Landeszeitung Lüneburg: OECD-Direktor Stefan Tangermann: Biosprit ist ökonomisch und ökologisch ein Irrweg
Lüneburg (ots)
Die Biosprit-Verordnung ist gescheitert, weil Millionen von Fahrzeugen auf Deutschlands Straßen die geplante Erhöhung des Ethanolanteils im Benzin nicht vertragen. Umweltschützer warnen seit langem vor dem Treibstoff vom Acker, sprechen gar von einem "Klimakiller". Professor Dr. Stefan Tangermann, OECD-Direktor für Handel und Landwirtschaft, fordert einen Politikwechsel.
Als Autofahrer kennen wir Benzin, Super und Diesel -- was genau ist Ethanol?
Professor Dr. Stefan Tangermann: Ethanol ist ein alkoholähnlicher Treibstoff, der durch Umwandlung von Stärke gewonnen wird, die zum Beispiel im Mais enthalten ist, der aber auch durch Umwandlung von Zucker gewonnen werden kann, wie er in Zuckerrüben oder in Brasilien in Zuckerrohr vorkommt.
Wie viel Kohlendioxid (CO2) kann mit Bio-Ethanol im Vergleich zur Verbrennung von herkömmlichem Treibstoff eingespart werden?
Tangermann: Das kommt sehr darauf an, wo und wie das Ethanol erzeugt wird. Wenn es etwa aus Mais in den USA hergestellt wird, kann man damit nicht sehr viel CO2 einsparen, denn wenn die Bauern den Mais anbauen, müssen sie zunächst mal mit ihren Maschinen auf den Feldern herumfahren. Zudem wird Energie verbraucht, um den Mais anschließend in Ethanol umzuwandeln. Auf diese Weise lassen sich vielleicht 10 bis 20 Prozent CO2 einsparen. Wenn es sich dagegen um Ethanol handelt, der aus Zucker in Brasilien gewonnen wird, lässt sich deutlich mehr einsparen. Vorausgesetzt, dass das Zuckerrohr dort keinen Regenwald verdrängt. Denn wenn Wald abgeholzt wird, geht nicht nur die Möglichkeit verloren, dass die Bäume weiterhin CO2 aufnehmen, sondern es wird auch beim Roden und Verbrennen eine Menge CO2 freigesetzt. Mit anderen Worten: Es ist eine ziemlich komplexer Sachverhalt und man kann leider gar nicht davon ausgehen, dass Biosprit insgesamt sehr stark zur CO2-Reduzierung beiträgt.
Wenn der Aufwand an fossiler Energie für die Produktion von Ethanol derart hoch ist, bedeutet das, dass die Herstellung von Biokraftstoffen mit steigendem Ölpreis auch ökonomisch immer unsinniger wird?
Tangermann: Sie ist ohnehin nicht ökonomisch, ausgenommen Bioethanol aus Brasilien, der einen Ausnahmefall darstellt. Nirgendwo sonst auf der Welt kann man bisher ohne staatliche Subventionen oder ohne staatlichen Druck auf die Autofahrer, diesen zu tanken, Biotreibstoff rentabel erzeugen. Wenn die Ölpreise steigen, lohnt es sich ein bisschen mehr. Aber man darf nicht vergessen, dass mit steigenden Ölpreisen auch die Kosten der Erzeugung zunehmen. Deshalb ist Biosprit nicht unbedingt rentabler, wenn das Öl teurer wird.
Wo liegt die Schwelle der Rentabilität?
Tangermann: Aufgrund der Analysen, die wir gemacht haben, müsste der Ölpreis noch erheblich steigen, vermutlich bis jenseits von 150 Dollar pro Barrel, bis es auch außerhalb Brasiliens anfängt, wirklich lukrativ zu werden.
Ist die sogenannte 2. Generation von Biokraftstoffen, bei der landwirtschaftliche Abfälle, Holzschnitzel und ganze Pflanzen statt nur der Samen genutzt werden, die Lösung aller Probleme?
Tangermann: Diese Verfahren könnte eines Tages, wenn die Forschung weit genug vorangeschritten ist, bei höheren Ölpreisen rentabel sein, aber davon sind wir leider noch mehrere Jahre entfernt.
Ist die Beimischung von Alkohol zum Benzin also eine Schnapsidee, die noch nicht einmal das Gewissen beim Autofahren beruhigen kann?
Tangermann: Ich muss leider sagen, dass es eine ziemlich fragwürdige Politik ist, wenn man die Autofahrer dazu zwingt, Biotreibstoff zu verwenden. Der Beitrag zum Klimaschutz ist nur sehr gering. Man vernichtet volkswirtschaftliche Werte, weil es zu Marktpreisen nicht wirklich funktioniert. Der Rat der OECD an die Regierungen unserer Mitgliedsländer ist, noch einmal gründlich nachzudenken, ob sie diese Politik wirklich beibehalten wollen.
Ein Argument für den Biotreibstoffe ist auch die Energiesicherheit. Kann der Sprit vom Acker langfristig das Öl ersetzen?
Tangermann: Dass wir auf diesem Weg unabhängig werden von den nicht immer stabilen Regimes in den Ländern, aus denen das Erdöl kommt, ist unmöglich, denn der Anteil am Gesamtenergieverbrauch, der durch Biosprit ersetzt werden kann, wird sehr begrenzt bleiben. Einfach deshalb, weil uns nicht unendlich große landwirtschaftliche Flächen zur Verfügung stehen. Zudem wird auf diesen Flächen ja etwas produziert, das wir für unsere Nahrungsmittel brauchen.
In welchem Umfang macht die Ethanolherstellung im großen Stil Nahrungsmittel knapp und teuer?
Tangermann: Man kann zwar die im Augenblick extrem hohen Nahrungsmittelpreise im internationalen Handel nicht vollkommen den Biotreibstoffen anlasten. Aber ein nicht unerheblicher Anteil dieser Preissteigerungen ist darauf zurückzuführen, dass es auf den internationalen Märkten in verhältnismäßig kurzer Zeit eine große zusätzliche Nachfrage nach Rohstoffen für die Biokraftstofferzeugung gegeben hat. Und diese Nachfrage haben auch die Preissteigerungen nicht bremsen können, denn die Regierungen wollen absolut, dass Biosprit verwendet wird. Entsprechend konkurrieren die Biotreibstoffe ziemlich radikal mit Nahrungsmitteln.
Brasilien und die USA setzen seit Jahren auf Schnaps im Tank, Schweden, Frankreich und Großbritannien forcieren den Ethanoleinsatz. Sind diese Länder auf einem Irrweg oder herrschen dort andere Bedingungen?
Tangermann: Wir müssen Brasilien auf der einen und die übrigen Länder auf der anderen Seite klar unterscheiden. In Brasilien kann Ethanol aus Zuckerrohr tatsächlich profitabel hergestellt werden. Das liegt einfach daran, dass dort die Bedingungen, also das Klima und die Wasservorräte, für den Zuckerrohranbau extrem günstig sind. Aber in wirtschaftlicher Hinsicht auch deshalb, weil die Löhne niedrig sind. In Brasilien wird Ethanol ohne staatliche Subventionen hergestellt und von der Autofahrern freiwillig getankt. Aber in allen anderen Ländern geht das nur mit Subventionen oder Zwang. War Bundesumweltminister Gabriel bei seiner Biosprit-Verordnung schlecht beraten oder ist die Macht der Auto-Lobby einfach größer als die der Umweltschutzverbände, die schon länger vor der Beimischungspflicht warnen?
Tangermann: Der Einsatz von Biosprit war zunächst ein gut gemeintes Vorhaben von Regierungen, die gedacht haben, dass man einen Kreislaufgedanken realisieren kann: Pflanzen nehmen aus der Luft CO2 auf, dann wird daraus Treibstoff produziert, das Kohlendioxid wird bei der Verbrennung in den Motoren wieder freigesetzt und anschließend von den Pflanzen wieder aufgenommen. Das klingt zunächst gut. Zumal man gemeint hat, gleichzeitig einen Beitrag zur Energiesicherheit zu leisten. Zudem hat sicher auch der Gedanke eine Rolle gespielt, dass man Landwirten eine neue Zukunftsperspektive eröffnen kann. Welche Nachteile damit einhergehen, ist erst im Laufe der Zeit deutlich geworden. Die Politik hat bisher vielleicht die Warnzeichen, die jetzt von verschiedenen Seiten kommen, auch von der OECD, noch nicht hinreichend wahrgenommen.
Der Vorstoß war doch aber wissenschaftlich nicht sauber aufgearbeitet, denn so neu sind die Zusammenhänge nicht...
Tangermann: Politik orientiert sich nicht immer nur an wissenschaftlichen Kriterien, sondern sucht auch möglichst breite Zustimmung. Und das hat beim Biosprit zunächst ja auch funktioniert.
Die 10-Prozent-Vorgabe der EU für Biokraftstoffe ist ohne Importe kaum zu erreichen. Sind die ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitskriterien der Brüsseler Kommission vor diesem Hintergrund zu schwammig und überhaupt zu kontrollieren?
Tangermann: Man kann sicher kontrollieren, wo und unter welchen Bedingungen importierte Biotreibstoffe produziert werden. Wirklich kompliziert wird es aber, wenn man berücksichtigen muss, ob Flächenverschiebungen stattfinden. Beispiel Brasilien: Dort wird der Zuckerrohranbau ausgedehnt und verdrängt den Anbau von Soja. Der Sojaanbau wiederum verlagert sich in Bereiche, in denen bisher Rinder gehalten wurden. Und um für die Rinder neue Flächen zu schaffen, wird dann möglicherweise Regenwald gerodet. Auch wenn das Zuckerrohr auf ökologisch und sozial verträgliche Art und Weise angebaut worden ist, sind solche Flächenverschiebungen nicht ganz einfach nachweisbar. Ich muss leider davor warnen, dem Glauben anzuhängen, dass man durch die Formulierung sozialer und ökologischer Verträglichkeitskriterien die ganze Kette wirklich gut im Griff hat.
Neuen Prognosen zufolge könnte sich der Lkw-Verkehr in Deutschland bis zum Jahr 2025 fast verdoppeln. Sind bei einem solchen Szenario nicht sämtliche Klimaschutzziele Makulatur?
Tangermann: Das ist in der Tat problematisch. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern muss eine Menge getan werden, um den Güterverkehr stärker auf die Schiene zu verlagern. Im Augenblick muss die Energieeinsparung an erster Stelle stehen, weil man so wesentlich mehr erreicht als durch neue Energiequellen wie etwa den Biosprit. Aber es führt kein Weg daran vorbei, völlig neue Technologien zu entwickeln, die vor allem die Sonnenenergie unmittelbar nutzbar machen. Aber auch da gibt es bisher nichts, was wirtschaftlich voll tragfähig wäre.
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