PHOENIX
Programmhinweis
Mittwoch, 22. November 2000
Bonn (ots)
Zeitgeschichte 8.15 Uhr Das war unser Krieg Unter Menschen - 1940 bis 1943
In den besetzten Regionen und Ländern machten ihre Bewohner unterschiedliche Erfahrungen mit dem Nazi-Terror. In Osteuropa war die Versklavung der Bevölkerung die Regel, die Zerstörung ihrer Kultur und Zivilisation. Nach der Wannsee-Konferenz sollte es für die Juden keine Zukunft mehr geben. Der Holocaust stand auf dem Plan. In anderen Gebieten Europas konnten gewisse Überlebensstrategien ein halbwegs normales Leben ermöglichen. Es gab noch keinen organisierten Widerstand. Dafür aber: Gehorsam, Opportunismus, Erniedrigung und Resignation sowie eine Art Militär-Tourismus. Die Amateurfilme sind in diesem Beitrag mosaik-artig montiert und zeigen so die Widersprüchlichkeit des Lebens in dieser Zeit.
Film von Peter Forgacs, Budapest
Menschen hautnah: 9.15 Uhr Ein Mann sieht braun Im Einsatz gegen ostdeutsche Neonazis
Bernd Wagner, 44, ehemaliger Kriminalpolizist auf den Spuren von Neonazis. Schon zu DDR-Zeiten warnte er vor dem aufkeimenden Rechtsextremismus. Heute analysiert er als Leiter eines mobilen Beratungsteams Taten, Taktik und Treffpunkte ostdeutscher Rechtsextremisten. Sein Fazit: eine braune Alltags- und Jugendkultur macht sich breit in Dörfern und Städten. Neonazi-Kader kontrollieren Schulen und Jugendclubs. Staatliche Stellen reagieren darauf hilflos oder vertuschen. Dort, wo es brennt, unterstützt Wagner die Betroffenen, organisiert zivilen Widerstand. Er sensibilisiert Bürgermeister, Schulleiter und Sozialarbeiter für die nächsten Attacken von Rechts. Birgit Virnich begleitet Bernd Wagner auf seiner Reise durch die ostdeutsche Provinz, durch sogenannte National Befreite Zonen, Stadtteile, in denen Ausländer und Jugendliche vertrieben und verprügelt werden. Film von Birgit Virnich
13.30 Uhr Den Neonazis auf der Spur - Unterwegs mit einem Einsatzkommando
Ausländer haben in Mecklenburg-Vorpommern ein 25mal höheres Risiko, Opfer rassistischer Gewalt zu werden als in Westdeutschland. Ausländerfeindliche Angriffe in Ostvorpommern gehören so sehr zum Alltag, dass viele Gewalttaten, die noch vor zehn Jahren für helle Empörung gesorgt hätten, heute gar nicht oder nur als kleine Meldung in der Zeitung auftauchen. Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern hat sich vorgenommen, intensiv gegen die ausländerfeindliche Gewalt vorzugehen und im Sommer letzten Jahres MAEX, die Mobile Aufklärung Extremismus ins Leben gerufen. Speziell zusammengestellte Teams des Landeskriminalamtes observieren gezielt die Szene und intervenieren bei Gewaltsituationen vor Ort. Die Beamten der MAEX-Teams sind meist nicht viel älter als der Durchschnitt ihrer Klientel, unter den Mitgliedern finden sich mehrere junge Frauen. Fünf Einheiten der MAEX sind jeden Abend in Mecklenburg unterwegs. Die Reportage wird eine Patrouille der LKA Eingreifgruppen durch die Hochburgen der Neonazi-Szene in Rostock und Umgebung dokumentieren. Das MAEX-Team besucht hier zum Beispiel Szene-Discos und Skin-Konzerte. In den Wäldern Mecklenburgs gibt es Trainingscamps der Szene, die von den Beamten observiert werden. Ein Laden, der die rechtsradikale Szene mit Uniformen, CD's und Literatur ausstattet, und Lokale, die NPD-Veranstaltungen durchführen, stehen ebenso unter Beobachtung des Sonderkommandos. Film von John Goetz
14.00 Uhr Das kurze Leben des Omar Ben Noui
Er wurde in der brandenburgischen Stadt Guben in einer Winternacht verfolgt, gejagt und zu Tode gehetzt: Farid Guandoui, ein algerischer Asylbewerber, verblutet im Treppenhaus eines Plattenbaus am Rand der Kleinstadt. Die blutige Tat und das Schicksal des jungen Mannes, der sich in Deutschland Omar Ben Noui nannte, löste bei vielen Menschen Betroffenheit und Empörung aus. Die Stadt Guben ist seitdem in den Schlagzeilen, als Symbol für rechte Gewalt in Ostdeutschland. Klammheimlich gibt es aber auch Sympathien für die Täter oder Entschuldigungen für ihre Tat. Der Gedenkstein für Omar Ben Noui in Guben wurde mehrfach geschändet. Am Montag nun geht nach einem monatelangen quälenden Verfahren der Prozess gegen die beteiligten jungen Männer zu Ende.
Zum Abschluss des Prozesses, de sich nach Einschätzung kritischer Beobachter viel zu lange hinzog, zeichnet ORB-Autor Kristian Kähler ein Bild des Opfers. Warum kam Farid Guandoui nach Deutschland, wie lebte er als Asylbewerber und was geschah in jener Nacht, als die rechten Jugendlichen aus Guben Jagd auf Ausländer machten? "Das kurze Leben des Omar Ben Noui" wird beschrieben aus der Sicht der Freunde und Bekannten des Algeriers. Kristian Kähler und Samuel Schirmbeck (ARD-Studio Algier) ist es zudem zum ersten Mal gelungen, die Familie des Opfers vor die Kamera zu bekommen. Der Film ist eine stille Anklage gegen die Gewalt und den Hass in Deutschland gegenüber Fremden, Ausländern und Schwachen.
Film von Kristian Kähler
Gesellschaft 18.30 Uhr Ein Hauch von Orient Türkischer Alltag in Nürnberg-Gostenhof
Zwischen "Plärrer", Müllverbrennungsanlage und Autobahn liegt der Nürnberger Stadtteil Gostenhof - auch "Gostanbul" genannt, wegen der vielen Türken, die dort leben und arbeiten und mit gewissem Stolz zugeben, dass einige Straßen tatsächlich an Istanbul erinnern: Da reihen sich türkische Lebensmittelläden an türkische Restaurants, türkische Arztpraxen, Reisebüros und Immobilienmakler. Und natürlich gibt es auch einen Gebetsraum mit Teestube und einen türkischen Imam - wie der islamische Geistliche genannt wird. Auch wenn sie die Türkei als ihre eigentliche Heimat betrachten - daheim sind die Gostenhofener Gastarbeiter in Nürnberg. Vielen ist das erst in letzter Zeit bewusst geworden, seit die erste Gastarbeiter-Generation in Rente und zurück in die alte Heimat geht. Doch immer mehr fühlen sich dort nicht mehr richtig zu Hause und kehren nach Deutschland zurück. In der zweiten und dritten Generation ist das "Zurückgehen" oft gar kein Thema mehr: In Deutschland aufgewachsen gleicht ihr Alltag und Berufsleben dem der Deutschen weit mehr als den Verwandten in der Türkei. Film von Meinhard Prill
Wirtschaft und Soziales 19.15 Uhr Vom Fischen und Fangen Von Fischstäbchen und anderen Kostbarkeiten - ein Lebensmittel wird knapp
Aneinandergereiht reichen sie von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen, die fritierten kleinen Quader, die Tag für Tag aus der größten Fischstäbchenfabrik der Welt vom Band laufen. In Bremerhavens Fischfabrik der Superlative wird verarbeitet, was die Weltmeere zu bieten haben: Kabeljau aus der Barentsee, Seelachs aus dem Nordatlantik oder -pazifik, Seehecht aus den Gewässern vor Südamerika und Afrika. 84 Prozent aller Fischprodukte auf deutschen Tellern sind importiert. Das ahnt kaum ein Verbraucher, genau so wenig weiß er, dass fast zwei Drittel der weltweiten Fischbestände gefährdet sind. Auf den Tellern der Verbraucher landet immer mehr Fisch, aus immer weiteren Regionen, zu immer billigeren Preisen. Ein Überfluss, der einen Konflikt verschleiert: Vor vielen Küsten droht dem Fischfang der Kollaps, hunderttausende Arbeitsplätze in der Fischereiindustrie sind in Gefahr, militärische Muskelspiele um Fischgründe weiten sich aus. Weder den Fischfilets noch den Fischstäbchen sieht man das an. Der Film beschreibt ein globales Problem, das auf unseren Tellern beginnt. Ein Film von Thomas Weidenbach fotos über www.ard-foto.de
20.15 Uhr Kamingespräch Lothar de Maizière im Gespräch mit Klaus Peter Siegloch
21.15 Uhr Die de Maizières - Eine deutsch-deutsche Familie
Sie hat deutsch-deutsche Geschichte geschrieben: die Familie de Maizière. Und sie repräsentiert wie kaum eine andere das Thema Teilung - sie ging mitten durch die Familie.
Der eine de Maizière hat die Gründerjahre der Bundesrepublik Deutschland mitgestaltet. Ursprünglich wollte Ulrich de Maizière Musik studieren, doch 1930 trat er in die Reichswehr ein. Nach Krieg und britischer Kriegsgefangenschaft arbeitete de Maizière erst in einer Buchhandlung, stieß aber dann schon bald zur Dienststelle Blank, der Keimzelle des späteren Verteidigungsministeriums. Er gilt als einer der Väter der "Inneren Führung". Von 1966 bis zu seiner Pensionierung 1972 war er Generalinspekteur der Bundeswehr. Aber weit über seine militärische Funktion hinaus hat Ulrich de Maizière durch enge Kontakte zu den Kanzlern Erhard, Kiesinger und Brandt politisch gewirkt.
Der andere de Maizière steht für die deutsche Einheit. Als erster freigewählter Ministerpräsident der DDR arbeitete Lothar de Maizière, Neffe und Patenkind Ulrich de Maizières, konsequent an der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Dabei war der Musiker eher durch Zufall in die Politik gekommen. Eine Nervenerkrankung erzwang 1969 den Berufswechsel: De Maizière wurde Rechtsanwalt. Ebenso steil wie die politische Karriere war sein Sturz aufgrund von Stasi-Vorwürfen, die bis heute weder entkräftet noch bestätigt werden konnten.
Ulrich de Maizière und Lothar de Maizière: Zwei Lebensläufe in zwei Systemen. Jahrelang durften sich beide nicht sehen, Ulrich de Maizière war Geheimnisträger der NATO. Trotzdem haben die unterschiedlichen Lebenswege einiges gemeinsam. Ihre Wurzeln: Eine hugenottische Familie aus Metz, die nach Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 nach Preußen floh. Ihre Leidenschaft: Die Musik. Ihre politische Haltung: Christlich geprägter Konservativismus. Beide Männer fanden nach der Wende auch über den Sohn Ulrich de Maizières, Thomas, zusammen. Der wurde 1990 Berater des CDU-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Lothar de Maizière.
Der Film zeichnet die Lebenswege der de Maizières nach. Und er versucht, sich der Lebensphilosophie der hugenottisch-preußischen Familie anzunähern. "Ich tue es, weil es meine Pflicht ist" - mit diesen Worten stellte sich Lothar de Maizière 1990 der Wahl zum DDR-Regierungschef. Ähnlich nannte Ulrich de Maizière eine seiner Autobiographien: "In der Pflicht". Film von Thomas Grimm
22.00 Uhr Bilanz eines Experimentes - Die Öffnung der Stasi-Akten
Anfang Oktober schied der oberste Hüter von 180 Km Akten der Staatssicherhit, Joachim Gauck, aus seinem Amt. Nach der friedlichen Revolution im Herbst 1989 und dem Beitritt der DDR im Oktober 1990 war die Gauck-Behörde neben der Treuhand die wichtigste Institution im vereinigten Deutschland. Der Liedermacher Wolf Biermann zieht im Beitrag von Ulrich Neumann seine ganz persönliche Bilanz. Am Beispiel der eigenen Akte schildert er, wie das strategische Konzept der Stasi zur Zersetzung mißliebiger Bürger aussah. Darüber hinaus spart er auch nicht mit Kritik an der Behörde und ihrem Leiter. Film von Ulrich Neumann
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