In der Kandidaten-Zwickmühle
Diverse Fehler und Pannen von Annalena Baerbock haben die Grünen Vertrauen und Zustimmung gekostet. Von Reinhard Zweigler;
Regensburg (ots)
Es hatte so gut begonnen. Am 19. April verkündete Robert Habeck, dass Annalena Baerbock die Kanzlerkandidatur der Grünen übernimmt. Zur gleichen Zeit stritten die beiden Unionsgranden Markus Söder und Armin Laschet noch verbissen um den Vortritt. Die Grünen lieferten ein Bild der Eintracht und sonnten sich in tollen Umfragewerten. Die Union dagegen musste sich auf das bittere Szenario einstellen, möglicherweise die Wahl im September und das Kanzleramt zu verlieren.
Das alles ist gerade mal schlappe zwölf Wochen her. Doch die kurze Zeitspanne reichte aus, um die Grünen nicht nur vom Umfragethron zu stoßen, sondern der Kanzlerkandidatin auch ein veritables Vertrauensproblem zu bescheren. Die junge Frau, die den etablierten Politbetrieb aufmischen und den Klimaschutz im Land wirklich voranbringen wollte, wurde von einem wuchtigen Abwärtsstrudel erfasst. Und den hat sie sich vor allem selbst zuzuschreiben. Medien, die gewissermaßen Blut geleckt haben und das Abschießen von Spitzenpolitikern - siehe die unsäglichen Vorgänge um den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff - mit Jagdeifer betreiben, verschärfen die Sache nur noch. Die Ursache gesetzt aber haben die um Auflage und Reichweite buhlenden großen Boulevardblätter und Nachrichtenmagazine im Fall Baerbock nicht. Sie stochern freilich lustvoll in den Wunden herum. Aber das gehört nun mal auch zu unabhängigem Journalismus in einer Demokratie. Im Fall Baerbock war es zudem nicht so sehr die Tatsache, dass sich eine junge Frau ohne Regierungserfahrung aufmacht, das höchste Regierungsamt zu erreichen. Sondern es ist vielmehr die Summe aus diversen kleinen lässlichen Pannen und Unsauberkeiten, etwa in ihrem politischen Lebenslauf, oder handfeste Fehler, so beim exakten Nachweis von Quellen in einem programmatischen Buch oder ein erst im Nachhinein dem Bundestag gemeldetes Weihnachtsgeld aus der Parteikasse, die den Stern der grünen Kanzlerkandidatin zum Sinken bringen.
In genau der jetzigen brenzligen Situation flammen zudem alte Vorbehalte gegen die Grünen-Chefin wieder auf. Ob nicht doch der charmante Co-Chef Robert Habeck, den manche schon mit dem Hollywood-Frauenschwarm Richard Gere vergleichen, der bessere Kanzlerkandidat sei. In Grünen-Zirkeln wird bereits durchgespielt, was ein solcher Personalwechsel rund 80 Tage vor der Bundestagswahl bringen könnte. Allerdings sind das allesamt taktische Sandkastenspiele, die einen Realitätstest nicht aushalten würden. Die Grünen haben sich in eine schmerzhafte Zwickmühle bugsiert. Denn würden sie jetzt, da es auf die heiße Phase des Wahlkampfes zugeht, wirklich das Zugpferd auswechseln und Habeck die Kanzlerkandidatur übertragen, würde das ihre Glaubwürdigkeit weiter extrem beschädigen. Und sie würden alle Reden über die Gleichberechtigung von Frauen Lügen strafen. Am Ende würde es selbst bei den so auf Geschlechter-Quotierung gepolten Grünen wieder ein Mann machen. Auf der anderen Seite jedoch verschlechtern sich die Chancen der Öko-Partei, wirklich ins Kanzleramt einzuziehen und einen echten Politikwechsel zu beginnen, mit Baerbock enorm. Freilich haben sich die Grünen diesen Schlamassel selbst eingebrockt. Besoffen von tollen Umfragewerten, aber auch getrieben von Medien und politischer Konkurrenz ließen sie sich überhaupt erst zur etwas großspurigen Kür einer Kanzlerkandidatin hinreißen. Vielleicht wollten sie damit auch ein Signal an geneigte bürgerliche Wähler setzen, die vom unwürdigen Geschacher zwischen Laschet und Söder eher abgestoßen wurden. Das eigentlich Traurige am Fall Baerbock ist jedoch, dass kaum noch über ihr politisches Programm debattiert wird, sondern über ihre Stockfehler und Dummheiten. Das verheißt nichts Gutes für den weiteren Wahlkampf.
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