Zertrampeltes Erbe
Die Amtszeit von Bundestrainer Joachim Löw endet mit einem neuerlichen sportlichen Debakel. Seine Ära auf die vergangenen Misserfolge zu reduzieren, wird ihm nicht gerecht.
Regensburg (ots)
Zum rechten Zeitpunkt abzutreten ist eine Kunst. Nicht jedem gelingt es. Auf dem Gipfel des Erfolges trübt einem bisweilen der Höhenrausch die Sinne. Er gaukelt einem vor, unverzichtbar und sowieso einzigartig zu sein. Helmut Kohl etwa, der gefeierte Kanzler der Einheit, führte seine Partei sehenden Auges und selbstherrlich ins Debakel bei der Bundestagswahl 1998.Joachim Löw stand im Juli 2014 ebenfalls auf einem einsamen Gipfel. Er hätte sich nach dem Triumph von Rio de Janeiro im Endspiel gegen Argentinien mit dem ewigen Ruhm des Weltmeistertrainers von der deutschen Nationalmannschaft verabschieden können. Er verwarf diesen Gedanken, sofern er ihn denn jemals im Stillen erwogen hatte. Jogi Löw hatte noch nicht fertig, um es auf Fußballdeutsch zu sagen.
Im Lichte des zweiten Desasters bei einem großen Turnier fällt es nunmehr leicht, Joachim Löws Wirken zu verdammen. Das wird seiner Ära als Bundestrainer jedoch nicht gerecht. Die Mannschaft, die 2014 in Brasilien die Fußballwelt verzückte, war sein Geschöpf. Er hat sie entwickelt und geformt. Und das immer noch surreal anmutende 7:1 im Halbfinale gegen die Auswahl des Gastgebers bleibt ein funkelnder Diamant in der langen deutschen Länderspielgeschichte. Löw war zudem in guten wie in schlechten Zeiten ein sympathischer sportlicher Repräsentant des Landes. Das sollte man nicht gering schätzen, zumal es nicht auf jeden seiner Vorgänger zutraf.
Das Championat in Brasilien war der Wendepunkt. Löw nahm aus dem Turnier die persönliche Gewissheit mit, alle Widerstände überwinden zu können, sofern er sich denn treu bleibt. So wurde in der Folge aus Selbstbewusstsein peu à peu Selbstgefälligkeit, und die schon vorher zu beobachtende Sturheit verwandelte sich in Starrsinn.
Zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland entsandte er ein Ensemble, das auf der Weltbühne seine Idee vom schönen Fußball zelebrieren sollte. Allein, seine bedauernswerte Elf verstand sich nicht einmal auf harte Arbeit. Arrogant, so hat Löw selbst in seiner Analyse das Auftreten damals genannt. Aber statt die richtigen Lehren aus dieser bitteren Pleite zu ziehen, verrannte er sich vollends. Er wollte eine junge, herzerfrischend aufspielende Mannschaft aufbauen, wie es ihm 2010 bei der Weltmeisterschaft in Südafrika eindrucksvoll gelungen war. Als er endlich registrierte, dass es dafür einigen Akteuren am notwendigen Talent gebricht, probte er die überstürzte Rolle rückwärts und holte die zuvor aussortierten alten Haudegen zurück. Es wurde ihm nicht gedankt, wie die EM gezeigt hat. Wenn man so will, hat Joachim Löw sein einst eindrucksvolles Erbe selbst zertrampelt.
Nachfolger Hansi Flick steht vor einer Grundsatzentscheidung. Führt er den Kurs seines ehemaligen Chefs im Großen und Ganzen fort oder wagt er den harten Schnitt? Die Zeit bis zur WM in Katar ist verdammt knapp bemessen, es bleiben rund eineinhalb Jahre. Waghalsige Experimente verbieten sich da eigentlich. Das frustrierte Fußballvolk pocht auf baldige Besserung.
Will man dem allzu frühen Aus bei der Europameisterschaft einen positiven Aspekt abgewinnen, dann vielleicht diesen: Deutschlands Elitekicker sind in der sportlichen Normalität angekommen. Durststrecken, wie wir gerade eine erleben, hatten auch andere große Fußballnationen wie England, Italien oder Holland schon zu überstehen. Sie sollten halt nur nicht ewig andauern, bitte schön!
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