Landeszeitung Lüneburg: ,,Unsere Agrarpolitik ist pervers" Interview mit Foodwatch-Gründer Thilo Bode. Bode macht die Industriestaaten mitverantwortlich für die Ernährungskrise.
Lüneburg (ots)
Die Ernährungskrise hat den Erdball im Griff: In zig Staaten revoltieren Menschen, die nicht mehr satt werden, weil die Preise für Lebensmittel explodieren. Der Internationale Währungsfonds warnt vor dramatischen Folgen: "Es besteht die Gefahr von Kriegen, das Schlimmste liegt vielleicht noch vor uns", sagte IWF-Chef Strauss-Kahn. Foodwatch-Gründer Thilo Bode macht die Industriestaaten mitverantwortlich für die Krise.
Nie zuvor ernteten Bauern so viel Getreide. Dennoch reicht es nicht. Frisst die Bevölkerungsexplosion die Lebensgrundlage der Menschheit auf? Dr. Thilo Bode: Ich bestreite, dass die Nahrungsmittelmenge für die Menschheit nicht reicht. Diese Krise ist nicht nur eine Frage des verfügbaren Angebots. Knapp eine Milliarde Menschen in der Dritten Welt hungern, weil sie nicht genügend Kaufkraft haben.
Steigender Wohlstand nährt den Appetit auf Fleisch. Die verfügbaren Ackerbauflächen schrumpfen. Lässt sich Fortschritt nur auf Kosten anderer erreichen? Bode: Bei den aktuellen Preissteigerungen spielt der Anbau von Energiepflanzen die dominante Rolle. Das gilt besonders für die USA, die ein Drittel ihrer Maisernte von 2007 für ihr Ethanol-Programm verbraucht haben. Die britische Wochenzeitschrift "Economist" schätzt, dass damit mehr als die Hälfte der akuten Preissteigerungen erklärt werden kann. Die steigende und sich wandelnde Nachfrage der Schwellenländer ist ein langsamer Prozess und hat nichts mit der derzeitigen Krise zu tun. Langfristig wird die verstärkte Nachfrage nach Fleisch allerdings ein Problem: Die Fläche für Getreide- und Futteranbau ist begrenzt. Folglich wird Fleisch künftig sehr viel teurer werden.
Die Industriestaaten begegnen dem Klimawandel unter anderem mit Biotreibstoffen. Wird das Klima auf dem Rü"cken der Schwächsten geschützt? Bode: Wenn die Industriestaaten den Klimawandel wirklich bekämpfen wollen, müssen sie es möglichst kostengünstig machen. Doch der heutige Biosprit ist in keiner Weise kostengünstig. Bei Diesel aus Raps rechnet man mit Vermeidungskosten, also dem Geld, das man aufwendet, um eine Tonne CO2 zu vermeiden, von bis zu 300 Euro. Das sind Zahlen des Wissenschaftlichen Beirats des Landwirtschaftsministeriums. Ein solcher Biosprit-Saldo ist ökonomischer und ökologischer Wahnsinn, zumal die Tonne CO2 derzeit an der Börse mit rund 30 Euro gehandelt wird. Wenn die Energiepflanzen zudem noch importiert werden, wird die Ökobilanz äußerst fraglich. Zudem treten weltweit soziale Verwerfungen auf, weil die Pflanzen für den Tank und die für den Teller auf den Äckern konkurrieren und folglich die Lebensmittelpreise steigen.
Spekulanten halten über Warentermingeschäfte die Rechte an bis zu zwei kommenden Ernten bei einzelnen Getreidesorten, was den Preis explodieren lässt. Frisst der Kapitalismus seine Basis? Bode: Das hat man bei der Ölpreisexplosion auch immer gesagt. Doch Spekulanten verschärfen lediglich die vorhandenen Trends. Ihre Wetten auf steigende oder fallende Preise müssen auch aufgehen -- letztlich werden sie immer wieder auf den Boden der Realwirtschaft zurückgeholt. Werden allerdings keine Maßnahmen ergriffen, um die Nachfrage zu befriedigen, wird die Spekulation anhalten. Davon ist aber nicht auszugehen. Die Milch ist das beste Beispiel dafür, wie die Produktion anziehen kann und die Preise schließlich sinken.
Nahrungsmittelkonzerne preisen maßgeschneidertes Saatgut aus dem Labor an. Macht Gentechnik die Dritte Welt satt? Bode: Die Gentechnik kann industriellen Agrarbetrieben Kosten ersparen, weil die Pflanzen resistenter gegen Schädlings- und Unkrautvernichtungsmittel gemacht werden. Der Verbraucher wird dies in den Preisen nicht bemerken. Das Problem der Dritten Welt ist nicht, keine geeigneten Pflanzen zu haben -- im Gegenteil. Die Bauern haben über Generationen hervorragend angepasste Nutzpflanzen gezüchtet. Das Hauptproblem der Dritten Welt ist vielmehr, dass den Bauern der Anreiz fehlt, weil die Preise zu niedrig sind oder Märkte für ihre Produkte gleich ganz fehlen. Dass die Preise jetzt in der Hungerkrise hochschnellen, hilft den Bauern nicht direkt. Nötig wären verlässliche, langfristige Absatzchancen.
Verschärft die Patentierung von Lebewesen und die Schaffung unfruchtbarer Nutzpflanzen nur den Nord-Süd-Unterschied, indem es Agrokonzernen Marktanteile verschafft? Bode: Vorerst nicht, weil sich Dritte-Welt-Bauern die Lizenzgebühren für gentechnisch verändertes Saatgut gar nicht leis"ten können. Würde die Verwendung patentierter Pflanzen allerdings mit massivem politischen Druck durchgesetzt, wäre die faktische Abhängigkeit der Bauern die Folge. Generell ist die Gentechnik nicht das versprochene Zaubermittel. Denn das Problem ist nicht fehlende Technologie, sondern fehlender Anreiz zu produzieren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stützte ein hungerndes Europa seine Bauern mit Subventionen. Jetzt sichert die Staatshilfe Marktmacht in einer globalisierten Welt. Sind die Subventionen noch zeitgemäß? Bode: Nein, weil man in unserer globalisierten Welt auf einen fairen Austausch zwischen den Ländern angewiesen ist. Die Agrarpolitik der Industriestaaten ist pervers. Einerseits verschlingt sie Unsummen -- knapp eine Milliarde Dollar täglich. Zum anderen haben zwar die Dritte-Welt-Länder ihre Grenzen für unsere Produkte geöffnet, die erste Welt sich aber abschottet. So können Entwicklungsländer vor allem ihre verarbeiteten Agrarprodukte nicht exportieren, müssen aber zugleich hinnehmen, dass die Industriestaaten ihre subventionierten Güter billig an die Märkte der Entwicklungsländer bringen. Auf senegalesischen Dorfmärkten können Sie Fleisch und Gemüse aus Europa günstiger kaufen als von lokalen Anbietern -- und das ist tödlich für die dortige Landwirtschaft.
Subventionierte Lebensmittel -- egal ob als Hilfe oder als Ware -- nahmen vielen Bauern in der Dritten Welt die Existenzgrundlage. Fahren wir jetzt die bittere Ernte ein für eine verfehlte Entwicklungspolitik? Bode: Das "Gute" an der jetzigen Situation ist, dass jetzt ein Zustand diskutiert wird, der schon seit Jahrzehnten existiert. Zu den bisher schon knapp eine Milliarde Hungernden kommen im Moment noch einige Millionen hinzu -- zumeist Stadtbewohner. In Bangladesh und Ägypten waren es vor allem die Industriearbeiter, die auf die Straße gegangen sind. Dennoch besteht der Missstand schon seit Jahrzehnten. Über diesen Zeitraum nahm die verheerende Wirkung beispielsweise der EU-Agrarsubventionen noch zu -- allen Versprechungen, diese abzubauen, zum Trotz.
Ist der Hunger nur ein Verteilungsproblem? Würde es reichen, die Überschüsse des Nordens im Süden zu verteilen? Bode: Das wäre wirklich fatal, weil die Bauern vor Ort dann gar nichts mehr produzieren würden. Zwar gibt es -- zählt man nur die Kalorien -- genug Nahrung auf der Welt. Gehungert wird, wo Kaufkraft fehlt und wo Regierungen verfehlte Politik betrieben haben. Elitebezogene Politik verlor die Massen aus den Augen, förderte die heimischen Kleinbauern nicht -- selbst bei vorhandenen Ressourcen. So sank die Kaufkraft der unteren Bevölkerungsschichten kontinuierlich.
Als Antwort auf die Hungerkrise wird oft eine Agrarwende gefordert. Sollen hiesige Bauern wieder den Ochsenpflug anspannen? Bode: Nein, die Agrarwende muss das EU-Subventionssys"tem abschaffen und umweltfreundlich produzieren. Es gibt kein Zurück zum Ochsenpflug. Vor allem darf der Boden nicht für Biosprit beackert werden.
Ist ein globalisierter Nahrungsmittelmarkt fatal? Liegt die Zukunft in einem Zurück zu einem regionalisierten Nahrungsmittelmarkt? Bode: Das glaube ich nicht. Es wird auch in Zukunft überall alles geben. Es kommt aber entscheidend darauf an, wie transparent die Warenströme sind. Was wir als ,,regionale Produkte" kaufen, sind gar keine. Bestes Beispiel ist die Münchner Weißwurst: Der Schweinedarm kommt aus China, das Rindfleisch aus Ungarn, das Schweinefleisch aus Polen und die Petersilie aus Südafrika. Und das Ganze darf sich dann "Original Münchner Weißwurst" nennen. Oder bei Bio-Hagebutten-Marmelade: Die Herkunft muss nicht deklariert werden. Die Hagebutten kommen jedoch meistens aus Argentinien. Eine regionale Versorgung klingt charmant, aber man sollte sich keine Illusionen machen. Im Übrigen: Auch Waren aus der Dritten Welt zu kaufen, ist gut. Nur der Verbraucher sollte selbst entscheiden können, was er will -- und das kann er bisher nicht. Es fehlt sowohl an Zugangsmöglichkeiten zum Markt als auch an Transparenz.
Während Millionen hungern, beschweren sich deutsche Verbraucher über teures Brot, deutsche Bauern über billige Milch. Ist auf dieser Insel der Seligen die Brisanz der Hungerkrise noch nicht angekommen? Bode: Ich denke, die überwiegende Mehrheit der Deutschen kann sich über vieles beklagen -- aber nicht über unerschwingliche Lebensmittel. Die sozial Schwächsten jedoch kommen durch die steigenden Preise in Bedrängnis. Studien haben belegt, dass sie sich aus Geldmangel -- nicht wegen Bildungsdefiziten -- nicht mehr ausgewogen ernähren können. Und dass sich deutsche Bauern über die niedrigen Milchpreise aufregen, ist heuchlerisch. Denn wenn man mehr Milch produziert als nachgefragt wird, sinkt der Preis. Statt das Gegenteil zu fordern, sollten die Bauern sich an die Marktgesetze gewöhnen.
Das Interview führte Joachim Zießler
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