Bidens Grenzproblem
US-Beamte haben im vergangenen Jahr 1,7 Millionen Flüchtlinge aus Lateinamerika aufgegriffen. Die Asylpolitik Joe Bidens erweist sich als herbe Enttäuschung. Von Thomas Spang
Regensburg (ots)
Eigentlich sollte alles ganz anders werden im Umgang mit den Flüchtlingen, die versuchen, über die Südgrenze zu Mexiko in die USA zu gelangen. Das jedenfalls hatte der Präsident im Wahlkampf versprochen, als er die Grenzpolitik seines Vorgängers als inhuman geißelte. Dieser hatte mit einer "Null-Toleranz"-Politik gezielt auf Abschreckung gesetzt. Ferner entstaubte die Regierung einen Mitte der 40er Jahre ins Gesetzbuch aufgenommenen Paragrafen, der es erlaubt, Menschen an der Grenze zurückzuweisen, die aus einem Land kommen, in dem eine ansteckende Krankheit in Umlauf ist. In den USA ist dieser Abschnitt im Gesetz als "Title 42" bekannt. Formal obliegt es der Gesundheitsbehörde "CDC" festzustellen, ob die Bedingungen vorliegen, die eine Zurückweisung rechtfertigen. Ohne jeden Zweifel wütet der Covid-19-Erreger in Zentral- und Südamerika, von wo fast acht von zehn der 1,7 Asylbewerber stammen, die US-Grenzer im zurückliegenden Haushaltsjahr aufgegriffen hatten. Auch unter neuer Führung bestätigte die CDC im Sommer die Voraussetzungen für "Title 42".Zu diesem Zeitpunkt breitete sich die Delta-Variante des Virus rasant in den USA aus und lieferte der Regierung einen willkommenen Vorwand, den Paragrafen anzuwenden, um ein anderes außer Kontrolle geratenes Problem in den Griff zu bekommen. Während die Migration aus dem Süden gewöhnlich jahreszeitlichen Mustern folgt, brachten die heißen Sommermonate diesmal keine Entlastung. Die Flüchtlinge riskierten den nicht selten tödlichen Treck durch das sengend heiße Grenzland gen Norden. Statt "Title 42" wie versprochen abzuschaffen, benutzte Joe Bidens Heimatschutzminister Alexander Mayorkas den Paragrafen, um fast alle erwachsenen Asylsuchenden, die alleine an der Grenze auftauchten, ohne Anhörung zurück nach Mexiko zu schicken. Ausnahmen machte die Regierung aufgrund von Gerichtsentscheidungen bei Kindern und Jugendlichen und Familienverbänden. Diese Praxis hatte eine unbeabsichtigte Konsequenz. Zeitweise griffen die Grenzer in diesem Sommer fast vier von zehn Personen erneut auf, die kurz vorher nach "Title 42" zurückgewiesen worden waren. Nach Schätzung von Experten lässt das die Krise an der Grenze als größer erscheinen, als sie ist. Die bereinigte Zahl der aufgegriffenen Asylbewerber liegt demnach bei rund einer Million. Das ist im historischen Maßstab immer noch eine große Zahl an Menschen, die Amerikas Grenzbehörden in der Praxis überfordern. Wie zuletzt gesehen in dem Elends-Lager von "Del Rio" in Texas am Rio Grande. Dort waren im September vorübergehend rund 15 000 haitianische Flüchtlinge gestrandet. Bilder von berittenen Grenzschützern, die Schwarze wie Vieh zusammentrieben, schockten Bürgerrechtler ebenso wie die anschließende Deportation tausender Haitianer. Wenn die Regierung Mitte November wieder damit beginnt, für das Asylverfahren zugelassene Flüchtlinge zurück nach Mexiko zu schicken, ist auch die umstrittene "Remain in Mexico"-Politik der Vorgängerregierung wieder in Kraft. Fairerweise muss erwähnt werden, dass ein von Donald Trump nominierter Bundesrichter das Weiße Haus dazu zwang, diese Praxis wieder in Kraft zu setzen. Nüchtern betrachtet unterscheidet sich Präsident Bidens Grenzpolitik damit sehr viel weniger von der Politik seines Vorgängers als von seinen Wählern erhofft. Biden hat viele enttäuscht. Als Totalausfall erweist sich Vizepräsidentin Kamala Harris, die im März die Aufgabe übernommen hatte, eine kohärente Grenzpolitik zu entwickeln. Bis auf eine Stippvisite in El Paso und einen Besuch in Zentralamerika war von Harris seitdem nicht viel zu sehen. Die Regierung zieht kaum Konsequenzen aus dem Umstand, dass die meisten Migranten keine Arbeitssuchenden sind, sondern vor Gewalt, Klimawandel und der Pandemie fliehen. Solange die Ursachen dieser beispiellosen Migration aus dem Süden nicht angegangen werden, lässt sich die Situation an der Grenze nicht in den Griff bekommen. Gebraucht würde dafür ein politischer Schwenk der USA nach Lateinamerika, von dem nicht viel zu sehen ist.
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