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Landeszeitung Lüneburg: Schlüsselrolle der Ozeane bei der Entwicklung des Klimas. Interview mit dem Ozeanographen Prof. Martin Visbeck

Lüneburg (ots)

Die Ozeane spielen eine Schlüsselrolle bei der
Entwicklung des Klimas. In der Diskussion werden sie hingegen oft 
vergessen. Ein Grund: Die Tiefen der Meere sind unerforschter als die
"Meere" auf dem Mond. Ändern sollen das neue Forschungsmethoden, wie 
Roboter, die selbstständig durchs Meer gleiten. Nötig ist aber auch, 
dass der Weltklimarat durch regionale Klimabüros ergänzt wird, meint 
der Ozeanograph Prof. Martin Visbeck.
 Sie sind Sprecher des Exzellenzclusters "Ozean der Zukunft". 
Übersäuert, überhitzt, schleppnetzrein gefischt -- sieht so der Ozean
der Zukunft aus? Prof. Martin Visbeck: Zu warm, zu hoch, zu sauer -- 
das wäre allzu plakativ, unterschlüge die Chancen. "Den Ozean 
verstehen heißt, die Zukunft gestalten" ist unser Motto im Netzwerk 
der Kieler Meereswissenschaften. Wir sind dabei zu ergründen, wie der
Ozean auf den Klimawandel reagiert und auf die verstärkte Nutzung 
durch immer mehr Menschen. Die abschmelzenden Eiskappen lassen den 
Meeresspiegel steigen. Zudem ändern sich die Zirkulationsmuster der 
Meeresströmungen. Diese beeinflussen regional den Meeresspiegel 
zusätzlich. Hier gibt es For- schungsbedarf. Derzeit wird rund die 
Hälfte des vom mensch"lichen Handeln erzeugten Treibhausgases CO2 in 
den Ozeanen gespeichert. Es gibt Indizien dafür, dass ein sich 
erwärmender Ozean sein Potenzial als CO2-Senke einbüßt: Die Erwärmung
führt zu verstärkter Schichtung. Die Bildung stark CO2-bindenden 
Tiefenwassers wird vermindert und warmes Wasser löst weniger CO2. Es 
kann sein, dass die biologische Pumpe dies teilweise auffängt: Mehr 
Pflanzen bilden mehr Nahrung für mehr Tiere -- abgestorben sinkt 
beides in die Tiefe. Bisher trägt die biologische Pumpe allerdings 
weniger als zehn Prozent zur CO2-Senke Ozean bei. Schlucken die Meere
vermehrt CO2, ist dies nicht nur positiv: Der leicht alkalische Ozean
wird immer saurer. Die Folgen erforschen wir. Zu befürchten ist, dass
kalkbildende Organismen wie Kalkalgen, Seesterne, Schnecken, Muscheln
und Korallen in Mitleidenschaft gezogen werden.
Gibt es neben den Risiken auch Potenziale? Prof. Visbeck: Viele -- 
vom Meeresboden als mögliche Lagerstätte für abgeschiedenes, 
verflüssigtes CO2 bis zur Möglichkeit, Methan"eisvorkommen an den 
Festlandssockeln als Energiequelle zu nutzen. Schon jetzt bauen 
Firmen vor Papua-Neuguinea unterseeisch Kupfer an erloschenen 
"Schwarzen Rauchern", metallreichen Kaminen an heißen Tiefseequellen,
ab. Marinen Bergbau einfach abzulehnen, ist nicht möglich, aber man 
muss versuchen, das möglichst umweltschonend zu betreiben. Der 
Kupferbedarf etwa wird sprunghaft wachsen, wenn Chinesen und Inder 
ebenfalls Strom in ihren Häusern haben wollen. Ins Blickfeld gerät 
die "Blaue Medizin", Wirkstoffe, die aus Meereslebewesen gewonnen 
werden. Hier ist nachteilig, dass über den marinen Genpool nur ein 
Bruchteil dessen bekannt ist im Vergleich zu dem an Land. Damit die 
ökonomische Nutzung nachhaltig erfolgt, arbeiten wir hier im Cluster 
mit Ressourcenökonomen zusammen. Denn die Grundlage für nachhaltiges 
Management der Meere ist das Verstehen.
Ihr Ziel ist es, "den Transfer von Forschungsergebnissen in die 
Politik zu vertiefen". Muss dieser Transfer nicht vor allem 
beschleunigt werden? Visbeck: Er muss sich wandeln, weil es neue 
Anforderungen gibt. Bisher transferierte das Gutachten des 
Weltklimarates (IPCC) alle paar Jahre neues Wissen zu den 
Entscheidungsträgern. Für kurzfristige Ozean- und Klimasignale ist 
das nicht ideal. Denn durch den aufwändigen Weg des Begutachtens und 
Veröffentlichens aller Ergebnisse sind diese zwar wissenschaftlich 
von sehr hoher Güte, aber die Fakten oft mehr als fünf Jahre alt. 
Politikberatung sollte aber auch mit frischeren Erkenntnissen und in 
Reaktion auf aktuelle Ereignisse erfolgen.
Fordern Sie auch deshalb regionale Unterstützung des Weltklimarates? 
Visbeck: Genau. Vermutlich wird Niedersachsen im IPCC überhaupt nicht
erwähnt. Dennoch ist Niedersachsen Teil des Klimawandels -- nicht 
nur, weil die Folgen auch hier spürbar sind, sondern auch, weil 
Niedersachsens Politik und Wirtschaft global agieren. Also bedarf es 
Informationen, welche regionalen Handlungsoptionen es gibt, um den 
Klimawandel managen zu können -- etwa den Export energiesparender 
Technologie in Schwellenländer. Dazu sollen die regionalen 
Klimakompetenzzentren auch örtliche Phänomene analysieren, Risiken 
bewerten und Schutzpotenziale aufzeigen. Der IPCC kann nicht jede 
Sturmflut kommentieren, aber irgend jemand muss es in sachkundiger 
Weise tun.
Was sollen regionale Klima-Dienstleister anders machen als der IPCC? 
Visbeck: Sie müssten wissenschaftlich abgesegnete Verfahren anwenden,
mit denen Daten des Klimageschehens vor Ort festgehalten und auch 
Prognosen erstellt werden können. Manche Auswirkungen des 
Klimawandels liegen nicht auf der Hand: So kann sich der Anstieg des 
Meeresspiegels bis zu den Bauern der Elbmarsch auswirken. Drückt das 
Meer stärker in den Fluss, können flachere Brunnen -- aus denen sie 
das Wasser für ihr Vieh gewinnen -- versalzen.
Noch weiß man über die Meere weniger als über den Mond. "Teenager" 
sollen das ändern, wie sie ihre Tauchroboter nennen. Haben diese die 
hohen Erwartungen vor Mallorca, Grönland und im Nordostatlantik schon
erfüllt? Visbeck: Ja, aber sie sind wirklich noch Teenager, werfen 
also auch überraschende Prob"leme auf. Wir waren die ers"ten in 
Europa, die Glider als Forschungsplattformen einsetzten, also 
unbemannte Tauchroboter, die sich unter Wasser sehr langsam 
fortbewegen -- quasi segeln. Zunächst wird Öl in den zwei Meter 
langen, gelben Gleiter gepumpt. Schwerer als Wasser sinkt er in eine 
Tiefe von bis zu 1000 Meter, segelt mit seinen kleinen Flügeln nach 
vorne. Dann pumpt der Gleiter das Öl in eine Gummiblase nach außen, 
steigert sein Volumen, steigt dadurch auf. Er misst Sauerstoffgehalt,
Salzgehalt, Druck und Temperatur des Wassers, sendet sie an der 
Wasseroberfläche alle 46 Stunden an Satelliten -- ungefähr drei 
Monate lang. Dazu sind noch ungefähr 3000 Drifter in den Meeren der 
Welt unterwegs, sie vermessen alle zehn Tage die oberen 2000 Meter 
der Ozeane, können sich aber nur mit der Strömung bewegen. In Kiel 
versprechen wir uns viel vom Einsatz von Gleiter-Schwärmen. Ein 
knappes Dutzend Gleiter scannen parallel ein begrenztes Meeresgebiet.
Das ist eine moderne, relativ kostengünstige Art der Meeresforschung,
die die Erkundung per Schiff ergänzt.
Abschmelzendes Grönlandeis könnte den Golfstrom bis 2100 um 30 
Prozent bremsen. Erlebt Europa dann im Treibhaus Erde eine Eiszeit? 
Visbeck: Nein, das nicht. Zwar macht das Süßwasser die 
Oberflächenschicht leichter, so dass sie selbst im Winter nicht mehr 
dicht und schwer genug wird, um in große Tiefen zu sinken. Schwächt 
sich dieses Absinken ab, wird weniger -- wärmeres -- Wasser nach 
Norden Richtung Europa transportiert. Würde sich dieser 
dichtegetriebene Teil der "Golfstrom"-Zirkulation aufgrund 
natürlicher Wassereinträge verringern, könnte es in Europa 
tatsächlich um 1-2 Grad kälter werden. Tatsächlich erwarten wir das 
Abschwächen der Tiefenzirkulation erst mit zunehmender 
Klimaerwärmung. Hier würde es also nur um 1-4 statt um 3-6 Grad 
wärmer.
Eine Verlangsamung des Golfstroms vermindert aber auch die Fähigkeit,
CO2 aufzunehmen. Verstärken sich verschiedene Phänomene des 
Klimawandels? Visbeck: Das ist eine der spannendsten Fragen in der 
Klimaforschung. Möglicherweise ist die ,,zweite" ausgestoßene Tonne 
CO2 gefährlicher als die ,,erste", weil es zu Rückkopplungseffekten 
kommt. Ein geschwächter Golfstrom nimmt weniger Treibhausgas aus der 
Atmosphäre, die Temperatur steigt stärker. Erwärmtes, stärker 
geschichtetes Wasser kann weniger CO2 speichern. Diese Effekte sind 
besorgniserregend.
Sie wollen ein weltweites nachhaltiges Management der Ozeane 
entwicklen. Vor dem Hintergrund des Wettlaufs der Nationen auf die 
Schätze der Arktis: Hat Nachhaltigkeit eine Chance gegen Interessen? 
Prof. Visbeck: Das ist die Diskussion, die wir in unserem Cluster 
forcieren. Ökonomische Interessen stehen oft genug denen des 
Lebensraumes Ozean entgegen. Der derzeitige Wettlauf rührt nicht 
zuletzt daher, dass die Spielregeln, welcher Teil des Meeresbodens 
Ländern zuzurechnen ist und welcher Allgemeingut bleibt, erst seit 
kurzem feststehen. Noch gibt es keine von allen Anrainerstaaten 
abgeglichene Karte des Meeresbodens, die eine verlässliche 
Grenzziehung erlaubt. Das hat eine unangenehme Konsequenz für 
Forscher: Derzeit können Sie kein Forschungsschiff mehr chartern. 
Alle sind für Nationen unterwegs, um die Kontinentalsockel zu 
kartieren. Europa hat erst 2007 realisiert, dass es mehr Fläche unter
Wasser als überm Wasser besitzt.
Seit 1994 sinkt der Ertrag in den Netzen stetig. Jede vierte 
Meeresfisch-Art ist vom Aussterben bedroht. Zerstört der Mensch das 
Meer, bevor er es zu verstehen gelernt hat? Visbeck: Der Druck auf 
die Fischbestände hat in der Tat erheblich zugenommen. Inwieweit 
diese Schäden durch eine Umstellung auf eine nachhaltige Befischung 
wieder reparabel sind, ist fraglich. Gäbe man Fischern etwa die 
Eigentumsrechte an Schwärmen, hätten sie ein ureigenes Interesse 
da"ran, die Bestände zu bewahren. Anders als bisher, wo es nur darum 
geht, soviel wie möglich von dem Allgemeingut zu erbeuten. Dazu 
bedarf es aber wohl auch echten Naturschutzes in Form von 
großräumigen Reservaten im Meer, in denen Fischfang und andere Formen
der Meeresnutzung tabu sind.
Die Kabeljaubestände vor Neufundland erholen sich trotz Fangverbots 
nicht mehr, vermutlich wegen der Erwärmung des Meeres. Gibt der 
Klimawandel den überfischten Beständen den Rest? Prof. Visbeck: Der 
Klimawandel ist für manche Fischarten hilfreich, für andere 
schädlich. Es kommt zu Verschiebungen in den Ökosystemen. Leider 
wurden bis vor wenigen Jahren die Fischquoten festgelegt durch den 
Erfolg des Fischfangs zuvor -- nicht durch Erwägungen, die Bestände 
zu erhalten. Aber selbst vor der Festlegung der EU-Fangquoten werden 
die wissenschaftlichen Aspekte zwar gehört, sind aber nicht die 
entscheidenden. Wissensbasierte Methoden existieren zwar, sind aber 
aufgrund politischer Realitäten oftmals nicht umsetzbar -- so werden 
die Fehler der Vergangenheit wiederholt. In den 40er- und 50er-Jahren
wurde die Fischerei industriealisiert, ohne das man wusste, was man 
anrichtete. Heute wissen wir das, aber wir tun es trotzdem. Der 
Fisch, den wir essen, wird mehr und mehr aus Fischfarmen kommen. 
Allerdings gibt es viele schädliche Fischzuchtformen. Wir propagieren
natürlich die nachhaltigen.
Wird die Stimme der Wissenschaft beim Klimaschutz -- anders als bei 
den Quoten -- gehört werden? Visbeck: Die Worte sind wohl da, doch 
die notwendigen Taten fehlen. Der Klimawandel ist ohne Frage eine 
sehr große Herausforderung für den Menschen. Aber selbst, wenn man 
unter Stress steht, sollte man kühlen Kopf bewahren und nicht die 
nächstbeste Lösung wählen. Sorgen machen wir uns etwa über 
Schnellschüsse, wie die vorgeschlagene Düngung des Ozeans, um 
zusätzlich CO2 wegzupuffern. Solche Ingenieurssstreiche sind zwar im 
Vergleich zur CO2-Ausstoßverminderung billig, doch in der Regel würde
man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
Das Interview führte Joachim Zießler

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Werner Kolbe
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