Abkommen mit Bauchschmerzen
Die Umsetzung des Brexit-Handelspakts wird mit dem unseriösen Premier Boris Johnson schwierig. Leitartikel von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Handelsverträge zwischen Staaten und/oder Gemeinschaften sind eigentlich ein gutes Zeichen. Wenn Handelshemmnisse fallen, wenn technische und soziale Standards vereinbart werden, dann fördert das den bilateralen Handel und die Verständigung zwischen den Partnern. Beim Brexit-Handelspakt liegen die Dinge anders. Der nach einer quälend langen Prozedur vom EU-Parlament nun endlich abgesegnete Vertrag besiegelt den Abschied des Vereinten Königreiches aus der Europäischen Union. Die Briten sind endgültig draußen. Ein Drittland, wie es im EU-Sprech heißt.
Freilich haben die Parlamentarier aus den 27 Mitgliedsländern dem mehrere hundert Seiten dicken Handels- und Kooperationsabkommen nur unter erheblichen Bauchschmerzen zustimmen können. Doch der Druck war gewaltig und die Alternative wäre noch dramatischer gewesen. Denn wäre dieser Vertrag nicht zustande gekommen, hätte es zum 1. Mai wirklich noch den völlig ungeregelten, den von vielen befürchteten "harten Brexit" gegeben. Völlig kopflos wird sich die Abtrennung Großbritanniens von der Staatengemeinschaft auf dem alten Kontinent, der Ausstieg aus Binnenmarkt und Zollunion dann doch nicht vollziehen.
Freilich kann in der EU nun niemand aufatmen. Das neue Kapitel in der langen Brexit-Story seit dem denkbar knappen Ausstiegs-Referendum im Juni 2016 lautet nun: Wie wird dieser Handelspakt umgesetzt? Das größte Risiko dabei heißt Boris Johnson. Dass der Londoner Premier und Brexit-Befeuerer die Ratifizierung durch das EU-Parlament als stabilen Anker für die Beziehungen zwischen wichtigen Handelspartnern, Verbündeten und souverän Gleichgestellten feierte, kann man getrost als Lippenbekenntnis abtun. Es war Johnson - mit seiner Regierung - der noch vor dem offiziellen Inkrafttreten des Handelspakts dessen Tragfähigkeit austestete. Will heißen, in Londons Sinne auslegte, man könnte auch sagen: den Handelsvertrag brach, bevor er überhaupt offiziell angenommen worden war. Seit Januar galt der Handelspakt, der erst kurz vor Weihnachten in trockene Tücher gekommen war, nur vorläufig.
Das Problem ist, dass Johnson bei den ehemaligen EU-Partnern leider ganz und gar nicht das Ansehen eines ehrlichen Kaufmanns genießt. Vom britischen Premier würde wohl niemand ohne Bedenken einen Gebrauchtwagen kaufen. Zu wankelmütig, zu trickreich agiert der Brite, der seine Karriere als EU-kritischer Journalist just in Brüssel und Straßburg begann, bevor er in die Politik zu den britischen Konservativen, den Torys, wechselte.
Den Ausstieg aus der ungeliebten europäischen Gemeinschaft hatte nicht einmal die legendäre "Eiserne Lady" Margaret Thatcher wahr gemacht. Sie sicherte Großbritannien vielmehr Sonderrabatte bei den EU-Mitgliedsbeiträgen. Johnson dagegen ist ein Polit-Hasardeur, der sein politisches Schicksal ganz mit dem Brexit verbunden hat. Dass sich seine Versprechungen von einer blühenden, weil unabhängigen, britischen Wirtschaft nicht erfüllen, blendet er geflissentlich aus. Doch bereits jetzt sind die Folgen dramatisch. Die britischen Exporte in die EU brachen um 40 Prozent ein. Umgekehrt sanken die Ausfuhren aus den EU-Ländern um ein Fünftel. Es herrscht Unsicherheit allerorten und Chaos an den Grenzen. Derzeit sieht es auch nicht danach aus, dass London den Zankapfel Nordirland, das einen Sonderstatus genießt und weiter de facto als EU-Gebiet gilt, wie vereinbart umsetzen will. London sperrt sich dagegen, wirkliche Zollkontrollen in der Irischen See vorzunehmen, um etwa keine Dumping-Produkte aus Drittstaaten in die EU gelangen zu lassen. Dem Jonglieren Johnsons mit dem Vertrag muss die EU nun Einigkeit und auch Härte entgegensetzen.
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