Mutter eines Loveparade-Opfers bei stern TV: "Es ist, als wäre mein Sohn zum zweiten Mal gestorben"
Köln (ots)
Seitdem ihr damals 25-jähriger Sohn Christian 2010 in der Massenpanik der Duisburger Loveparade starb, hatte Gabriele Müller auf einen Prozess gehofft, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Dass das zuständige Landgericht das Hauptverfahren nun nicht eröffnen wird, war ein Schock für sie: "Es war, als wäre Christian ein zweites Mal gestorben, es war dasselbe Gefühl, dieselbe Ohnmacht. Diese Nachricht des Landgerichts war wie die Nachricht von seinem Tod", so Müller live bei stern TV. Der Prozess, so Müller, wäre wichtig für sie gewesen. "Man muss doch wissen, warum unsere Kinder gestorben sind, wer dafür verantwortlich ist. Sie mussten ihr Leben lassen und ich finde, das Mindeste ist ein fairer Prozess." Die Begründung des Landgerichts kann Müller nicht nachvollziehen. "Ich finde es traurig, dass sich die ganze Anklageschrift nur auf einem einzigen Gutachten aufbaut. Es gibt doch noch andere Beweise wie Videos. Das verstehe ich nicht", so Müller live bei stern TV.
Auch Manfred Bauknecht hat kein Verständnis für die Entscheidung der Richter. "Was ist das für ein Zeichen - es können einfach so 21 Menschen sterben und niemand ist verantwortlich?", kritisierte der 33-Jährige. Bauknecht war - wie auch Christian Müller - im Juli 2010 zum Tanzen und Feiern zur Duisburger Loveparade gereist, überlebte die Tragödie nur knapp. Er filmte die Katastrophe und versuchte zudem, anderen Festival-Besuchern zu helfen. "Eine Frau und ein Mann lagen leblos am Boden. Ich habe zuerst bei der Frau mehrere Minuten lang versucht, sie zu reanimieren, später den Mann. Bei beiden war es aber letztendlich zu spät", erzählt Bauknecht im Gespräch mit Steffen Hallaschka bei stern TV.
Im Studio zu Gast war auch Strafverteidiger Khubaib-Ali Mohammed, der Bauknecht in der Nebenklage vertritt. Er meint, dass es noch einen Prozess geben wird. "Ich glaube, dass es in der nächsten höheren Instanz eine Möglichkeit gibt, dass es zum Prozess kommen kann. Wir haben Beschwerde eingelegt. Wir sind optimistisch."
Auf der legendären Loveparade mit Tausenden feiernden Menschen aus aller Welt war am 24. Juli 2010 eine Massenpanik ausgebrochen: Mehr als 650 Menschen wurden verletzt, 21 Frauen und Männer starben im Gedränge.
Mehr als fünfeinhalb Jahre nach dem Unglück hatte das Landgericht Duisburg die Eröffnung eines Strafprozesses am Dienstag nun abgelehnt, obwohl die Staatsanwaltschaft vor zwei Jahren Anklage gegen Mitarbeiter der Stadt Duisburg und des Veranstalters erhoben hatte. "Die mit der Anklageschrift angeschuldigten Personen sind nach Auffassung der Kammer keiner hinreichenden Straftat verdächtig", erklärte dazu Landgerichtspräsident Ulf-Thomas-Bender - ein Hauptverfahren könne aber nur dann zugelassen werden, wenn auch die Möglichkeit einer Verurteilung der Angeklagten bestehe.
Die Entscheidung des Landgerichts dreht sich im Kern um ein Gutachten des von der Staatsanwaltschaft bestellten britischen Panikforschers Prof. Keith Still, welches das zentrale Beweismittel war, vom Gericht nun aber als "nicht verwertbar" eingestuft wurde. "Dieses Gutachten ist in sich an zentralen Punkten widersprüchlich", so Bender. Mit solch mangelhaften Beweisen könne kein Prozess geführt werden. "Die Kammer hat sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht. Diese Tragödie lässt niemanden kalt, sie berührt uns alle, auch mich persönlich und auch die mit der Sache befassten Richterinnen und Richter", erklärte der Landgerichtspräsident weiter. Ein neues Gutachten einzuholen, sei nicht möglich - die Strafprozessordnung verbiete dieses.
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