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BLOGPOST: Polizei-Pressearbeit in Kanada: "Vertrauen schaffen durch Transparenz und Ehrlichkeit"

BLOGPOST: Polizei-Pressearbeit in Kanada: "Vertrauen schaffen durch Transparenz und Ehrlichkeit"
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Einbrüche, Verkehrsunfälle, Tötungsdelikte und herumstreunende Alpakas: Auch die Polizei in Kanada steht täglich vor der Herausforderung, unvorhergesehene Ereignisse zu bearbeiten. Die Kommunikation ist dabei nicht immer einfach. Extremsituationen in Europa verunsichern auch die kanadische Bevölkerung. Wie gehen die Sicherheitsbehörden im weit entfernten Kanada mit dem Bedürfnis nach Information um? Und welche Chancen und Gefahren tun sich mit den sozialen Medien für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auf?

TREIBSTOFF sprach mit Mariane Leduc, Pressesprecherin der Polizei Gatineau, über ihre Arbeit.

TREIBSTOFF: Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?

LEDUC: Das erste, was ich jeden Morgen mache, ist, dass ich meine Mails lese und mich informiere, ob irgendwelche Einsätze laufen oder irgendetwas, das sich in der Nacht ereignet hat, unserer Aufmerksamkeit bedarf. Wenn ich dann im Präsidium bin, setzt mich das polizeiliche PR-Team über alles Wichtige in Kenntnis: Polizeieinsätze, Festnahmen, Medienanfragen. Im Allgemeinen werden meine Tage von mehreren Unbekannten bestimmt: In manchen Fällen ist Recherchearbeit (wie Statistiken) erforderlich, bevor wir Stellung beziehen; Polizeieinsätze ziehen die Aufmerksamkeit der Medien und der Bürger auf sich; die Ermittler sind beunruhigt über die steigende Zahl von Betrugsanzeigen und verlangen von uns eine stärkere Sensibilisierung; wir beantworten Dutzende von Bürgeranfragen über die sozialen Netzwerke und bereiten Meldungen zur Veröffentlichung vor. Ich bin viel redaktionell tätig - Kommunikationspläne, Empfehlungen, Ansprachen, Pressemappen, Öffentlichkeitsarbeit, Überwachung der Aktionspläne.

TREIBSTOFF: Stichwort Extremsituationen: Wie sind Sie auf Terrorakte oder Amokläufe vorbereitet?

LEDUC: Die Kommunikation und das Teilen von Informationen zwischen den polizeilichen Diensten, den Nachrichten- und Sicherheitsdiensten und den verschiedenen Partnern ist und bleibt wesentlich. Auch wenn es, insbesondere angesichts begrenzter Mittel, immer Möglichkeiten für Verbesserungen gibt, denke ich, dass wir bereit sind. Zum Beispiel haben nach den verschiedenen Tragödien, die sich in Schulen des Landes ereignet haben, alle Polizisten in Québec eine Schulung zum Thema Immediate Action Rapid Deployment (IARD) erhalten. Hier geht es darum, schnell einzugreifen, solange eine aktive Bedrohung besteht, um die Anzahl der Opfer möglichst gering zu halten. Neben diesen Schulungen stimmt sich die Polizei in ihrer Arbeit eng mit den schulischen Einrichtungen ab, um den Aufbau der jeweiligen Einrichtung kennen zu lernen und Lehrkräfte und Lernende gleichermaßen in verschiedenen Verbarrikadierungstechniken auszubilden.Im Bereich Terrorismusbekämpfung haben wir in der Provinz Québec eine Spezialeinheit, in der die drei größten Polizeidienste vereint sind: die Polizeibehörde von Québec (Sureté du Québec), die königliche kanadische berittene Polizei (RCMP) und die städtische Polizei von Montréal. Die polizeiliche Verwaltungsstruktur gegen Terrorismus (SGPCT) - eine gemeinsame Kommandostruktur - dient im ganzen Land als Vorbild für den Kampf gegen den Terrorismus. Sollte sich in unserer Stadt ein terroristischer Anschlag ereignen, kommt diese Struktur zum Einsatz und übernimmt die Ermittlungen und alle Einsätze.

TREIBSTOFF: Und wie kommunizieren Sie in solchen Situationen mit den Medien und der Öffentlichkeit?

LEDUC: Die Polizeieinsätze sind sehr strukturiert und wir verfügen über Kommunikationsleitlinien: Im Falle eines Ereignisses wird schnell eine Kommandostruktur in Stellung gebracht und jeder weiß, was er zu tun hat. Die Kommunikation ist Teil der Struktur und die kommunizierten Meldungen entsprechen den bestätigten Fakten und dem Bedarf. Wir kennen auch unsere Kollegen aus den anderen Kommunikationsteams, sodass wir es gewöhnt sind, bei größeren Ereignissen zusammenzuarbeiten und uns gegenseitig zu unterstützen.Es ist wichtig, dass Anweisungen immer eingehalten werden. Würde sich zum Beispiel in Gatineau ein Terroranschlag ereignen oder ein nationaler Sicherheitsfall eintreten, würde jegliche Kommunikation der Leitung der SGPCT unterliegen. Das heißt nicht, dass mein Team nicht mehr beteiligt wäre, sondern nur, dass es der Betreuung und Leitung unserer Kollegen unterstellt wäre.Eine bedeutende Rolle bei großen Ereignissen spielen die sozialen Medien. Gerüchte gelangen schnell in Umlauf und können großen Einfluss sowohl auf das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung als auch auf die Hinweise, die wir erhalten, und die Einsätze vor Ort haben. Der Anschlag auf das kanadische Parlament in Ottawa am 22. Oktober 2014 ist dafür ein Beispiel. Wir sind von Ottawa nur durch einen Fluss getrennt, und die Folgen auf unserem Gebiet waren enorm. Es ist von größter Bedeutung, die Wachsamkeit gegenüber Informationen zu gewährleisten und Gerüchte so schnell wie möglich richtig zu stellen, die sich sehr häufig im Krisenfall auch in den traditionellen Medien wiederfinden, bevor sie dementiert werden können. Nicht zu kommunizieren ist keine Option!

TREIBSTOFF: Welche Themen dominieren Ihre Pressearbeit im Alltag?

LEDUC: Das sind vor allem Tötungsdelikte oder Überfälle, verbarrikadierte Personen, Raub, Einbrüche, Störung der öffentlichen Ordnung, Schüsse oder die Suche nach Vermissten. Besonderes Interesse wecken bei unseren Bürgern und bei den Medien aber immer alle Neuigkeiten in Bezug auf die Straßenverkehrssicherheit. Wenn wir jemanden stoppen, der schon zum wiederholten Mal mit Alkohol am Steuer unterwegs war, oder ein Fahrer mit stark überhöhter Geschwindigkeit abgefangen wird, oder wir eine Aktion gegen Ablenkungen im Straßenverkehr (Handynutzung während der Fahrt) durchführen, erhalten wir über die sozialen Netzwerke immer viele Rückmeldungen von Journalisten und aus der Bevölkerung.

TREIBSTOFF: Wie binden Sie die sozialen Netzwerke in Ihre Pressearbeit ein?

LEDUC: Wir nutzen die sozialen Netzwerke zu verschiedenen Zwecken: Krisenmanagement, Verbreitung von Präventionsbotschaften, Informationen über Veranstaltungen, Werbung und so weiter.In Krisenfällen, außergewöhnlichen Ereignissen oder Verkehrsunfällen, arbeiten wir am liebsten mit Twitter: Das ist kürzer und schneller. Twitter ist eine große Hilfe, wenn es darum geht, Gerüchte zu korrigieren, schnell zu informieren, Treffpunkte zu vereinbaren, Verhaltenshinweise weiterzugeben oder die Öffentlichkeit über Orte zu informieren, die gemieden werden sollten. Wir haben festgestellt, dass die Medien unsere Meldungen bei außergewöhnlichen Ereignissen schnell verbreiten, vor allem über das Radio. So erreicht man mit wenigen Buchstaben viele Menschen. Bei Verkehrsunfällen verringert die Nutzung von Twitter die Anrufe von Journalisten auf der Wache enorm.Facebook ermöglicht einen ausführlicheren Austausch mit den Bürgern und eine detailliertere Beantwortung von Fragen. Bei den Bürgern ist das unser beliebtestes soziales Netzwerk. Sie möchten gerne wissen, was wir tun, und uns verhilft das zu schönen Erfolgen. Mit den vielen in den sozialen Netzwerken geteilten Fotos und Beschreibungen konnten wir bereits mehrere Verdächtige innerhalb kurzer Zeit ermitteln und vermisste Personen wiederfinden.Für die Verbreitung von Videos nutzen wir auch YouTube und Vimeo sowie, bei bestimmten Fotoprojekten, Flickr. Unser Erfolg liegt dabei vor allem im persönlichen Austausch begründet. Die Bürger haben nicht den Eindruck, mit Robotern zu sprechen. Sie schreiben an Menschen. Manchmal erlauben wir uns auch eine Prise Humor, was sehr gut ankommt!

TREIBSTOFF: Welche Herausforderungen gibt es in der Beziehung zu den Medien?

LEDUC: Das Vertrauen und die schnelle Verbreitung von Informationen sind die größten Herausforderungen. Ich glaube, das Geheimnis liegt im gegenseitigen Respekt für die jeweilige Arbeit und in der Transparenz.Transparenz bedeutet dabei nicht, dass alles gesagt werden muss, und das wissen die Journalisten auch. Wenn man sich die Zeit nimmt, zu erklären, warum wir eine bestimmte Information nicht herausgeben können - sei es zum Schutz der Integrität einer strafrechtlichen Ermittlung, aufgrund eines Gesetzes oder, weil die Information beispielsweise die Identifizierung eines Opfers ermöglichen würde - verstehen die Journalisten unsere Reaktion und respektieren unsere Entscheidung.Die kontinuierliche Informationsverbreitung und der Durst nach neuen Erkenntnissen setzen Einrichtungen wie uns stark unter Druck. Die Bestätigung von Ereignissen erfordert Zeit! Der Anschein trügt oft und wir geben nie unbestätigte Informationen über irgendwelche Geschehnisse heraus, nicht zuletzt, weil das auch unsere Ermittlungen erschweren könnte.

TREIBSTOFF: Welche Herausforderungen gibt es in Hinblick auf die Bevölkerung?

LEDUC: Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Ordnungskräfte ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen. Die Terroranschläge untergraben das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, auch wenn sie sich auf der anderen Seite des Atlantiks ereignen. Einsätze, bei denen der Einsatz von Polizeigewalt erforderlich ist und die bisweilen auch tödlich enden, werden in den Medien intensiv behandelt und oft von gesellschaftlichen Bewegungen aufgegriffen oder kritisiert.Ich denke, dass Transparenz, Rechenschaft gegenüber der Bevölkerung und die Aufrechterhaltung des Dialogs mit den Bürgern dazu beitragen, das Vertrauen in die Polizei zu bewahren oder zu verbessern. Die Polizeidienste müssen außerdem in der Lage sein, Fehler einzugestehen, um glaubwürdig zu sein und respektiert zu werden. Polizisten stehen immer häufiger bei schwierigen Fällen in der ersten Reihe und werden für ihren Umgang mit einer Situation kritisiert. Es ist heutzutage nicht einfach, Polizist zu sein.

TREIBSTOFF: Wie gehen Sie mit der Gratwanderung zwischen Informieren und Zurückhalten von Informationen aus ermittlungstaktischen Gründen um?

LEDUC: Maßgeblich ist vor allem das öffentliche Interesse bzw. die öffentliche Sicherheit... und nicht die öffentliche Neugier! Wir bewegen uns im Rahmen einer Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften, die vorgeben, was verbreitet werden darf und was nicht. Bei jeder Meldung bewerten wir daher zusammen mit den Ermittlern, welche Informationen öffentlich gemacht werden können, ohne dass Schaden entsteht. In manchen Fällen, etwa wenn die Information bereits von beteiligten Personen veröffentlicht wurde, geben wir mehr Details preis als üblich, um die Tatsachen richtig zu stellen. Doch letztlich hängt alles von dem Ziel ab, das erreicht werden soll: Wollen wir potentielle Opfer erreichen? Wollen wir fehlende Informationen für unsere Ermittlungen erhalten? Man muss sich immer wieder fragen, welches die wirksamste Strategie ist.

TREIBSTOFF: In den USA gibt es eine Art "Verbrechens-Map". (http://www.spotcrime.com/) Führen Sie so etwas auch in Kanada?

LEDUC: Nein, wir verfügen über kein Instrument zur Kriminalitätskartographie für ganz Kanada. Manche Polizeidienste im Land bieten jedoch bereits solche Karten an, auf denen - selbstverständlich unter Anonymisierung der Opfer - bestimmte Straftaten verzeichnet sind. In Gatineau arbeiten wir an einem solchen Projekt. Das Kriminalitätsportal dürfte in den nächsten Wochen starten.

TREIBSTOFF: In Deutschland haben die Medien per Gesetz das Recht auf Informationen durch die Behörden. Zum Beispiel muss die Polizei gewährleisten, dass die Medien alle zur gleichen Zeit informiert werden. Wie ist das in Kanada geregelt?

LEDUC: Wir sind nicht verpflichtet, die Information in allen Medien gleichzeitig zu verbreiten. Dennoch erachten wir das als das Mindeste. Wir versuchen, uns allen gegenüber so gerecht wie möglich zu verhalten. Wenn ein Journalist wegen einer Information auf uns zukommt, die er von einer seiner Quellen erhalten hat, müssen wir dies berücksichtigen. Wenn wir einem Journalisten ein Interview zu einem bestimmten Thema geben, werden wir nicht einen anderen Journalisten über das vorherige Interview unterrichten.

TREIBSTOFF: Wie gehen Sie mit der Mehrsprachigkeit in Kanada um?

LEDUC: Mit wenigen Ausnahmen geben wir unsere Pressemeldungen ausschließlich auf Französisch heraus, der Amtssprache in der Provinz Québec. Wenn es jedoch die Zeit erlaubt und es um eine Angelegenheit von nationalem Interesse geht, lassen wir die Dokumente ins Englische übersetzen. Unsere Pressekonferenzen finden immer in beiden Sprachen statt, und unsere Sprecher sind alle zweisprachig.

TREIBSTOFF: Was waren die skurrilsten Fälle in Ihrer bisherigen Polizeilaufbahn?

LEDUC: Vor einigen Jahren wurden mitten in der Nacht sechs Fahrzeuge auf dem Parkplatz eines Autohändlers angezündet. Unsere Ermittlungen ergaben, dass ein Mann Benzin stahl, indem er die Tanks der Fahrzeuge durchstach. In dieser Nacht hatte der Dieb seine Taschenlampe vergessen und sein Feuerzeug zu Hilfe genommen, um etwas zu sehen. Das führte zur Explosion. Die Moral von der Geschichte: Wenn du Benzin klaust, mach dir nicht mit dem Feuerzeug Licht! 2013 gingen bei unserer Notrufzentrale einige Anrufe von Bürgern ein, die glaubten, mitten in der Stadt ein Lama herumlaufen gesehen zu haben. Solche Anrufe erhält man nicht alle Tage! Unsere Streifenpolizisten fuhren hin und fanden ein flüchtendes Tier, das sich schließlich als Alpaka herausstellte, das aus einem pädagogischen Bauernhof ausgebrochen war. An diesem Morgen dachten unsere Leute nicht, dass "schützen und dienen" solche Formen annehmen würde!

TREIBSTOFF: Was würden Sie gerne von Ihren deutschen Kollegen wissen?

LEDUC: Ich wüsste gerne, wie es um das Verhältnis zwischen der Polizei und den Medien bestellt ist. Sehen sich die deutschen Polizeidienste einer Vertrauenskrise der Bevölkerung ihnen gegenüber ausgesetzt? Wenn ja, wie gehen sie damit um? Wie nutzt die Polizei die sozialen Medien als Kommunikationsinstrument? Welches sind die größten Erfolge im Hinblick auf die Kommunikation und warum?

Dieser Beitrag ist ein Original-Blogpost aus TREIBSTOFF: http://treibstoff.newsaktuell.de/polizei-pressearbeit-kanada/

Was ist TREIBSTOFF?

TREIBSTOFF ist das Blog der dpa-Tochter news aktuell. Es geht dort um die Themen Kommunikation, Pressearbeit und Social Media. Und manchmal auch um news aktuell selbst. Welche Trends, welche Apps, welche Themen bewegen Kommunikationsfachleute heute? Wie sieht unser Arbeitstag aus? Was ist wichtig für die Karriere? Best Practice, Interviews und Gastbeiträge warten auf PR-Profis und Pressesprecher. Ein Mal pro Quartal gibt es TREIBSTOFF auch als gedrucktes Magazin.