BLOGPOST Harte Tür oder Stuhlkreis - Der Umgang mit politischen Themen im Netz
Nicht erst sein den Erfolgen von Donald Trump und den Brexit-Befürwortern stellt sich die Frage, wie die politische Meinungsbildung im Netz eigentlich funktioniert und welchen gezielten Beeinflussungsversuchen sie ausgesetzt ist. Dem aktuellen Jahr kommt dabei eine besondere Rolle zu. In Deutschland wird gewählt. Ein Gastbeitrag von Christian Henne vom MUNICH DIGITAL INSTITUTE.
Seit Donald Trump ist alles anders. Oder zumindest schärfer, direkter. Entgegen den Erwartungen der Öffentlichkeit wurde er Präsident. Seitdem rätselt die Öffentlichkeit über die Rolle von Fake-News und Bots, die Bedeutung von Echokammern und BigData. Über allem aber steht die Frage: Wie geht man mit Andersdenkenden im Netz um?
Es gibt für diejenigen, denen eine liberale, offene Gesellschaft wichtig ist, zwei Möglichkeiten. Die "harte Tür" gegen alle, die auf einer nicht-liberalen Linie unterwegs sind. Oder den "Stuhlkreis", also der bewusste Austausch mit Andersdenkenden. Letztlich der Versuch, gemeinsam ins Gespräch zu kommen und damit weiteres Auseinanderdriften zu verhindern.
Facebook: Echokammern und Filterblasen
Das weltweit größte Netzwerk, in dem über 20 Millionen deutsche Nutzer angemeldet sind, lebt von Algorithmen. Facebook sammelt Daten seiner Mitglieder. Auf Basis dieser Informationen werden den Mitgliedern Seiten und Personen vorgeschlagen, mit denen sie sich verbinden können. Sie werden in eine bestimmte Richtung geschickt. Dies hat wirtschaftliche Gründe, denn mit Inhalten, die jemand mag, lässt sich die Penetration der Nutzer stärken und somit mehr Reichweite und Interaktion für die Werbeindustrie herstellen.
Ich selbst habe den Test gemacht: Mit Liken der AfD-Fanpage wurden mir weitere Seiten wie "Lügenpresse" und "Einzelfälle" vorgeschlagen, auf denen es im Kern flüchtlings- und medienkritische Beiträge gibt. Man bewegt sich plötzlich nur noch auf einer Seite des Meinungsspektrums. Die Beiträge bedienen nur diese eine Seite und bestärken den Nutzer in seinen Einschätzungen. Dies ist die Echokammer. Die Filterblase. Das Ganze funktioniert für die andere politische Seite übrigens ganz ähnlich.
Will ich verhindern, dass sich diese Kammern und Blasen verstärken und somit noch mehr Trennung aufkommt, die Nutzer noch stärker eindimensional versorgt werden, dann muss es mein Ziel sein, dass diese Nutzer bewusst auch andere Angebote lesen. Das wird nur gelingen, wenn Nutzer und Medien bereit sind, sich mit Gegenmeinungen zu befassen.
Klare Ausnahme: Wirkliche Hetzer und Nutzer, die sich außerhalb des demokratischen Spektrums äußern und so gegen jede Community-Regel verstoßen würden, sind in meinen Augen aus der Konversation auszuschließen.
Der Actio-Reactio-Effekt
Die Mechanik in den sozialen Netzwerken, insbesondere in Facebook, ist die der direkten Interaktion. Likes, Kommentare und Shares sind die Währung. An ihnen lässt sich ablesen, wie resonanzfähig Inhalte sind. In politischen Fragen geht es häufig um Identifikation. Um echte Unterstützung. In Zeiten stärker werdender politischer Pole leben die jeweiligen Seiten enorm von dieser sozialen Währung. Eine verstärkte Resonanz auf der einen Seite wird eine verstärkte Resonanz auf der anderen Seite zur Folge haben. Die Diskussionen laufen fast abgekapselt in den jeweiligen Echokammern.
Abzulesen war dies kürzlich an der Kampagne #keinGeldfuerRechts. Zwar erreicht die Kampagne ihr Ziel, dass Unternehmen schauen, auf welchen Seiten sie Werbung laufen lassen und schalten diese zu Teilen ab. Gleichzeitig formiert sich dort aber eine enorme Unterstützung für eben diese Seiten. Die Bindung an die Angebote steigt, die Fronten verhärten sich weiter.
Bundestags-Wahl 2017: Aktivierung der Mitte
Letztlich geht es bei allem um die Frage, welche Richtung das politische Spektrum mit der Bundestagwahl 2017 nimmt. Einig sind sich die meisten, dass die gemäßigten Parteien um so mehr Stimmenanteile bekommen werden, um so mehr sie Wähler nahe der Mitte, Unentschlossene und bisherige Nicht-Wähler aktivieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie dies nur schaffen werden, wenn sie verschiedene Aspekte und Positionen diskutieren und wenn es zwischen den Parteien wahrnehmbare Unterschiede gibt. Nur dann hat der Wähler im eigentlichen Sinne die "Wahl". Dies gilt ebenso übersetzt für Medien und ihre Leser.
Auf dem Weg dorthin müssen im öffentlichen Diskurs - auch in sozialen Netzwerken - genau diese unterschiedlichen Positionen offen diskutiert werden. Je mehr aber Parteien, Medien und Nutzer sich abgrenzen von Andersdenkenden, um so weniger wird dies möglich. Immer mehr Menschen werden die Partei (respektive die Medien) wählen, die eine klare Alternative darstellt, auch unabhängig von Einzelpositionen. Es geschieht eine indirekte Aktivierung. Auch so erklärt sich in meinen Augen der Erfolg der AfD in den letzten Jahren. Ebenso wie der Bedeutungsgewinn dubioser Medienangebote.
Abschließend: Haltung ist wichtig. Gerade in diesen Zeiten. Wichtig ist aber auch, dieser Haltung nicht eine der wichtigsten Errungenschaften einer Demokratie zu opfern: Den Pluralismus.
Dieser Beitrag ist ein Original-Blogpost aus TREIBSTOFF:
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