Landeszeitung Lüneburg: Interview mit Christian Wulff (CDU), Niedersachsens Ministerpräsident
Lüneburg (ots)
Der Europäische Gerichtshof hat eine Ära beendet, das VW-Schutzgesetz gekippt. Schluckt jetzt der Zwerg Porsche den Riesen VW? Christian Wulff: Das VW-Gesetz war ein gutes Gesetz. Aber wir akzeptieren das Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Wir sehen VW vor feindlichen Übernahmen durch Investoren geschützt. Porsche und Niedersachsen spielen zusammen die entscheidende Rolle, denn zusammen halten wir mehr als 50 Prozent der Aktien, dagegen ist ein Spekulieren nicht möglich. Porsche wird seine schon bisher große Rolle bei VW weiterspielen. Wir sind froh, dass Porsche Miteigner ist, weil das ein Familienunternehmen mit langfristigen Interessen ist. Schon bisher hat sich Porsche mit seinen Kompetenzen als erfolgreichster Automobilbauer der Welt positiv auf VW ausgewirkt. Ich bin mir mit Porsche und Ferdinand Piëch schon Anfang 2007 einig geworden, dass Niedersachsen zwei Aufsichtsratsmandate behält. Künftig werden diese nicht entsandt, sondern durch die Hauptversammlung gewählt. Wir behalten auch faktisch eine Sperrminorität, denn die Anteile des Landes reichen auf den Hauptversammlungen angesichts nie hundertprozentiger Präsenz aller Aktionäre dafür aus. Niedersachsen wird seine Bedeutung behalten, die von Porsche wird wachsen. Zusammen mit Porsche wollen wir VW neben Toyota zum bedeutendsten Automobilunternehmen der Welt machen. Dieses Jahr wurden 6,2 Millionen Fahrzeuge gebaut, das lässt sich auf zehn Millionen steigern. In den vergangenen Jahren hat VW bei Umsatz, Marktanteilen und Renditen eine eindrucksvolle Entwicklung durchgemacht. Das hat Porsche bewirkt, die Flexibilität der Arbeitnehmer und auch das Land Niedersachsen als Aktionär -- etwa indem wir den Vorstand zu Reformen und zur Arbeitszeiterhöhung ermuntert haben.
Befürchten Sie im Falle einer Porsche-Mehrheit einen Umbau des VW-Konzerns? Wulff: Die Konzernzentrale wird Wolfsburg bleiben, ebenso die Philosophie, dass Arbeitsplätze und Rendite gleichrangige Ziele sind. Porsche-Chef Wendelin Wiedeking ist ein Gegner von Quersubventionen. Müssen sich Konzerntöchter, die rote Zahlen schreiben, warm anziehen? Wulff: Toyota muss sich warm anziehen. Wendelin Wiedeking hat Porsche in einer schwierigen Lage übernommen und saniert. Wenn ihm dies mit Seat, VW in den USA und den neuen Werken in Russland und Indien auch gelingt und am Ende für die Mitarbeiter wie bei Porsche 5200 Euro Mitarbeiterprämie herausspringen, soll das doch den Beteiligten recht sein. Wiedeking hat ein neues Denken in den Konzern gebracht und das habe ich sehr begrüßt. Nicht zuletzt dieses Denken hat auch dafür gesorgt, dass ein Unternehmen mit 11500 Beschäftigten und 90000 produzierten Fahrzeugen diese Stellung in einem Konzern mit 340000 Beschäftigten und 6,2 Millionen Fahrzeugen erlangen konnte.
Ist der Mitbestimmungsstreit zwischen Porsche und VW nur ein Vorgeschmack auf das künftige Verhältnis zwischen Wolfsburg und Stuttgart? Wulff: In den Streit der Betriebsräte will ich mich nicht einmischen. Bei Volkswagen wird sich an der Mitbestimmung nichts ändern. Strittig ist nur die Holdingstruktur. Bei VW sind Betriebsrat und IG Metall feste Größen. Sie sagten, Niedersachsen behält die faktische Sperrminorität. Heißt das, das Land kauft die zur tatsächlichen Sperrminorität fehlenden rund vier Prozent auf keinen Fall? Wulff: Es gibt keine Notwendigkeit, Aktien hinzuzukaufen. Notfalls könnten wir uns beispielsweise mit VW-Mitarbeitern, die Aktien und Fonds halten, poolen, um auf die notwendigen 25,1 Prozent zu kommen. Aber eine Hauptversammlungspräsenz, bei der wir in Schwierigkeiten kämen, die 25,1 Prozent aufzubringen, hat es in den 30 Dax-Unternehmen in den vergangenen 30 Jahren nicht gegeben. Das VW-Gesetz ist auch in der Satzung verankert, die nur mit 80-Prozent-Mehrheit geändert werden kann. Wird Niedersachsen auf Zeit spielen? Wulff: Das wollen wir nicht und wir wollen auch nicht mit juristischen Winkelzügen Rechtsstreite fortführen. Wir werden das EuGH-Urteil eins zu eins umsetzen.
Ist die niedersächsische Ausrichtung von VW unter der Porsche-Vorherrschaft gefährdet? Wulff: Ferdinand Porsche hat seine große Zeit nicht in Stuttgart-Zuffenhausen gehabt, sondern in Wolfsburg. Wir haben die Bande zwischen Niedersachsen und Baden-Württemberg intensiviert, weil wir ähnliche Strukturen und Inte"ressen haben und weil Niedersachsen von den Erfahrungen, die im Süden gemacht worden sind, nur profitieren kann. Zudem hat sich beispielsweise Wendelin Wiedeking sehr für die Vergabe der Golf-Produktion nach Wolfsburg eingesetzt, damit das Hauptwerk -- das größte Werk in Europa -- voll ausgelastet ist. Aber genau diese Philosophie hat dazu geführt, dass Karmann keinen neuen Komplettfahrzeug-Auftrag von VW bekommen hat. Sehen Sie noch Chancen, die 1770 Jobs bei Karmann zu retten? Wulff: Karmann ist für mich derzeit das bedrückendste Thema in Niedersachsen. Die haben einen Super-Werkzeugbau, fähige Ingenieure und boomende Zahlen im Dachbau, aber seit fünf Jahren von keinem Automobilhersteller mehr einen Produktionsauftrag bekommen. Deswegen appelliere ich an die deutschen Automobilhersteller, diese Innovationsschmiede zu nutzen, die unter den 50 erfolgreichsten Unternehmen bei den Patentanmeldungen rangiert. Aber die Vergabe eines Auftrags an Karmann von VW ist die klassische Aufgabe des Vorstandes, da sind die Möglichkeiten der Landesregierung gering.
Sie teilen also die Meinung von Karmann-Betriebsratschef Smolinski, dass "kein Politiker dazu fähig ist, uns einen Auftrag zu besorgen"? Wulff: Ich bin beeindruckt, wie konstruktiv unsere Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat ist, der nie der Gefahr erlag, mich in eine unmögliche Situation zu bringen, etwa indem er gesagt hätte: "Wulff könnte, wenn er nur wollte." Als Land Niedersachsen helfen wir über die Transfergesellschaft, die 500 Mitarbeiter von 700 entlassenen wieder im ersten Arbeitsmarkt untergebracht hat. Für uns ist Karmann das wichtigste Unternehmen im Weser-Ems-Gebiet mit mehr als 6000 Beschäftigten weltweit. Eine gedeihliche Zukunft hängt aber von Aufträgen ab. Sie haben den JadeWeserPort als "das wichtigste Projekt der Landesregierung" bezeichnet. Versinkt der Tiefwasserhafen in den Untiefen von Auftragsgeschacher und Parteienstreit? Wulff: Der Bremer Bürgermeister Böhrnsen (SPD) und ich haben vereinbart, unsere gute Zusammenarbeit beim Tiefwasserhafen nicht durch den Untersuchungsausschuss stören zu lassen. Wir haben die Planfeststellung und die Auftragsvergaben sehr zügig betrieben, wir haben die Finanzierung gesichert trotz schlechter Vorgaben der Vorgängerregierung. Aber zwei Punkte liegen nicht in unserer Hand: Zum Ersten hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg über Einwendungen von Umweltverbänden zu entscheiden. Dieses Risiko haben sie heute bei jedem Großprojekt. Und zweitens gab es beim Vergabeverfahren unterschiedliche Auffassungen über die Vollständigkeit der Unterlagen von Hochtief. Nun hat das Oberlandesgericht Celle die Vergabe an Hochtief für nichtig erklärt. Jetzt bauen wir mit der niedersächsischen Firma Bunte. Dadurch haben wir weder einen Tag verloren noch Mehrkosten zu tragen. Aber der erste Rammschlag hängt vom OVG Lüneburg ab. Und da darf man im Rechtsstaat nicht drängeln. Die Betreiberfirma Eurogate vermarktet den Hafen bereits. Wird der Hafen trotz Verzögerungen 2010 fertig sein? Wulff: Das Unternehmen Bunte hat erklärt, dass es die durch das Verfahren in Lüneburg aufgetretenen Verzögerungen aufholen kann und 2010 realistisch bleibt. Wenn wir sieben Jahre nach der Einigung auf den Hafen-Bau diesen fristgerecht 2010 eröffnen könnten, wäre das sensationell -- zumal in einem Land, über das Kurt Tucholsky gesagt hat: "Wenn die Deutschen nichts mehr haben, Bedenken haben sie immer noch." Bedenken könnte man auch haben, dass der Vertrag mit der JadeWeserPort-Realisierungsgesellschaft (JWP) keine Sanktionen für den Fall von Verspätungen vorsieht. Warum nicht? Wulff: Bei der Frage bin ich überfragt. Aber wir werden ja im Untersuchungsausschuss einiges aufarbeiten müssen über die Modalitäten der Auftragsvergabe. Dann müssen auch die Grünen Farbe bekennen mit ihrem Vorwurf, dass damals Hochtief Koppelgeschäfte angeboten worden seien, etwa mit dem Bau der Kaiserschleuse in Bremerhaven. Wir haben dafür keine Anhaltspunkte. Warum zahlt Niedersachsen 80 Prozent der Zeche, lässt Bremen aber gleichberechtigt mitbestimmen? Wulff: Mir wäre das nicht passiert. Wir haben auch in Nachverhandlungen noch 160 Millionen rausgeschlagen. Aber mein Vorgänger im Amt hat schon sehr "bremisch" verhandelt.
Die deutschen Häfen konkurrieren alle um die größten, zum Teil noch nicht gebauten, Containerschiffe mit einer Kapazität von mehr als 4500 Standardcontainern (TEU). Was, wenn der Boom der Monster-Frachter nicht kommt? Wulff: Weltweit gibt es das Problem, dass manchmal große Schiffe nicht abgefertigt werden können. Aber wenn die Kapazität für große Schiffe vorhanden ist, diese aber nicht kommen, können dafür mehrere kleine Schiffe umso besser abgefertigt werden. Mit einem Tiefgang von 18,5 Metern ist Wilhelmshaven der einzige langfristig gesicherte, tideunabhängige Containerhafen für Deutschland. Das weisen in Europa nur noch Antwerpen und Rotterdam auf. Es gibt keinen besseren Hafen als Wilhelmshaven für die neue Generation großer Containerschiffe. Mancher Reeder könnte sich fragen: Warum sollen wir stundenlang die Elbe hoch und runter fahren? Wilhelmshaven liegt an der deutschen Bucht sehr verkehrsgünstig -- und hat damit eine große Entwicklungsperspektive. Wir beruhigen aber Hamburg damit, dass die Wachstumsraten der Verkehrsströme so groß sind, dass alle genügend zu tun haben werden und davon profitieren. Von der Metropolregion Hamburg partizipieren Stade und Lüneburg. Wir sorgen dafür, dass es weiter greift bis Uelzen, bis Lüchow-Dannenberg.
Selbst nach Ausbaggerungen könnten Container-Riesen mit 16 Metern Tiefgang Hamburg nicht mehr anlaufen. Geplant ist, dass 60 Prozent der Fracht von Wilhelmshaven aus mit kleineren Schiffen an die anderen deutschen Häfen verteilt wird. Gräbt Wilhelmshaven Hamburg das Wasser ab? Wulff: Hamburg wächst weiter und bleibt mit großem Abstand der größte und wichtigste Hafenstandort Deutschlands. Hamburg wird in keiner Weise von anderen Häfen in seiner Entwicklung gebremst oder behindert. Wir wollen Hamburger Hafendienstleistungen über die Süderelberegion vermehrt in Niedersachsen ansiedeln und hier Arbeitsplätze aquirieren. Diese Region kann vom Hamburger Hafen profitieren. Ein Beispiel: Die Winsener Firma Feldbinder baut Spezial-Tanklastzüge und exportiert sie über den Hamburger Hafen per Schiff nach Übersee. Feldbinder hat also einen Standort-Vorteil. Über Jahrzehnte galt der Küs"tenraum als Standortnachteil, weil kein Hinterland da war. Heute -- in Zeiten der Globa"lisierung -- ist das Hinterland die ganze Welt. Damit haben wir Entwicklungen, die so nicht vorhersehbar waren -- von der Energieerzeugung, neuen Chemieanlagen bis hin zu Windkraft-Off-Shore-Anlagen. All das wird Wachstumsraten in Niedersachsen befördern. Der Süden sieht mit Argwohn, dass der Norden in dieser günstigen Situation ist.
Ist ein nationales Hafenkonzept nicht sinnvoller als der parallele Ausbau vieler Standorte? Wulff: Alle Forderungen nach einem norddeutschen Flughafenkonzept oder nach einem gemeisamen Hafenkonzept sind im Kern an Egoismen oder den Anforderungen des Marktes gescheitert. Das wichtigste Kriterium für Hafenausbau muss der private Investor sein, der Hafenstruktur nachfragt. Letztlich müssen Eurogate und andere Hafenbetreiber sagen, wo sie welche Kapazitäten brauchen. Und wenn diese Unternehmen die Infrastruktur mitfinanzieren, werden sie diese auch nutzen. Am Ende kommt es zur Schwerpunktaufteilung. Dann wird eben Brake ein Hafen für Futtermittel, Emden und Cuxhafen werden die Anlagen haben für die Errichtung von Off-Shore-Windkraftanlagen auf offener See, und Hamburg wird sich weiter spezialisieren. Positiv ist, dass wir keinen schwindenden Markt haben, sondern zweistellige Wachstumsraten. Die Häfen können ihre Potenziale weiter entwickeln. In Niedersachsen investieren wir -- außer in Wilhelmshaven -- mehrere hundert Millionen Euro in die Entwicklung der Häfen. Diesen Wachstumspotenzialen folgt der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Dabei bekommt die Autobahn 39 ebenso eine große Bedeutung wie die Hosenträger-Variante und der Ausbau des Schienenverkehrs. Dort wo die Infrastruktur massiv ausgebaut wird, gibt es Wachstumsraten -- weil der Verkehr die Wirtschaft belebt. Will man den Verkehr umweltfreundlich ausbauen, kommt man nicht am Binnenschiff vorbei. Dennoch ist das ein zweischneidiges Schwert. Sinken die Transportkosten nach Deutschland durch exzellente Häfen, steigt die Gefahr der Produktionsverlagerung ins Ausland. Exportieren die Häfen am Ende Jobs? Wulff: Wir müssen ohnehin immer schneller und besser sein als andere. 80 Prozent unserer Wachstumsrate ist exportgetrieben. Analysiert man, wem die Globalisierung nutzt, wird klar, dass Deutschland zu den größten Profiteuren der offenen Märkte zählt.
Die Uni Göttingen darf sich als einzige im Norden zur Elite zählen. Setzten die Kürzungspläne, die 2005 zu einem beispiellosen Professorenstreit führten, an der falschen Uni an? Wulff: Wir haben 2003 eine Neuverschuldung von drei Milliarden Euro gehabt. Die haben wir bis 2008 auf 600 Millionen Euro um sage und schreibe 80 Prozent gesenkt. In dem Zuge sind den Hochschulen Sparauf"lagen in Höhe von 50 Millionen Euro gemacht worden, um die Hochschulstrukturen zu optimieren. Lüneburg ist da mit der Reformuniversität vorbildlich. Wenn man aus fünf eher schwachen Fachbereichen in Niedersachsen vier starke macht, ist das vom Ansatz her einfach richtig. In Göttingen war die Autonomie der Hochschule sehr weit fortgeschritten. Das Land hat so gut wie keinen Einfluss genommen. Es war eine inneruniversitäre Entscheidung, die wir nur schwer von außen wieder korrigieren konnten. Zwischen der Beurteilung der Politologen in Göttingen durch die Uni-Leitung und der durch uns klaffte eine Kluft. Wir wissen, was wir an unseren Göttinger Politologen haben, schätzen ihre Popularität und ihre Wirkung. Dagegen fand innerhalb der Universität eine Debatte über die Wissenschaftlichkeit dieses Fachbereichs statt. Inzwischen haben sich hoffentlich alle Beteiligten arrangiert. Ich bin sehr froh, dass wir Professor Franz Walter halten konnten und zum Beispiel ein neues Max-Planck-Institut für den Dialog der Kulturen bekommen.
Sie haben Niedersachsen als "Land der Technik" bezeichnet, das die besten Autos, Flugzeuge und Schiffe baut. Sollte das Agrarland nicht eher ein "Land der Gentechnik" sein? Wulff: Wir haben eine starke Bio- und Gentechnologie in Niedersachsen und wollen diese Technik weiter fördern, da sie gute Wachstumschancen hat. Da es aber häufig an der Akzeptanz der Gentechnik mangelt, haben wir ein Projekt an Gymnasien begonnen, wo in der Mittelstufe dieses Thema von allen Seiten beleuchtet wird, damit die Schüler die Risiken der Technologie richtig einschätzen können. Wir setzen also an den Schulen an, um im Bereich Chemie, Biologie und Physik einen Resonanzboden für diese künftigen Techniken zu schaffen.
Sollte Verbraucherschutzminister Seehofer dieses Programm auch durchlaufen? Sie hatten jüngst einen Seehofer-Gesetzentwurf kritisiert, der breitere Pufferzonen zwischen Feldern mit Gen-Pflanzen und natürlichen vorsah. Setzt Ihnen Berlin zu viele Hürden? Wulff: Ich habe Kritik geübt, bevor Horst Seehofer den Gesetzentwurf vorlegte. Nun halte ich seine Vorlage mit den Abstands- und Haftungsregelungen im Kern als guten Versuch, zwischen Gegnern und Befürwortern der Technik auszugleichen. Zuvor hatte Seehofer die grüne Gentechnik stark verdammt. Dies war meiner Meinung nach unverantwortlich, denn ich glaube, in der Gentechnik liegt ein großes Wachstumspotenzial. Ich verspreche mir vor allem von der Entwicklung energetischer Pflanzen viel, Pflanzen, die doppelt so schnell wachsen, aber nur halb so hoch werden und dennoch doppelte Energieeffizienz haben.
Der Klimawandel beutelt auch Niedersachsen. Wann werden die Deiche fit sein für die kommenden Sturmfluten? Wulff: Bis 2022 müssen wir ein anspruchsvolles Programm abarbeiten. Wir richten uns da"rauf ein, dass der Meeresspiegel bis 2100 mehr als 50 Zentimeter steigen könnte und die Deiche entsprechend nachge"rüs"tet werden müssen. Niedersachsen will statt bisher 52 rund 60 Millionen Euro pro Jahr in den Küstenschutz investieren. Allein zwischen 2000 und 2006 sind 363 Millionen Euro für Deichbaumaßnahmen ausgegeben worden. Zudem wollen wir die Bundesregierung stärker in die Verantwortung nehmen, weil Küstenschutz eine nationale Aufgabe ist. Auch die Südländer müssen die Sicherung der Küsten im Norden stärker mitfinanzieren. Im Binnenland, etwa an der Elbe, haben wir das Problem versiegelter Landschaften, und damit von Abwassersystemen, die angesichts heftiger werdender Unwetter mit Starkregen überfordert sein können. Deshalb müssen wir den Klimawandel an der Quelle bekämpfen. Niedersachsen will das von den Industrienationen vereinbarte Ziel, den Anteil regenerativer Energien auf zwanzig Prozent zu erhöhen, übertreffen. Die CDU hat als Ziel 25 Prozent ausgegeben. Wir sind in Deutschland führend bei Windkraft und Biomasse. In Goslar richten wir ein Energieforschungszentrum ein, in Hameln arbeitet das Solar-Forschungszentrum. Wir füllen den Begriff Energieland Niedersachsen mit Leben.
Sie wollen das seit 2003 geltende Neugründungsverbot von Gesamtschulen lockern, eine Novelle des Gesetzes aber erst nach der Wahl vorbereiten. Ist das Thema Schulpolitik zu heikel? Wulff: Ich möchte gerne vor der Wahl sagen, was ich nach der Wahl mache, um die Wähler nicht im Unklaren zu lassen. Wir haben vor der vergangenen Wahl gesagt, wir werden die Haupt- und Realschulen und die Gymnasien nachhaltig stärken, mehr Außenstellen von Gymnasien schaffen und die Unterrichtsversorgung sicherstellen. All das haben wir erfüllt. Für die nächste Wahlperiode wollen wir keinen ideologischen, teuren Streit über neue Strukturreformen. Die Strukturdebatte ist entschieden -- und zwar zu Gunsten des gegliederten Schulwesens. Die Schulen brauchen Ruhe. Wir werden uns jetzt darum kümmern, was in der Schule passiert: der Qualität des Unterrichts, das Fördern und Fordern. Wenn aber in bestimmten Regionen der Wunsch nach Gesamtschulen da ist, werden wir tolerant sein. Wenn es in fünf Jahren 75 statt heute 56 Gesamtschulen gibt, ist dies ein auch wettbewerblicher Stachel im Fleisch des gegliederten Bildungswesens -- so wie die freien Schulen auch eine Konkurrenz sind. Aber das Regelschulsystem muss überall leistungsfähig vorhanden sein. Wir setzen auf leistungsfähige Hauptschulen, gute Realschulen und Gymnasien. Prinzipienfest ja, aber nicht starrsinnig, so lautet meine Maxime zur Diskussion um die Schulstruktur.
Lässt Ihre Toleranz auch Gemeinschaftsschulen nach skandinavischem Vorbild zu? Wulff: Als Regelschulsystem: nein, denn im Prinzip ist die Gemeinschaftsschule eine Gesamtschule. SPD und Grüne setzen auf die Gemeinschaftsschule. Setzt man diese Schulform landesweit durch, würden das das Aus hunderter Schulstandorte bedeuten. Wir lassen uns das dreigliedrige Schulsys"tem aber nicht zerschlagen. Ich bin dagegen, die Kraft in einer neuen idiologisch geführtenSchulstrukturdebatte -- wie in den 70er-Jahren -- zu verschwenden. Wir setzen auf die Eigenverantwortliche Schule, wo Eltern, Schüler und Lehrer gemeinsam viele neue Freiheiten nutzen können, um die Qualität zu verbessern. Denn die Qualität muss im Vordergrund stehen. Daran müssen sich künftig alle messen lassen.
Das Interview führten Werner Kolbe und Joachim Zießler
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