDU-Chef und späteren Kanzler Helmut Kohl. Sein Sieg bei einer Abstimmung in der Bundestagsfraktion wäre Söder ziemlich sicher. Nur werden sich Laschet und die übrige CDU-Spitze darauf nicht einlassen. Aussichtslos ist das Rennen für den Bayern dennoch nicht, denn immer mehr Christdemokraten - neben der Jungen Union auch einige Landesverbände - schlagen sich klar auf Söders Seite. Und, auch darin hat Söder recht, selbst wenn Laschet nicht Spitzenkandidat würde, wäre der nicht irreparabel beschädigt, sondern bliebe CDU-Chef und Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Angesichts des Unions-Hickhacks verfügt die grüne Kanzlerkandidatin Baerbock über eine vergleichsweise komfortable Ausgangssituation im anstehenden Wahlkampf. Die junge Frau und Mutter von zwei kleinen Kindern ist umgänglich, verbindlich, redegewandt und versteht es, sich auch in kompliziertere Themen rasch einzuarbeiten. Baerbock ist gewissermaßen das grüne, feminine Kontrastprogramm zu den potenziellen Kandidaten von Union, aber auch SPD. Dass die 40-Jährige bislang kein Regierungsamt ausgeübt hat, dürfte ihr im Wahlkampf angekreidet werden. Ein wirkliches Manko dürfte es allerdings nicht sein, dass sie in dieser Hinsicht unbelastet ist. Baerbock hat zumindest nach der Wahl 2017 bewiesen, dass sie knallhart verhandeln kann. Laschet oder eben Söder sollten dafür gewappnet sein.
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