Merkels bittere Beschwichtigung/Das Desaster in Afghanistan wird der dunkelste Fleck in der Bilanz der Kanzlerin. Fehleinschätzungen werden nicht dadurch erträglicher, dass auch andere sie vornahmen.
Regensburg (ots)
Ihre womöglich letzte Regierungserklärung hat Angela Merkel vor allem dazu genutzt, die Empörung über das derzeit in Kabul zu besichtigende unerträgliche Desaster zu beschwichtigen. Afghanistan dürfte der dunkelste Fleck in ihrer langen Regierungsbilanz werden. Zwar räumte sie ein, dass die Entwicklung im Land am Hindukusch furchtbar und bitter sei. Doch die Verantwortung ihrer Regierung für die viel zu spät angelaufene Evakuierungsaktion schob Merkel elegant weiter. Schließlich hätten alle Alliierten, von den USA angefangen, das atemberaubende Tempo des Vorrückens der militanten Taliban unterschätzt. Doch ein gravierender Fehler wird um keinen Deut besser dadurch, dass ihn auch andere begangen haben.Die wirklich bittere, vielleicht sogar mörderische Konsequenz könnte sein, dass viele afghanische Hilfskräfte und ihre Familien, viele Frauen und Männer, die für ein halbwegs demokratisches, freiheitliches Afghanistan eingetreten sind und nun vor den Taliban fliehen müssen, nicht die Rettung in einem Flieger erfahren, ja nicht einmal durch das von bewaffneten Islamisten kontrollierte Chaos am Kabuler Flughafen gelangen können. Der brutale Fehler, den Washington, Berlin und die anderen Alliierten zu verantworten haben, besteht darin, dass sie diese Menschen nicht erst aus Afghanistan herausgebracht und dann ihre Truppen abgezogen haben.Dabei wäre es auch anders gegangen, wie das Beispiel Frankreich zeigt, das seit Mai viele seiner Ortskräfte ausgeflogen hat. So wie die Bundeswehr ziemlich sang- und klanglos ihre Stützpunkte in Kundus oder Masar-e-Scharif aufgegeben hat, so überließ man viele der einstigen Helfer einem ungewissen Schicksal. Vor der Ausreise und der Aufnahme in Deutschland wurden sogar noch große bürokratische Hürden errichtet, die sich nur weltfremde Ministeriale im sicheren Berlin ausdenken konnten.Die Schuld für dieses schlimme Versagen liegt aber nicht etwa bei der Bundeswehr, schon gar nicht bei jenen rund 150 000 deutschen Soldaten und Soldatinnen, die im Laufe von zwei Jahrzehnten am Hindukusch dienten. Erst recht nicht bei jenen Spezialkräften, die nun am Flughafen von Kabul einen hochgefährlichen Job verrichten, damit doch noch so viele Menschen wie irgend möglich ausfliegen können. Dafür gebührt ihnen vielmehr Dank und Anerkennung. Sie alle halten ihren Kopf hin für eine im Grunde verfehlte Afghanistan-Strategie der USA, Deutschlands, des gesamten Westens. Mit Ernüchterung und Verbitterung müssen die Soldaten und die vielen Mitarbeiter von zivilen Hilfsorganisationen nun mit ansehen, dass die Aufbauerfolge, die es im Land natürlich auch gab, unter die Räder zu kommen drohen.Die politische Verantwortung für das jetzige Desaster am Ende des Militäreinsatzes liegt vielmehr bei der Kanzlerin, beim Kanzleramt, das etwa auf eindringliche Warnungen für ein früheres Evakuieren nicht reagierte. Auch entsprechende Anträge im Bundestag wurden in den Wind geschlagen. Die Kanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung die verantwortlichen Ressortminister der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer, des Inneren, Horst Seehofer, oder Außenamtschef, Heiko Maas, nicht ausdrücklich verteidigt. Doch zum Rücktritt gezwungen - oder ihnen das zumindest nahegelegt - hat sie diese Regierungsmitglieder eben auch nicht.Es ist leider so, dass Merkel und ihre Regierung in einer wichtigen Frage politisch und moralisch versagt haben. Und der lange Zeit als "mächtigste Frau der Welt" apostrophierten Kanzlerin wurde noch einmal brutal klar gemacht, dass die wirklich wichtigen Entscheidungen nicht in Berlin, sondern in Washington getroffen werden.
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