Erinnerung als Auftrag/In der Corona-Krise geht das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg fast unter. Dabei hat die Befreiung von der NS-Gewaltherrschaft unser demokratisches Deutschland erst ermöglicht.
Regensburg (ots)
Als der unvergessene Bundespräsident Richard von Weizsäcker am 8. Mai vor 36 Jahren das Ende des Zweiten Weltkrieges als Tag der Befreiung für Deutschland bezeichnete, erntete er beileibe nicht nur Lob und Anerkennung. Es hagelte vielmehr wütende Proteste, wie der erste Mann des Staates die schändliche Niederlage, das Elend und Leid des Volkes, Tod und Vertreibung als Befreiung verunglimpfen könne. Hätte es die sozialen Medien damals schon gegeben, Weizsäcker hätte einen gewaltigen Shitstorm erlebt.
Wenn in diesem Jahr der 76. Jahrestag des Endes des schlimmsten Krieges in der Menschheitsgeschichte fast unter zu gehen scheint, dann hat das vor allem mit den gegenwärtigen Herausforderungen der Corona-Krise zu tun. Der Streit um Lockerung des Lockdowns, Frust oder Freude über Impfungen und Tests, die Trauer um den Verlust von Angehörigen können durchaus den Blick auf die Vergangenheit verstellen. Dabei ist, mit Verlaub, die Corona-Pandemie, so sehr sie uns jetzt belastet und noch einige Zeit belasten wird, eine Petitesse. Geschichtlich betrachtet wohlgemerkt. Die schreckliche nationalsozialistische Gewaltherrschaft, der verheerende Weltkrieg mit über 50 Millionen Toten und unermesslichem Leid ist und bleibt ein singuläres geschichtliches Ereignis. So etwas darf sich niemals wiederholen. Auch deshalb ist und bleibt das Erinnern ein ständiger Auftrag. So unbequem, lästig und mühsam dieser Prozess mitunter auch sein mag.Die Zukunft beginnt mit erinnern. Diesen Satz der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann hat der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmann über seine Rede zum 76. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung vom Nationalsozialismus gestellt. Wohlwissend, dass der damalige Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland unser heutiges demokratisch verfasstes Gemeinwesen, Frieden und Wohlstand erst ermöglicht hat. Dabei wird freilich nicht verschwiegen, dass die dem Kriegsende folgende Teilung, Vertreibungen und der bald danach einsetzende Kalte Krieg erneut Leid und Entbehrungen mit sich brachten. Erst mit der friedlichen Revolution in Ostdeutschland wurde 45 Jahre nach Kriegsende der Weg zur Wiedervereinigung frei. Geschichte hat einen langen Atem.
Zum Erinnern gehört allerdings auch, die richtigen Lehren aus jener leidvollen Geschichte zu ziehen. Dass Europa heute, weitgehend zumindest, geeint ist, dass es kollektive Verteidigungssysteme, wie die Nato, und zig internationale Organisationen gibt, die sich um Fortschritt, Krisenbekämpfung und -verhütung bemühen, ist eine solche Konsequenz aus dem Weltkrieg. Wer dagegen, wie etwa die Linke, die Nato auflösen, oder, wie die AfD, aus der EU austreten will, schlägt Erfahrungen aus der jüngeren Geschichte in den Wind. Die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass es immer noch - oder wieder - diverse Bedrohungen des friedlichen Zusammenlebens gibt, durch Terrororganisationen und Diktaturen etwa. Eine weitere riesige Herausforderung ist die Klimakrise, die nur durch friedliche internationale Zusammenarbeit - und keinesfalls militärisch - gemeistert werden kann.
Dass es in Deutschland 76 Jahre nach dem Kriegsende immer noch und wieder Antisemitismus, Rassismus, Menschenfeindlichkeit bis hin zu politisch motivierten Morden gibt, ist eine Schande. Und wer die Zeit des NS-Schreckensregimes als "Vogelschiss" der Geschichte abtut, wie der AfD-Mann Gauland, oder den Holocaust verharmlost, wie AfD-Flügelmann Höcke, verhöhnt die Millionen Opfer. Heutige Generationen tragen keine Verantwortung für die NS-Verbrechen von damals. Aber sie haben die Pflicht zur Erinnerung daran und sie müssen dafür sorgen, dass es nie wieder geschieht.
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