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BLOGPOST: Was Infografiken erfolgreich macht - Tipps von F.A.Z.-Infografiker Thomas Heumann

BLOGPOST: Was Infografiken erfolgreich macht - Tipps von F.A.Z.-Infografiker Thomas Heumann
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Infografiken sind viel mehr als nur einfache Balken und Torten. Vielmehr geht es darum, komplexe Sachverhalte anschaulich und schnell darzustellen, wenn dies textlich nicht gelingen will. "Immer dann, wenn sich der dritte Absatz mit Zahlen zu füllen droht, sind wir dran." So erklärt Infografiker Thomas Heumann von der F.A.Z. seinen Job. Heumann ist Jurymitglied des dpa-infografik awards, dessen Sieger kürzlich bekannt gegeben wurden. Worauf es am Ende ankommt, wenn man eine gute und erfolgreiche Infografik produzieren will, verrät er in einem Gespräch mit TREIBSTOFF.

TREIBSTOFF: Wie haben Sie die Jurysitzung des dpa-infografik awards erlebt?

THOMAS HEUMANN: Auf jeden Fall ist es eine Ehre und eine wunderbare Gelegenheit, sich ein Bild von Infografiken im deutschsprachigen Raum zu machen. Vor allem auch in Bezug auf Regional- und Lokalmedien, die manchmal unterschätzt werden. Große auflagenstarke Medien berichten ja vielfach über gleiche nationale oder inter­nationale Themen. Ebenso das Fernsehen. Da haben die Nutzer ein breites Angebot.

Im lokalen oder regionalen Bereich hängt es vielfach an einem einzigen Medium, ob und was berichtet wird. Insofern ist die journalistische Verantwortung dort in gewisser Weise sogar größer - auch die der Infografiker, die mit häufig geringerer Ausstattung überzeugende und originelle Lösungen finden. Was diesmal besonders war: Eine merkliche Steigerung in Zahl und Qualität der Beiträge und das Wachstum bei den Online-Infografiken.

TREIBSTOFF: Was zeichnet die aktuellen Siegergrafiken des Awards aus?

THOMAS HEUMANN: Inhaltlich und gestalterisch ging es um die Konzentration auf das Wesentliche, beispielsweise bei der "Capital"-Grafik über Bombenarsenale weltweit. Umfangreiche Daten, sehr sachlich und streng dargestellt und gruppiert, mit Vertrauen auf die Wirkung der Zahlen. Die bedrohliche Wirkung kommt genau so zustande. Fotos, comicartige Symbole für Explosionen oder so etwas hätten das nur beeinträchtigt und wären geschmacklich fragwürdig.

Das Vertrauen auf die Wirkung der eigenen Daten zeigte sich zum Beispiel auch bei dem umfangreichen Online-Kartenvergleich für den Kanton Bern. Wohlgemerkt: Nichts spricht gegen witzige Illustration oder auch mal Spaß mit Daten. Das sollte aber dem Thema angemessen sein und sich nicht abnutzen.

TREIBSTOFF: Wo liegen die Stärken einer Infografik?

THOMAS HEUMANN: Vor allem in der präzisen, dabei anschaulichen und schnell erfassbaren Darstellung von Sachverhalten, die textlich nur mühsam zu vermitteln wären. Immer dann, wenn sich der dritte Textabsatz mit Zahlen zu füllen droht, sind eigentlich wir dran. Ebenso bei unübersichtlichen Beschreibungen von Abläufen und Strukturen.

TREIBSTOFF: Wo ihre Schwächen?

THOMAS HEUMANN: Nuancierungen, einerseits-andererseits-Abwägungen oder gar das Offenlassen von noch unklaren Zusammenhängen fallen in Infografiken schwer. Da beneide ich die Textkollegen. Infografiken suggerieren als Form ein "So und nicht anders ist es", dem man erst einmal gerecht werden muss.

Und sie kann - unabsichtlich oder absichtlich - ein Werkzeug der Manipulation sein. Wenn man sich mal nationalsozialistische Infografiken anschaut, ist es total erschreckend, dass selbst diese manchmal scheinbar sachlich-nüchtern daherkommen - und dabei aber mörderische Tendenzen propagieren wie zum Beispiel rassische Überlegenheit oder Lebensraum im Osten.

TREIBSTOFF: Wie können Infografiken bei Fake News gegen steuern?

THOMAS HEUMANN: Zuerst einmal, indem wir vor der eigenen Tür kehren und sauber arbeiten. Zum Beispiel sind korrekte Skalierungen wichtig, also kein Aufblasen geringfügiger Veränderungen zu rasanten Zu- oder Abnahmen. Und die methodische Sorgfalt ist entscheidend. Beispielsweise kann man nicht bei Kriminalitätsvergleichen einfach ganze Bevölkerungsgruppen gegeneinander stellen, sondern sollte sozial-demographisch vergleichbare Gruppen bilden, etwa junge männliche Erwachsene einer bestimmten Einkommensgruppe.

Noch mehr beschäftigen mich seit längerem Fragen, ob wir soziale Themen hinreichend abdecken. Ich fürchte zum Beispiel, dass wir mit einigen unserer gängigen Indikatoren die soziale Wirklichkeit vieler Mediennutzer nur ungenügend abbilden. Wer sich vom Arbeitsmarkt verdrängt sieht oder von mehreren Minijobs im Niedriglohnsektor lebt, sieht den allmonatlich dargestellten Rückgang der Arbeitslosenquote wahrscheinlich mit anderen Augen - da wäre "Unterbeschäftigung" vielleicht ein treffenderer Indikator. Wohnungssuchende finden ihre Situation eher im Anstieg der Neuvermietungspreise wieder als in einem Nettomietenindex.

Wohlgemerkt sind unsere gängigen statistischen Indikatoren ja keineswegs falsch - aber wir sollten darüber nachdenken, was sie an sozialer Realität abbilden und was nicht. Da sehe ich Raum für Erweiterungen.

Schwieriger ist die Frage, was wir als Medien insgesamt betrachten und berichten. Die "New York Times" etwa bemüht sich seit der Wahl Trumps merklich, in Reportagen stärker die Lebensweise und Erfahrungen der "blue-collar worker" zu behandeln, jüngst mit einem "Long Read" über eine amerikanische Stahlarbeiterin, die die Verlagerung ihres Betriebs nach Mexiko erlebt. Bei der F.A.Z. hatte beispielsweise eine Reportage sehr große Resonanz, die Stilllegungs- und Verlagerungsprozesse in Ostdeutschland behandelte und den Erfahrungen und Verarbeitungsweisen nachspürte.

TREIBSTOFF: Was sollte man bei der Konzeption und Produktion einer Infografik unbedingt beachten, was tunlichst vermeiden?

THOMAS HEUMANN: Beachten sollte man unbedingt folgendes:

- Datenqualität, methodische Korrektheit, Grenzen des Aussagewertes.

- Den Sachverhalt selbst verstehen, nicht bloß darstellen.

- Relevanz und Kontext prüfen.

- Mögliche Gegenpositionen überdenken und gegebenenfalls einarbeiten.

- Offenlegung der Quellen und eventuell heikler methodischer Annahmen.

- Textkontext prüfen und herstellen. Es ist immer schön, wenn die Ähnlichkeiten zwischen Text und Grafik nicht nur zufälliger Natur sind.

Und vermieden werden sollte das:

- Scheinkausalität

- Skalierungsfehler

- Illustratives Augenpulver, sofern es den Weg zum Inhalt verstellt.

TREIBSTOFF: Quo vadis Infografik: Welche Trends erkennen Sie?

THOMAS HEUMANN:

1. Die Infografik-Euphoriephase hauptsächlich der 90er Jahre, in der manche Medien ihre Modernität hauptsächlich mit Infografiken beweisen wollten, ist zum Glück vorbei. Die Phase des übertriebenen Zusammenstreichens von Infografikabteilungen hoffentlich auch.

2. Reduktion: Daten wirken für sich genommen auch ohne tiefen Griff in die Clip-Art-Kiste.

3. Datenjournalismus: ein Schritt über das saubere Präsentieren von Daten hinaus dazu, mittels eigener Sammlung und Auswertung bislang Unbekanntes zutage zu fördern. Das muss nicht unbedingt immer investigativ-enthüllend sein wie bei den "Panama Papers" - ich bin mir sicher, dass auch bei tiefem Eintauchen im frei zugängliche Statistiken Überraschendes zutage gefördert werden kann.

4. Aufweichung der Trennung von inhaltlicher Erarbeitung einerseits und grafischer Umsetzung andererseits. Bei der F.A.Z. gehören Themenfindung, -vorschläge und Recherche zu den Aufgaben des selbständigen Infografik-Ressorts.

5. Verzahnung von Print- und Online-Infografik.

Was mich gerade besonders beschäftigt ist die Situation der Online-Infografik. Im Vergleich zu Print kommt eine ganze Palette von Aufgaben hinzu: Die Einrichtung der Infografiken für verschiedenen Plattformen und Bildschirmgrößen, die Bereitstellung von Datenformaten, die auf verschiedenste Art und Weise gelesen, weiterverarbeitet und archiviert werden. Auch der Faktor Interaktivität und die teilweise lange Daten-Verweildauer wie zum Beispiel bei der Pflege von Wahlergebnissen ist zu beachten.

Online galt immer als schnelles und flüchtiges Medium. Zumindest letzteres stimmt häufig überhaupt nicht: Wenn in Zeitungsseiten bereits der sprichwörtliche Fisch eingewickelt wird, stehen Internet-Grafiken und Tabellen, frühere Wahlergebnisse noch immer und lange zur Nutzung bereit - und wollen gepflegt werden.

Die Preisträger des dpa-infografik awards werden am 9. November im Newsroom der dpa in Berlin geehrt.

Dieser Beitrag ist ein Original-Blogpost aus TREIBSTOFF: https://www.newsaktuell.de/academy/infografik-award-interview-thomas-heumann/

Was ist TREIBSTOFF?

TREIBSTOFF ist das Blog der dpa-Tochter news aktuell. Es geht dort um die Themen Kommunikation, Pressearbeit und Social Media. Und manchmal auch um news aktuell selbst. Welche Trends, welche Apps, welche Themen bewegen Kommunikationsfachleute heute? Wie sieht unser Arbeitstag aus? Was ist wichtig für die Karriere? Best Practice, Interviews und Gastbeiträge warten auf PR-Profis und Pressesprecher. Ein Mal pro Quartal gibt es TREIBSTOFF auch als gedrucktes Magazin.

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