Konjunkturprogramm für Populisten
Die Ampelkoalition droht vom Start weg breite Bevölkerungsschichten mit ihrer Klimaschutzpolitik zu verprellen Leitartikel von Heinz Gläser
Regensburg (ots)
Würzen wir das Thema gleich mal mit einer Prise Polemik: Anfang November vergangenen Jahres war's, da barmte die Klimaaktivistin Carla Reemtsma in einer der unzähligen Talkshows des deutschen Fernsehens sinngemäß, man solle doch bitte an all die armen Menschen denken, die in ihren kleinen Dachgeschosswohnungen darunter ächzen, wie sich die Innenstädte aufheizen. Aktuell sorgen sich diese einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen eher darum, wie sie ihre Bude warm bekommen, ohne sich dabei derart nach der Decke strecken zu müssen, dass sie sich finanziell das Kreuz verrenken.
Die Ampelkoalition ist in Berlin mit dem hehren Anspruch angetreten, die Welt zu retten. Diese Mission ist unbedingt zu respektieren, weil alternativlos, um die Vorgängerin von Bundeskanzler Olaf Scholz zu zitieren. Allerdings scheint sich der Eifer der rot-grün-gelben Regierung vorerst darin zu erschöpfen, kompromisslos alles dem Primat des Klimaschutzes zu unterwerfen. Flankierende Maßnahmen? Die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro war als sozialpolitische Großtat gedacht, verkommt aber peu à peu zum puren Inflationsausgleich. Dazu gesellen sich ein paar beabsichtigte Korrekturen an Hartz IV, um die seit der schröderschen Agenda wunde Seele der Sozialdemokraten zu streicheln. Und - ach ja - einen Heizkostenzuschuss an bedürftige Haushalte gewährt die Ampel obendrein. Der ist nur leider viel zu gering bemessen, wie Experten und Sozialverbände zurecht monieren.
Der klimapolitische Weg der neuen Koalition ist riskant. Denn sie droht vom Start weg breite Bevölkerungsschichten zu verprellen und damit die dringend notwendige Akzeptanz für den ökologischen Umbau zu verspielen. Dem Millionenheer der Berufspendler ständig steigende Spritpreise aufzubürden, ohne gleichzeitig beim zügigen Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs sichtbare Zeichen zu setzen, ist fahrlässig. Gar empörend ist es, wenn die Ampel die von schwindelerregend hohen Energiepreisen befeuerte Inflation achselzuckend mit einer fatalen Mischung aus Teilnahmslosigkeit und Hilflosigkeit begleitet. Die Sparerinnen und Sparer - und damit ein Großteil der Wähler - werden ihren massiven Ärger über die Schwindsucht ihrer Guthaben gewiss nicht vor den Türen der Europäischen Zentralbank abladen; selbst wenn diese mit ihrem andauernden währungspolitischen Harakiri-Kurs als die eigentlich Verantwortliche für die Geldentwertung leicht identifizierbar ist.
Wie so häufig lohnt ein Blick über den Atlantik. In den ländlich geprägten Bundesstaaten der USA war es auch der Argwohn gegenüber einer abgehobenen politischen Kaste, der einer Figur wie Donald Trump letztlich den Weg ins Weiße Haus ebnete. Das Programm der Demokraten wurde als Projekt urbaner Eliten wahrgenommen, die ökonomisch saturiert sind und den Blick für die Realitäten im Land längst verloren haben.
Solche sozialpsychologischen Aspekte - wie das subjektive Gefühl des Abgehängt-Seins - außer Acht zu lassen, wäre für die Populisten hierzulande ein willkommenes Konjunkturprogramm. Die AfD würde den Unmut über eine vermeintliche soziale Unwucht des Ampel-Kurses für sich zu nutzen wissen, wenn die Proteste gegen die Corona-Restriktionen erst einmal abgeflaut sind.
Der demoskopische Sinkflug, in dem sich die SPD aktuell befindet, wird allenthalben als Phänomen abgetan, das oft nach dem Antritt neuer Regierungen zu beobachten ist. Oder er wird mit der Unsichtbarkeit des Kanzlers erklärt. Mag aber sein, dass die Umfragewerte ein erster Fingerzeig sind, dass die Gesellschaft auf dem ambitionierten Weg hin zum ökologischen Umbau mehr abgeholt und mitgenommen werden will. Immerhin: Das laute Nachdenken über eine höhere Pendlerpauschale und eine frühere Streichung der EEG-Zulage hat eingesetzt. Man könnte auch sagen: Die Ampel beginnt zu verstehen.
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