CDU sucht nach Oppositionskurs
Friedrich Merz will die Union wieder zur stärksten politischen Kraft machen. Doch wie er die Ampel attackieren will, ist unklar. Von Reinhard Zweigler
Regensburg (ots)
Wenigstens mit einer Genugtuung kann Friedrich Merz das alte Jahr beenden. Dass er von fast zwei Dritteln der teilnehmenden CDU-Mitglieder in der Basisbefragung zum Parteichef gekürt wurde, dürfte für den Sauerländer eine späte Abrechnung mit der Politik von Angela Merkel gewesen sein. Mit der Langzeit-Kanzlerin und Ex-CDU-Vorsitzenden lag Merz nicht erst seit 2002 über Kreuz. Damals, nach der verlorenen Bundestagswahl mit dem Spitzenkandidaten Edmund Stoiber, verdrängte Merkel ihren Konkurrenten ziemlich rigide vom Fraktionsvorsitz. Diese Schmach hat Merz in den vergangenen fast 20 Jahren nie überwunden. Doch Politik besteht beileibe nicht aus dem Begleichen alter Rechnungen. Merkel ist Geschichte. Der 66-jährige CDU-Chef steht heute vor der Aufgabe, eine schlagkräftige Opposition anzuführen, überzeugende Alternativen zur Ampel-Regierung aufzuzeigen, verlorenes Vertrauen in die Union zurückzugewinnen. Aber wie er das alles bewerkstelligen will - noch dazu unter dem alles überlagernden Eindruck der Pandemie -, und womit er die frisch ins Amt gekommene gelb-grün-rote Koalition attackieren will, ist zu großen Teilen unklar. Zumindest räumt der designierte CDU-Vorsitzende selbstkritisch ein, dass die Partei überhaupt erst einmal wieder einen klaren Kurs haben müsse. Und das ist nicht nur eine Spitze gegen seine Vorgänger, von Merkel, über Kramp-Karrenbauer bis hin zum unglücklichen Kanzlerkandidaten Laschet, sondern Merz fasst sich auch an die eigene Nase. Noch ist offen, ob die CDU unter dem künftigen Chef zu bedingungsloser Attacke, einschließlich Blockaden wichtiger Ampel-Vorhaben über den Bundesrat, oder eher zu konstruktiv-kritischer Begleitung des neuen Regierungskurses übergehen wird. In ersten Äußerungen nach seiner Wahl schien Merz eher zur gemäßigteren Oppositionsvariante zu neigen. Das könnte Sinn machen, denn die Rolle der Fundamental-Opposition ist ohnehin bereits an die populistische AfD vergeben. Am ganz rechten Rand ist also kaum Platz für die neue "Merz-CDU". Und auf das Niveau der Corona-Leugner, Impfgegner und Europa-Skeptiker kann und darf sich der wertkonservative Merz keinesfalls begeben. Zudem würden viele Wähler und Wählerinnen einen solchen radikalen politischen Schwenk, weg von der politischen Mitte, nicht mitmachen. Merkel hatte die CDU - und die Union insgesamt - weit in die, wenn man so will, eher linksbürgerliche Mitte der Gesellschaft geführt. Mit einer 180-Grad-Wende würde Merz in diesen Milieus nun Unions-Sympathisanten verprellen und wohl kaum besser bei jungen Wählern ankommen. Auch neuer Streit mit der bayerischen Schwesterpartei CSU, wie die unrühmliche Balgerei um die Kanzlerkandidatur im Frühjahr, dürfte sich nicht wiederholen. Wie schwierig in jedem Einzelfall jedoch die Kursbestimmung sein kann, sieht man am Fall des 60-Milliarden-Nachtragshaushalts von Bundeskassenwart Christian Lindner. Zwar ruft die Union, angesichts der Verschiebung von geplanter Neuverschuldung in dieser Höhe aus dem Corona-Hilfspaket in einen Klima- und Investitionsfonds, Zeter und Mordio, doch die alte Merkel-Regierung hatte die Möglichkeit der hohen Neuverschuldung vorher erst eröffnet. Man sollte nicht mit Steinen werfen, wenn man im Glashaus sitzt. Wenn Merz die CDU tatsächlich wieder zur stärksten politischen Kraft in Deutschland machen will, dann ist das zugleich eine riesige Aufgabe wie auch der Gradmesser, an dem er gemessen werden muss. Bereits die drei Landtagswahlen im kommenden Frühjahr, darunter im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW, werden zum Lackmustest für die Führungsqualitäten von Merz. Sollte die CDU dabei obsiegen, dürfte Merz auch nach dem Fraktionsvorsitz im Bundestag greifen. Wenn nicht, könnten seine Tage als CDU-Chef auch bald wieder zu Ende gehen.
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