Phoenix-Programmhinweise
Jeweils Sonntag um 11.45 Uhr
16. März, 23. März, 30. März, 6. April, 13. April und 27. April und Sonntag, 20. April, 10.15 Uhr
Bonn (ots)
PHOENIX-Erstausstrahlungen der Sendereihe
Meine Geschichte - Nach dem Krieg
Mit sieben neuen Folgen unter dem Titel "Nach dem Krieg" führt PHOENIX seine erfolgreiche Sendereihe "Meine Geschichte" fort. Auch in den letzten Folgen der vierten Staffel kommen wieder Zeitzeugen zu Wort, die durch ihre Erzählungen Geschichte eindrucksvoll vermitteln und nacherlebbar machen.
Moderation der Sendung: Jürgen Engert
Redaktion: Margit Schedler
Sonntag, 16. März 2003, 11.45 Uhr
Meine Geschichte: Nach dem Krieg 7. Folge: Willi Stern
Willi Stern aus Wien war 17 Jahre alt, als er 1938 mit seiner Mutter innerhalb von vier Tagen die Wohnung räumen musste. Der Grund: Ein Nachbar hatte die jüdische Familie denunziert, weil er selbst in ihre geräumige Wohnung einziehen wollte. Familie Stern wurde gezwungen - wie alle Wiener Juden - sich in einem der so genannten "Judenbezirke" einzuquartieren. Mitnehmen konnten sie nur wenige Habseligkeiten.
Durch die Vermittlung des Oberrabbiners Murmelstein fand Willi Stern Arbeit bei der "Zentralstelle für jüdische Auswanderung". Dort erstellte er Vermögensverzeichnisse ausreisewilliger Wiener Juden, die an das Reichssicherheitshauptamt nach Berlin weiter geleitet wurden. "Die Statistik hat mir das Leben gerettet", sagt Willi Stern. Für unzählige andere jüdische Gemeindemitglieder bedeuteten sie jedoch das Todesurteil, denn auf Grund dieser Listen stellte die Gestapo später die Transportlisten in die Konzentrationslager zusammen. Willi Stern muss mit dieser schuldhaften Verstrickung weiter leben. Nach Kriegsende hatte er sich vor der österreichischen Staatspolizei dafür zu rechtfertigen, dass er überlebt hat. "Das Glück, überlebt zu haben, ist eigentlich unverdient, für das, was ich gemacht habe. Ich habe nämlich nichts gemacht".
Er studierte Medizin, wurde Chef des Spitals der Jüdischen Kultusgemeinde und ging als leitender Arzt des Heeresspitals in Wien in Pension. Nach dem Ende der Naziherrschaft erhielt Stern die elterliche Wohnung wieder zurück, in der er heute noch lebt.
Wiederholung: Montag, 17. März, 0 Uhr, und Samstag, 22. März, 11.15 Uhr
Sonntag, 23. März 2003, 11.45 Uhr
Meine Geschichte - Nach dem Krieg 8. Folge: Gertrude Schneider
Prof. Gertrude Schneider wurde 1928 als Gertrude Hirschhorn in Wien geboren. Im Februar 1942 wurde sie als 14-jährige mit ihren Eltern und ihrer Schwester nach Riga deportiert. Dem sofortigen Abtransport ins KZ entkam die Familie nur durch die Strenge des Vaters, der darauf bestand, dass man nicht in den Bus einsteigt, sondern sechs Kilometer durch Eiseskälte zu Fuß geht. Jahrzehnte später fand Gertrude heraus, dass die 700 Menschen sofort umgebracht wurden. Zwei Jahre später wurde das Rigaer Ghetto aufgelöst. Gertrude kam ins KZ Kaiserwald bei Riga, anschließend nach Stutthof bei Danzig. Als letzte Station des Martyriums wurde sie auf die Todesmärsche geschickt.
Am 1. Juni 1945 kam sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwester nach Wien zurück. Sie hatten gehofft, mit offenen Armen empfangen zu werden, aber sie fanden ihre Heimatstadt völlig verändert vor. Die jüdischen Freunde und Verwandten waren nicht mehr da. Die Hoffnung, den Vater zu finden, trieb sie an. Ein paar Wochen später erfuhren die Schwestern Hirschhorn von einem Mithäftling, dass ihr Vater am allerletzten Tag vor der Befreiung des KZ Buchenwald umgekommen war. Mutter und Töchter hielt nun nichts mehr in Wien, sie fühlten sich wie in Feindesland. Sie wurden wie lästige Ausländer behandelt, die man so schnell wie möglich wieder los werden wollte - auch von den ehemaligen Nachbarn.
1946 veröffentlichte sie ihre Erlebnisse in einem Artikel mit dem Titel "Fahrt ins Grauen". Damit löste sie das Versprechen ein, das sie ihrem Vater gegeben hatte, der Nachwelt alles zu erzählen und die Namen der Mörder zu nennen. 1947 wanderte die Familie in die USA aus, Gertrude studierte Mathematik. Mit 40 Jahren begann sie, Geschichte zu studieren. 1972 promovierte sie mit einer Dissertation über die Geschichte des Rigaer Ghettos. Sie profilierte sich als Professorin mit Forschungen über das Schicksal der Juden in Lettland und Österreich. Bis 1997 war sie zudem Chefredakteurin der deutschsprachigen Exil-Zeitschrift "Aufbau".
Wiederholungen: Montag, 24. März, 0 Uhr, und Samstag, 29. März 2003, 11.15 Uhr
Sonntag, 30. März 2003, 11.45 Uhr
Meine Geschichte - Nach dem Krieg 9. Folge : Asher Ben Nathan
Asher Ben Nathan gelang es 1938 gerade noch rechtzeitig, nach Palästina auszuwandern. Unmittelbar nach dem Krieg kehrte er in seine Heimatstadt Wien zurück, die er als völlig fremde Stadt empfand. "Das hatte mit dem Wien, das ich erlebt hatte, nichts mehr zu tun." Er traf niemanden mehr, den er kannte.
Vor seiner Rückkehr nach Österreich hatte er Neueinwanderer nach Kriegsverbrechern befragt. So gelang es ihm, eine Liste von 700 Kriegsverbrechern zusammen zu stellen, deren Spur er in Wien weiter verfolgte, darunter auch Adolf Eichmann und Alois Brunner.
1945/46 organisierte er die Einwanderung osteuropäischer Juden nach Palästina. Das war illegal, denn die Mandatsmacht Großbritannien bekämpfte die jüdische Immigration.
Anders die Amerikaner, mit deren Geheimdiensten OSS und CIC er zunächst eng zusammen arbeitete. Doch seit Herbst 1947 änderte sich die Stimmung. Die Amerikaner verloren das Interesse an der Jagd auf ehemalige Nazis. Mit dem heraufziehenden Kalten Krieg knüpften sie Kontakte zu den alten Nazis und benutzen sie für ihre Zwecke: zur Bekämpfung des Kommunismus. Damit endete auch Asher Ben Nathans Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Geheimdienst. 1965 wurde er erster Botschafter Israels in der Bundesrepublik. Bis heute ist er Vorsitzender der Israelisch-deutschen Gesellschaft.
Wiederholungen: Montag, 31. März, 0 Uhr, und Samstag, 5. April, 11.15 Uhr
Sonntag, 6. April 2003, 11.45 Uhr
Meine Geschichte - Nach dem Krieg 10. Folge: Gustave M. Gilbert
Gustave M. Gilbert, geboren 1911 in New York, war Gerichtspsychologe beim Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg 1945/46. Schon während des Krieges war er wegen seiner guten Deutsch-Kenntnisse bei Verhören mit gefangenen deutschen Soldaten eingesetzt worden. Mit jedem der 23 in Nürnberg angeklagten Nazi-Größen führte er täglich ausführliche Gespräche unter vier Augen, die er später als "Nürnberger Tagebuch" veröffentlichte.
Als erfahrenem Psychologen gelang es ihm, tief in die monströse Gedankenwelt der Häftlinge einzudringen. Sein Hauptinteresse galt der Frage, was Menschen dazu gebracht hatte, sich der Nazi-Bewegung anzuschließen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Die Gefangenen waren dankbar, in ihm ein Gegenüber für ihre Selbstrechtfertigungen und ihr Selbstmitleid zu haben und aus der Isolation ihrer Einzelzellen heraus zu kommen. So wird Gilberts Bericht zu einem außergewöhnlichen Dokument über das Innenleben der Nazi-Eliten.
Gilbert berichtet auch von den Versuchen Görings, die Mitangeklagten unter Druck zu setzen. Göring wies die Schuldfrage zynisch als Siegerjustiz ab, rechnete aber nach Gilberts Aussage damit, schuldig gesprochen zu werden. Gilbert bescheinigt ihm ein pathologisches Geltungsbedürfnis. Görings größte Sorge war die um seinen Platz in den Geschichtsbüchern. Deshalb nahm er Gift. Er wollte nicht als gehenkter General in die Geschichte eingehen.
Aufgrund seiner Erkenntnisse im Nürnberger Prozess sagte Gustave M. Gilbert 1961 als Zeuge der Anklage im Eichmann-Prozess in Jerusalem aus. Beruflich beschäftigte sich der Professor für Psychologie später mit der Resozialisierung von Strafgefangenen.
Wiederholungen: Montag, 7. April, 0 Uhr, und Samstag, 12. April, 11.15 Uhr
Sonntag, 13. April 2003, 11.45 Uhr
Meine Geschichte - Leben im Krieg 11. Folge: Robert W. Kempner
Im Nürnberger Prozess gegen die Kriegsverbrecher des Nazi-Regimes 1945/46 treffen zwei Männer aufeinander, die sich schon zu Beginn der NS-Diktatur, im Februar 1933, gegenüber gestanden hatten: Robert W. Kempner, Jahrgang 1899, zur Zeit des Prozesses im Dienst der amerikanischen Anklagebehörde, und Hermann Göring, der zweite Mann in der Hierarchie hinter Hitler, als einer der Hauptangeklagten. 12 Jahre zuvor hatte Göring dafür gesorgt, dass Kempner als Justiziar im Preußischen Innenministerium aus dem Amt entfernt wurde. Nach der Verhaftung durch die Gestapo floh dieser über Italien und Frankreich in die USA.
Kempner war der einzige der alliierten Anklage-Vertreter, der mit den Angeklagten in ihrer Muttersprache sprechen konnte. So berichtete Robert W. Kempner von Dialogen ganz eigener Art: Als ihm Göring bei einer Vernehmung vorhielt, er sei doch gegen ihn eingenommen, entgegnete Kempner: "Keineswegs. Sie haben mir ja doch das Leben gerettet. Wenn ich nicht im Februar 1933 rausgeschmissen worden wäre, wäre mir wahrscheinlich ganz was anderes später passiert."
Rachegedanken und den Vorwurf der Siegerjustiz wies er von sich. So schickte er beispielsweise lange nach Görings Selbstmord dessen letzen Brief an die Witwe. Das Thema NS-Verbrechen ließ ihn sein Leben lang nicht mehr los. Als Anwalt, der in Frankfurt und in den USA zugelassen war, trat er in zahlreichen Wiedergutmachungs-Verfahren auf. Darüber hinaus schrieb er mehrere Bücher. Er fordert in dem 1974 aufgenommenen Interview die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes, ein Wunsch, der mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal inzwischen realisiert wurde. Robert W. Kempner starb 1993.
Wiederholungen: Montag, 14. April, 0 Uhr, und Samstag, 19. April, 11.15 Uhr
Sonntag, 20. April 2003, 10.15 Uhr
Meine Geschichte - Nach dem Krieg 12. Folge: Susanne von Paczensky
Susanne von Paczensky war eine der wenigen Deutschen, die - seinerzeit noch unter ihrem Mädchennamen Susanne Czapski - als Beobachterin bei den Nürnberger Prozessen gegen die Hauptrepräsentanten des Hitler-Regimes zugelassen war. Sie war eine junge Journalistin von 22 Jahren, die für die DENA arbeitete, eine von amerikanischen Besatzungsoffizieren gegründete Nachrichtenagentur, die für die deutschen Zeitungen in der amerikanischen Zone zunächst fast die einzige Nachrichtenquelle war. Für die junge Frau bedeutete dies eine große Chance, sowohl beruflich als auch materiell. Die amerikanischen Kollegen waren durchaus auch als Zigarettenlieferanten geschätzt, wie sie erfrischend offen erzählt. Aber auch umgekehrt benutzte man sie als Informationsquelle über die Stimmungslage der deutschen Bevölkerung.
Die Arbeit beim Nürnberger Prozess wurde für sie zum wichtigen Grundstein für ihren politischen Standpunkt, einerseits wehrte sie sich gegen eine pauschale Verdammung aller Deutschen, andererseits kämpfte sie gegen das Vorurteil vieler ihrer Landsleute von der Siegerjustiz der Alliierten.
Susanne von Paczensky wurde eine bekannte Autorin und Soziologin, schrieb Zeitungsartikel und verfasste Bücher. Sie war auch selbst politisch aktiv und engagierte sich in der Frauen-, Friedens- und Umweltbewegung. Sie lebt heute in den USA.
Wiederholungen: Montag, 21. April, 0 Uhr, und Samstag, 26. April, 11.15 Uhr
Sonntag, 27. April 2003, 11.45 Uhr
Meine Geschichte - Nach dem Krieg 13. Folge: Minor K. Wilson
1945 kam Minor K. Wilson als junger Anwalt im Stab von General Clay, dem stellvertretenden Militärgouverneur der USA, nach Deutschland. Seit 1942 in der US-Armee, arbeitete er bereits vor der Invasion der Alliierten im Londoner Planungsstab von General Clay mit, wo die Besetzung Deutschlands geplant wurde.
Die Siegermächte hatten sich zum Ziel gesetzt, aus den 8,5 Millionen NSDAP-Mitgliedern und den ungezählten Millionen von Mitläufern Demokraten zu machen. "Entnazifizierung" hieß das Stichwort. Jede Siegermacht betrieb die Umerziehung in ihrer Zone jedoch autonom. 1946 erließen die Amerikaner für ihre Zone das "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus". Mit Hilfe eines Fragebogens wollte man die individuelle Schuld und Verstrickung mit dem NS-Regime ermitteln. Minor K. Wilson war der "Erfinder" dieses Fragebogens.
Er berichtet von ursprünglichen Überlegungen, nur Amtsträger, Mitglieder von NS-Organisationen, Polizeikräfte etc. zu befragen und zu bestrafen, um die Zahl zu begrenzen. Die Ermittlungen der Spruchkammern wurden dann jedoch erheblich ausgeweitet. Wilson erzählt selbstkritisch, dass mehrere Amnestien dazu führten, dass die Entnazifizierung nie richtig in Gang kam. Andererseits dienten die Amnestien dem Zweck, die riesige Menge der Untersuchten zu reduzieren. Rückblickend war sich Wilson in dem 1974 geführten Interview nicht sicher, ob die Deutschen die Befreiung von der nationalsozialistischen Bürde nicht mit mehr Enthusiasmus betrieben hätten, wenn ihnen das Gesetz nicht von den Siegern aufgezwungen worden wäre. Der Fragebogen allein war wohl nicht ausreichend für die Entwicklung eines demokratischen Bewusstseins. Nur zehn Prozent der Angeklagten wurden verurteilt. 1948 wurde das Gesetz eingestellt.
Positiv hebt Minor K. Wilson hervor, dass es durch die Fragenbogenaktion gelang, die richtigen Leute für wichtige Funktionen herauszufiltern, z.B. Konrad Adenauer, Ernst Reuter, Willy Brandt, aber auch viele unbekannte Deutsche, die in den Kriegsgefangenenlagern rekrutiert wurden.
Wiederholungen: Montag, 28. April, 0 Uhr, und Samstag, 3. Mai, 11.15 Uhr
Rückfragen:
PHOENIX Kommunikation, Ingo Firley, Telefon 0228/9584 193, Fax 0228/9584 198
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