Desaster nach dem falschen Krieg
Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Nichts ist gut in Afghanistan, hatte die einstige evangelische Bischöfin Margot Käßmann in ihrer Neujahrspredigt 2010 gesagt. Das brachte der Protestantin seinerzeit empörte Kritiken ein. Von vielen Politikern und Medien. Über elf Jahre später, nachdem die alliierten Truppen, darunter das Kontingent der Bundeswehr, überhastet vom Hindukusch abgezogen sind, droht die Prophezeiung Käßmanns bittere Wahrheit zu werden. Die islamistischen Taliban breiten sich mit rasanter Geschwindigkeit im Land aus. Auch große Städte, wie jetzt Kundus im Norden, fallen ihrem Ansturm in die Hände. Vermutlich ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch in Kabul wieder die Banner der Taliban wehen.
Doch was für die Menschen in Afghanistan verheerend ist, bedeutet auch für den Westen ein Desaster. Nach fast zwei Jahrzehnten Militäreinsatz droht nun, das Wenige an zivilisatorischem Fortschritt wieder unter die Räder zu kommen, das trotz aller Probleme erreicht worden war. Vor allem Frauen und Mädchen müssen um die wenigen Rechte, die ihnen zugestanden wurden, fürchten. Dem Land am Hindukusch drohen weiter und wieder Unsicherheit, Terror, Krieg, Not und Tod. Bereits jetzt fliehen erneut Hunderttausende vor den anrückenden Taliban. Sie suchen Zuflucht im benachbarten Iran und viele werden über die Türkei nach Europa gelangen wollen. Von Frieden und Stabilität, was die Militärkoalition eigentlich schaffen wollte, ist Afghanistan weit entfernt.
Dabei ist das Ende des Afghanistan-Krieges so falsch, dilettantisch und moralisch fragwürdig wie der Beginn. Das ehrliche Wort "Krieg" nahm übrigens erstmals der einstige CSU-Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg in den Mund. Vorher wurde verdruckst nur von Einsätzen, Anti-Terrorkampf und dergleichen gesprochen. Der einstige SPD-Verteidigungsminister Peter Struck, an sich ein ehrenwerter Mann, sprach 2003 hochtrabend davon, dass Deutschlands Freiheit auch am Hindukusch verteidigt werde. Von wegen. Der von Rot-Grün begonnene Einsatz der Bundeswehr hat viele Milliarden Euro verschlungen. Er hat, noch viel schlimmer, 59 deutsche Soldaten das Leben gekostet, Hunderte verletzt und viele teilweise für den Rest ihres Lebens traumatisiert. Nicht zu vergessen die afghanischen Opfer, die in die Hunderttausende gehen. Ein Krieg, wenn er einmal begonnen wurde, fordert auch viele unschuldige Opfer. Dazu zählen beileibe nicht nur jene rund 100 getöteten Menschen, die im September 2009 auf Befehl eines Bundeswehr-Oberst von US-Kampfjets mit Raketen beschossen worden waren.
Ehrlicherweise muss man heute, mit Abstand betrachtet, sagen, dass der Militäreinsatz in Afghanistan falsch war. Kanzler Gerhard Schröder sicherte nach den Anschlägen des 11. September 2001 den USA "uneingeschränkte Solidarität" zu. Dabei war das damals am Hindukusch herrschende Taliban-Regime gar nicht in die Terrorattacken involviert. Doch einmal begonnen entwickelte dieser Krieg seine eigene Dynamik, in guter wie in schlechter Hinsicht. Es gab zweifellos einige zivilisatorische Fortschritte. Doch ein stabiles, halbwegs demokratisches Staatswesen konnte nicht geschaffen werden. Das Land blieb politisch weitgehend gelähmt. Die Zentralregierung wurde von Korruption gebeutelt. Die zig Milliarden von Dollar und Euro, die 20 Jahre lang von den Alliierten in den Militäreinsatz gepumpt wurden, hätten dem Land als wirkliche Aufbauhilfe ein Segen sein können. Und die Bundesrepublik ist gerade dabei, sich vollends moralisch zu diskreditieren, weil es die afghanischen Helfer und ihre Familien nicht längst nach Deutschland geholt und so vor der Verfolgung durch die Taliban bewahrt hat. Statt diesen Ortskräften umfassend und schnell zu helfen, schickt Berlin sie in zähe bürokratische Verfahren, inklusive der Buchung der Flüge. Damit scheitert der deutsche Afghanistan-Einsatz ein zweites Mal.
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