BLOGPOST Aufschrecken, ohne zu verschrecken: Einsatz von Bildern bei NGOs
NGOs stehen bei Bild-PR immer vor der Herausforderung, auf Missstände hinzuweisen, ohne die Betroffenen dabei vorzuführen. Plan International e.V. ist diese Gratwanderung so gut gelungen, dass die NGO in diesem Jahr den PR-Bild Award gewonnen hat. Wir haben mit Barbara Wessel, Pressereferentin des Kinderhilfswerks, über die Entstehungsgeschichte des Bildes und über gute Bildsprache bei NGOs gesprochen.
news aktuell: Mit dem Aufmacherbild Ihrer Kampagne "#TheOtherVulva - Gemeinsam gegen Genitalverstümmelung" haben Sie den PR-Bild Award 2021 gewonnen. Herzlichen Glückwunsch nochmal! Haben Sie mit allen Beteiligten ein bisschen feiern können?
Wessel: Ja, wir haben uns riesig über die Auszeichnung gefreut. Sarah Fürstenberg kommt diese Tage zu uns in Büro, damit wir gemeinsam mit ihr anstoßen können. Gerne hätten wir auch die Münchnerin Fadumo Korn und ihre Kolleginnen vom Verein NALA – Bildung statt Beschneidung dabei, mit denen wir die Aktion „Gemeinsam gegen Genitalverstümmelung“ durchgeführt haben. Das holen wir nach.
news aktuell: Wie war die Resonanz im Netz auf Ihren Gewinn?
Wessel: Wir haben auf allen Kanälen viel Zustimmung erhalten - und es kommt immer noch etwas hinterher. Schon bei der Veröffentlichung des Kurzvideos #TheOtherVulva zum Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung am 6. Februar war die Resonanz überwältigend.
news aktuell: Mit der Kampagne will Plan International gemeinsam mit NALA e.V. auf die Folgen der vielerorts immer noch praktizierten Menschenrechtsverletzung aufmerksam machen. Die Filmemacherin Sarah Fürstenberg hat das Thema mithilfe einer zugenähten Grapefruithälfte in ein Kurzvideo umgesetzt. Wie ist diese außergewöhnliche und so einfach geniale Idee entstanden?
Wessel: Sarah Fürstenberg hat sich vor dem Dreh ihrer Abschlussarbeit an der Hamburg Media School intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und Verbindung zu Frauen aufgenommen, in deren Heimat Genitalverstümmelung praktiziert wird. Die Idee, die weiblichen Genitalien in Form von Früchten darzustellen, entstand bei einem Ausflug in der Natur: Überall begegnete ihr die Form der Vulva wieder, die Eindrücke hielt sie in einer Fotoreihe fest. Ihre Idee: Statt grausamer Bilder in ihrem Film einen Kontrast zu dem trostlosen Thema zu setzen. Das ist ihr mit #TheOtherVulva perfekt gelungen.
news aktuell: Was waren die besonderen Herausforderungen bei der Umsetzung der Kampagne?
Wessel: Weibliche Genitalverstümmelung ist ein Tabuthema. Darüber wird in den praktizierenden Gemeinden nicht gesprochen. Für uns als NGO eine große Herausforderung, das Thema medienwirksam in den Fokus zu rücken. Wir wollen keine Ressentiments bedienen, betroffene Mädchen dürfen nicht gezeigt und zur Zielscheibe werden. Auch bringt es nichts, die praktizierenden Gemeinden mit erhobenem Zeigefinger zur Abkehr zu bewegen. Hier hilft nur Aufklärung und Überzeugungsarbeit.
Sarah Fürstenberg hat eine Bildsprache gefunden, die alle mitnimmt, die aufschreckt, ohne zu verschrecken. Ich war wirklich geflasht, als ich #TheOtherVulva zum ersten Mal sah. Wir haben alles darangesetzt, gemeinsam mit ihr und NALA e.V. zusammen zu kommen. Daraus ist eine tolle Zusammenarbeit entstanden. Als Aufmacherbild für unsere gemeinsamen Medienaktivitäten zum Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung haben wir die Momentaufnahme aus Sarahs Film von der zugenähten Grapefruit gewählt – exemplarisch für das ganze Thema.
news aktuell: Die PR-Bild Award Juryvorsitzende Mirjam Berle schreibt in ihrem Kommentar zum Siegerbild: "Der Kontrast, den das Bild setzt, macht diese Schmerzen spürbar. Es macht die verheerenden Folgen nachvollziehbar, ohne grausame Bilder zu zeigen, die uns eher weg- als hinschauen lassen. Es schafft Nähe und Mitgefühl, ohne vorzuführen oder persönliche Grenzen zu überschreiten." Ihr Bild schafft es demnach, Missstände aufzuzeigen, ohne die Betroffenen zu entwürdigen. Was muss gute Bild-PR von NGOs noch können?
Wessel: Ein gutes Bild geht unter die Haut, bringt dazu, genau hinzuschauen und mehr zu erfahren. Es nimmt uns mit und erzeugt Nähe und Betroffenheit, ohne den Betroffenen zu nahe zu treten. Da auch besonders sensible Themen wie der Schutz vor Frühverheiratung, Missbrauch und sexualisierter Gewalt zu den Schwerpunkten von Plan International gehören, ist es immer wieder eine große Herausforderung, Motive zu finden, die diese Brücke schlagen. Solche Aufnahmen brauchen Fingerspitzengefühl und starke Symbolkraft. Die Abgebildeten dürfen nicht vorgeführt werden, Minderjährige nicht identifizierbar.
Sicherlich werden hier von NGOs auch unterschiedliche Kriterien angelegt. Uns ist es wichtig, Kinder und ihre Familien nicht als Opfer darzustellen. Ihre Situation aber auch nicht zu beschönigen. Wir wollen Kindern wie Erwachsenen in unseren Projektländern auf Augenhöhe begegnen. Das heißt: keine Bilder von oben herab, keine ausgemergelten oder nackten Körper, keine flehenden Kinderaugen.
Interview: Beatrix Ta
Über den PR-Bild Award
Der PR-Bild Award wird von news aktuell in Zusammenarbeit mit news aktuell Schweiz und APA-Comm verliehen. Medienpartner ist das Magazin KOM. Bereits zum 16. Mal küren wir die besten PR-Bilder des Jahres und zeichnen herausragende PR-Fotografie aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aus. Spannende Insights rund um den diesjährigen PR-Bild Award gibt es hier auf unserem Blog. Alle Informationen zu den Gewinnern des PR-Bild Awards 2021 gibt es außerdem in der Pressemitteilung sowie unter www.pr-bild-award.de/sieger2021.
Und jetzt nochmal Vorhang auf für die Preisträgerinnen und Preisträger des PR-Bild Award 2021 – verkündet vom Conférencier, Performance-Künstler und Journalist Michel Abdollahi:
Video zur Preisverleihung des PR-Bild Award 2021
Dieser Beitrag ist ein Original-Post aus dem news aktuell Blog:
https://treibstoff.newsaktuell.de/aufschrecken-ohne-zu-verschrecken-einsatz-von-bildern-bei-ngos/
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