phoenix Erstausstrahlung: UNTER DEM RADAR?
Train as you fight - Wie die Bundeswehr ukrainische Soldaten ausbildet
Bonn (ots)
TV-Erstausstrahlung: Mittwoch, 10. Juli 2024, 21:00 Uhr / In den Mediatheken von ARD und ZDF ab Dienstag, 09.Juli 2024
Reportage von Oliver G. Becker, phoenix/2024
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich zu einem Stellungs- und Abnutzungskrieg entwickelt. Um gegen die militärische Großmacht Russland standhalten zu können, braucht die ukrainische Armee neben schlagkräftigen Waffen vor allem gut ausgebildete Soldaten. In Europa hat sich die Bundeswehr - abseits der öffentlichen Wahrnehmung - durch die EU-Mission ST-C EUMAM zu einem der wichtigsten Ausbilder der ukrainischen Streitkräfte entwickelt. Für seine Reportage "Unter dem Radar?- train as you fight - wie die Bundeswehr ukrainische Soldaten ausbildet" hat Oliver G. Becker das überlebenswichtige Training der Soldaten an verschiedenen Orten in Deutschland begleitet - und dabei einzigartige Einblicke erhalten.
Deutschland unterstützt den Befreiungskampf der Ukraine nicht nur mit humanitärer Hilfe, Geld und umfangreichem Militärgerät. Auch durch hoch qualifizierte Ausbildung ukrainischer Streitkräfte an deutschen Standorten trägt die Bundeswehr einen wichtigen Teil zur Verteidigungsfähigkeit des Landes bei. Mit bis zu 20.000 Männern und Frauen, die hier trainiert werden, übernimmt Deutschland innerhalb der NATO den größten europäischen Ausbildungspart. In der deutschen Öffentlichkeit ist diese kostspielige und personalintensive Form der Militärhilfe bislang kaum bekannt.
Die Kameras sind hautnah dabei, wenn ukrainische Soldaten nach Deutschland kommen, um hier an komplexen Waffensystemen oder im Häuserkampf trainiert zu werden. Nicht wenige kommen direkt von der Front - und kehren nach Ausbildungsende auch dorthin sofort zurück. Die Reportage zeigt eindrücklich, worauf die ukrainischen Einheiten achten müssen, wenn sie nicht in eine der zahllosen Sprengfallen laufen wollen, die von den Russen im Kriegsgebiet versteckt wurden. Zwei Drittel der auszubildenden Kämpfer sind Zivilisten ohne militärische Erfahrung.
An einem Bundeswehr-Standort dolmetschen zwei junge ukrainische Studentinnen militärische Anweisungen der NATO-Ausbilder für ihre Landsleute: "Wir studieren in Kiew Germanistik. An der Uni gab es einen Aushang, dass die Armee Leute sucht, die Deutsch sprechen, um unseren Soldaten beim Training hier in Deutschland die Trainingsinhalte zu übersetzen. Wir können nicht mit Waffen kämpfen, aber unsere Waffe ist die Sprache", erläutert eine der Studentinnen ihre Motivation. "Es geht hier nicht nur um Demokratie, - es geht um unser Leben", ergänzt die andere nachdenklich. So übersetzen sie simultan ins Ukrainische, wie man eine Tür sprengt, wie man Sprengstoff in Alltagsgegenständen benutzt, wie man ein Gebäude stürmt oder Panzerabwehr Minen identifiziert.
Ein anderer Standort, eine andere Ausbildungseinheit. An Land erinnern die futuristisch anmutenden Amphibienfahrzeuge an überdimensionierte Reisebusse. Wenn sich ihre obere Hälfte plötzlich teilt, die M3 Amphibie mit Geschwindigkeit und brachialer Kraft ins Wasser taucht, wird aus den behäbigen "Bussen" binnen weniger Minuten ein riesiges Floß oder - aus mehreren zusammen - eine Schwimmbrücke. So können sie schnell und agil Nachschub, schwere Transportfahrzeuge und sogar Kampfpanzer über Gewässer und Sümpfe transportieren. Deutschland und Großbritannien besitzen mit der M3 Amphibie weltweit - und damit auch innerhalb der NATO - ein Alleinstellungsmerkmal.
Bei ihrer Ausbildung lernen die Ukrainer von deutschen und britischen Ausbildern den sicheren Umgang mit den riesigen Gefährten zu Wasser und zu Land. Schnelle Auffassungsgabe, technisches Verständnis, räumliches Vorstellungsvermögen und Präzision: Auch das üben die ukrainischen Solddaten täglich zehn, zwölf Stunden, sechs Tage die Woche. Wie entschlossen und einsatzbereit gediente und neue Rekruten in Deutschland militärisches Rüstzeug lernen, sehen die Zuschauerinnen und Zuschauer in eindrucksvollen Bildern. Gleichzeitig erfahren sie aus erster Hand von den Front-Erfahrungen ukrainischer Kriegsteilnehmer: "Als ich im Krieg mit den ersten Verwundeten und Toten konfrontiert wurde, hat sich auch meine Wahrnehmung verändert. Sie war nicht mehr alltäglich, sie wurde zu einem integralen Bestandteil eines Prozesses in mir. Leider musste ich feststellen, dass je menschlicher, je humanitärer du bist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass du stirbst." (Pjotr, Panzerkommandant Leopard 1A5, ehem. Finanzbeamter Kiev.)
Auch Generalleutnant Andreas Marlow, Kommandeur der EU-Ausbildungsmission EUMAM, weist auf die Bedeutung des Trainings hin: "Da wir ja alle wissen, dass die schieren Zahlenverhältnisse zwischen Russland und der Ukraine eher zu Gunsten Russlands sprechen, müssen wir versuchen, insbesondere durch die Qualität in der Ausbildung und der Ausrüstung auszugleichen. (...) Ich habe persönlich das Gefühl, dass ich einen Beitrag leisten kann, dass die Ukraine erfolgreich ist in ihrem Kampf gegen diese russische Aggression. Und das ist für mich ein befriedigendes Gefühl, das muss ich sagen."
Zum Ausbildungseinsatz der Deutschen äußert sich der Historiker Prof. Sönke Neitzel im Film: "Die Bundeswehr strengt sich sehr an, sie ist sehr engagiert. Sie versuchen, alles für eine gute Ausbildung zu tun. Es gibt ja auch persönliche Beziehungen, wenn sie die Leute, die Besatzung an einem Panzer ausbilden. Und die meisten wissen auch, dass viele von denen, die sie schon ausgebildet haben, heute tot sind."
Roderich Kiesewetter, CDU-Obmann der Unionsfraktion im Auswärtigen Ausschuss und Oberst a.D., ordnet die geopolitische Lage ein: "Die Ukraine ist in einem furchtbaren Dilemma: Hunderttausende Soldaten haben seit zwei Jahren ihre Familien nicht mehr gesehen, viele sind gefallen. Die Mütter zeigen ihren Kindern Fotos oder Videos der Väter, die über ein Jahr alt sind, weil es die Väter gar nicht mehr gibt. Sie trauen sich nicht, das zu sagen. Das ist ein Land, das unter ungeheurem Druck lebt."
Die Reportage wird erstmals am Mittwoch, 10. Juli 2024 um 21:00 Uhr auf phoenix ausgestrahlt und bereits ab Dienstag, den 09. Juli 2024 in den Mediatheken von ARD und ZDF zur Verfügung stehen.
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