3sat: Tragische Erfahrungen mit der Freiheit: Ehemaliger Insasse von NS-Vernichtungslager erzählt von seiner Flucht
Mainz (ots)
Samstag, 31. August, 23.25 Uhr: Thomas Toivi Blatt zu Gast in Boulevard Bio (Erstsendung am Dienstag, 6. August, ARD)
Sonntag, 15. September, 21.45 Uhr: "Die Verwandlung des guten Nachbarn" - Erstausstrahlung Dokumentarfilm von Peter Nestler über Thomas Toivi Blatt
Der Aufstand im Vernichtungslager Sobibór im Oktober 1943 ist ein Schlüsselereignis im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Plan und Ablauf, bei dem 10 SS-Offiziere und mehrere Lagerwachen getötet wurden, sind beispiellos. Einer der damaligen Insassen war Thomas Toivi Blatt, der 1927 im jüdischen Schtetl Izbica in Polen geboren und mit 15 Jahren zusammen mit seiner Familie nach Sobibór gebracht wurde.
Thomas Toivi Blatt, der heute in den USA lebt, ist zusammen mit dem ehemaligen Wehrmachtsdeserteur Egon W. Merten zu Gast in Alfred Bioleks Talkshow "Boulevard Bio". Peter Nestler stellt den Holocaustüberlebenden in seinem Dokumentarfilm am 15. September vor. Blatt ist einer von neun noch lebenden Häftlingen, die bei dem Aufstand in Sobibór fliehen konnten. Im Lager für verschiedene Dienste eingeteilt, musste er mit ansehen, wie Mutter, Vater und Bruder in die Gaskammern geschickt wurden. Beim Aufstand gelang ihm gemeinsam mit 320 weiteren Insassen die Flucht in eine trügerische Freiheit: Alte Freunde, frühere Nachbarn verweigerten die Hilfe, einer seiner vermeintlichen Beschützer versuchte sogar, ihn umzubringen. Vierzig Jahre lang arbeitete Blatt an seinem Lebensbericht, der 2001 unter dem Titel "Nur die Schatten bleiben" in deutscher Sprache erschienen ist. Das Buch folgt seinen Tagebuchaufzeichnungen und zeugt von unglaublichem Überlebenswillen und Kraft.
Peter Nestler hat Blatt, der regelmäßig nach Izbica und Sobibór zurückkehrt, zweimal auf seinen Reisen in Polen mit der Kamera begleitet, im November 2001 und im April 2002. Dabei hat ihn vor allem ein Thema angetrieben, das bereits in seinem vorigen Film "Flucht" eine Rolle spielte: die plötzliche und unbegreifliche Verwandlung von gewöhnlichen Mitbürgern, guten Nachbarn und sogar Freunden in Verräter, Diebe, Peiniger und auch Mörder. Der oft gestellten Frage - was ging in diesen Leuten vor? -, die nicht nur in Bezug auf die Judenverfolgung während des Nationalsozialismus' Relevanz hat, sondern zuletzt im Kosovo und in Bosnien Aktualität bekam, versucht Nestler sich auch mit Hilfe des schwedischen Psychoanalytikers Ludvig Igra zu nähern. Igra, als Sohn jüdischer Überlebender 1945 in Polen geboren, deutet in Form eines parallel montierten Kommentars im Film die Rolle der Nachbarn und Freunde von Thomas Toivi Blatt. Auf diese Weise ist ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm der Erinnerung an den Holocaust entstanden, der gleichzeitig den Traditionen der heute älteren Generation von Dokumentaristen verpflichtet ist.
Peter Nestler, 1937 in Freiburg/Breisgau geboren, sammelte in vielen verschiedenen Arbeiterberufen Erfahrungen, bevor er sich als Dokumentarist einen Namen machte. Mit Rollen in Unterhaltungsfilmen finanzierte er seine eigenen Dokumentarfilme. 1966 wanderte Nestler nach Schweden aus, wo er als Redakteur des Schwedischen Fernsehens arbeitete und bis heute unabhängig Filme realisiert (unter anderem die 3sat-Koproduktion "Flucht" aus dem Jahr 2000). Seine Filmografie umfasst mehr als fünfzig Kurz- und Dokumentarfilme.
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