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Landeszeitung Lüneburg: ,,Die Ölpreisbindung ist nicht mehr zeitgemäß" Interview mit der Energieexpertin Prof. Dr. Claudia Kemfert

Lüneburg (ots)

Der bisher gröÞte Sprung der Ölpreise auf das
Rekordniveau von 139 US-Dollar vor wenigen Tagen schürt die Sorge um 
die Weltwirtschaft. Die Energieminister der sieben führenden 
Industrienationen und Russlands (G8) warnten sogar vor einer globalen
Rezession. Energie-Expertin Prof. Dr. Claudia Kemfert vom Deutschen 
Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hält die Aufhebung 
der Úlpreisbindung für Erdgas und mehr Wettbewerb für dringend 
notwendig, um die Lage zu entzerren. Genauso wichtig seien aber auch 
Investitionen in umweltfreundliche Technologien, um von fossilen 
EnergietrÌgern wegzukommen.
Die Ankündigung, dass Verbrauchern im Herbst eine zusätzliche 
Gaspreiserhöhung von circa 40 Prozent ins Haus steht -- nachdem erst 
kürzlich ein Anstieg um 25 Prozent angekündigt worden war -- hat eine
,,Schockwelle" ausgelöst. Wird die Erhöhung tatsächlich so hoch 
ausfallen?
Kemfert: Nicht zusätzlich, sondern wahrscheinlich um insgesamt 40 
Prozent. Der Ölpreis hat seit Jahresbeginn um 40 Prozent zugelegt und
teilweise wurde diese Erhöhung schon im April und jetzt im Juni/Juli 
eingepreist. So dass wir schon jetzt 30 Prozent Preissteigerung seit 
Anfang des Jahres haben. Nochmals 40 Prozent oben drauf halte ich für
unwahrscheinlich. Dafür gibt es keinen Anlass, es sei denn, der 
Ölpreis steigt noch einmal deutlich.
Das ungeschriebene Gesetz, dass der Gaspreis an den Ölpreis 
gekoppelt ist, steht derzeit besonders in der Kritik. Ist die 
Entkoppelung die Lösung des Problems?
Kemfert: Die Entkoppelung ist dringend notwendig. Es ist nicht mehr 
zeitgemäß, den Gaspreis an den Ölpreis zu binden. Das ist eine 
privatwirtschaftliche Vereinbarung zwischen russischen 
Energielieferunternehmen und Abnehmern. Man hat es in den 60er-Jahren
eingeführt, um zu verhindern, dass Gas ein billiges Konkurrenzprodukt
zum Öl wird. Damals mussten noch viele Pipelines gebaut werden, so 
dass die Förderer Planungssicherheit für diese Investitionen 
brauchten. Die Preise waren insgesamt niedrig. Aber heute wird der 
Ölpreis von ganz anderen Faktoren bestimmt. Zum Beispiel von der 
Sorge um Versorgungsengpässe. Da die Ölvorräte schneller knapp 
werden, fließt das heute in den Preis mit ein. Das gilt jedoch nicht 
für Erdgas, so dass die Koppelung keinen Sinn mehr macht. Auf dem 
Gasmarkt ist mehr Wettbewerb notwendig.
Es gibt nur drei große Gasproduzenten -- Russland, Kuwait und Iran.
Würde die Entkoppelung die Entstehung eines Erdgaskartells 
begünstigen?
Kemfert: Die Entkoppelung ist keine Garantie für niedrige 
Energiepreise, sondern eher eine Garantie dafür, faire 
Wettbewerbspreise zu bekommen. Das Erdgaskartell gibt es übrigens 
bereits -- Russland will mit anderen wichtigen Gasanbieterländern 
kooperieren -- um den Markt zu kontrollieren. Beim Gas spielt 
Spekulation noch eine untergeordnete Rolle. Sicher kann das 
Gaskartell Preise diktieren. Deswegen muss es auch darum gehen, dass 
man das Angebot diversifiziert, Flüssiggas zulässt und den Wettbewerb
insgesamt verbessert. Allerdings muss es ohnehin darum gehen, Energie
zu sparen und wegzukommen von fossiler Energie.
Ibrahim Muhanna, Chefberater des Ölministers von Saudi-Arabien, 
fürchtet um die Nachfrage nach seinem Öl. Woran liegt es, wenn selbst
der größte Ölproduzent der Welt mit der Preisentwicklung nicht 
einverstanden ist?
Kemfert: Verständlicherweise. Denn die Fundamentaldaten erklären 
nicht, dass der Preis in dieser Weise steigt. Es gibt eine hohe 
Nachfrage, die in etwa gleichauf mit dem Angebot ist. Man kann die 
Schuld nicht nur auf Spekulanten schieben, aber sicherlich führen die
US-Finanzkrise und der schwache Dollar dazu, dass der Ölpreis steigt 
-- denn immer mehr Anleger investieren in Rohstoffe. Die Frage ist, 
inwieweit man das Ölangebot ausweiten kann. Die OPEC hat zwar 
signalisiert, dass sie dazu in der Lage ist. Andere Länder wie 
Russland --auch ein wichtiger Öllieferant -- sehen hingegen keine 
Möglichkeit für eine Kapazitätsaufstockung. Insofern ist der Markt 
tatsächlich angespannt. Auch die Internationale Energieagentur (IEA) 
hat ihre Prognosen korrigiert und zugegeben, dass sie den Ausbau des 
Angebots als zu optimistisch bewertet hat -- dazu würden erhebliche 
Investitionen auch in politisch instabilen Ländern notwendig sein, 
welche sehr schwierig umzusetzen sind. Dies hat zudem ein wichtiger 
Ölmulti -- Total -- bestätigt. Solche Meldungen führen natürlich zu 
Verunsicherungen, und der Preis treibt weiter in die Höhe.
Seit 2005 stagniert die Öl-Fördermenge bei 87 Millionen Barrel 
täglich. Warum wird sie angesichts des wachsenden Energiehungers -- 
insbesondere in China und Indien -- nicht erhöht?
Kemfert: Das ist genau die zentrale Frage. Es gibt Pessimisten, die 
sagen, dass sie gar nicht mehr ausgeweitet werden kann. Das glaube 
ich nicht. Ich denke schon, dass das Angebot von den derzeit 87 
Millionen Barrel pro Tag auf 100 Millionen Barrel ausgeweitet werden 
könnte -- unter der Voraussetzung, dass massiv investiert wird.
Der steigende Energiebedarf betrifft auch die Stromversorgung. Um 
Engpässe zu vermeiden, fordern Politiker und Stromkonzerne eine 
Abkehr vom Atomausstieg.
Ist Deutschlands Vorreiterrolle, unabhängig von der zwar sauberen,
aber gefährlichen Stromerzeugung zu werden, gescheitert?
Kemfert: Gescheitert würde ich nicht sagen. Gerade weil wir das 
Umwelt- und Klimapaket auf den Weg gebracht haben, in dem die 
richtigen Ansätze drin sind, nämlich die Energieeffizienz zu 
verbessern, die erneuerbaren Energien auszubauen. All das ist gerade 
in Zeiten hoher Preise für fossile Energieträger enorm wichtig, weil 
die Volkswirtschaft sehr stark entlastet werden kann. Der 
Atomausstieg ist in der Tat zu hinterfragen, weil ja nun Folgendes 
passiert: Es werden ausschließlich neue Kohlekraftwerke geplant, da 
der hohe Gaspreis Gaskraftwerke unwirtschaftlich macht -- obwohl sie 
weniger klimaschädlich sind als Kohlekraftwerke. Also ist mit 
steigenden CO2-Emissionen zu rechnen. Man sollte die sicheren 
Atomkraftwerke länger am Netz lassen und damit ein Zeitpolster 
schaffen, um die Kohlekraftwerke umweltfreundlicher zu machen, die 
Energieeffizienz weiter zu verbessern und erneuerbare Energien 
auszubauen. Nur dann werden wir die Chance haben, in der Welt 
glaubwürdig zu sein.
Atomenergie wird stets als preisgünstig angepriesen. Gibt es 
Berechnungen, was Atomstrom kosten würde, wenn die Industrie auch die
Entsorgungskosten voll tragen müsste?
Kemfert: Der Preis wäre deutlich höher. Zurzeit kostet die 
Kilowattstunde Strom produziert mit einem abgeschriebenen 
Atomkraftwerk circa 2 Cent. Diese Größenordnung würde sich 
verdoppeln, wenn nicht sogar verdreifachen, müssten die anderen 
Kosten mitgerechnet werden.
Laut Meseberger Programm soll der Anteil der erneuerbaren Energien
bis 2020 auf 20 Prozent erhöht werden. Reicht das aus, um neben 
Klimaschutz auch die Versorgungssicherheit der Bürger zu garantieren?
Kemfert: Ja. Heute sind wir schon bei 14 Prozent. Ich denke sogar, 
dass wir mehr als 20 Prozent bis 2020 schaffen. Wir müssen natürlich 
beim Ausbau der erneuerbaren Energie weitermachen und mehr tun, um 
Energie einzusparen. Das ist die Linie, auf der wir uns weiter 
fortbewegen müssen. Dann wird auch die Versorgungssicherheit 
gewährleistet sein. Wir müssen aber auch sehen, wo der Rest des 
Stroms herkommt, wenn wir keine Atom- und keine Gaskraftwerke mehr 
haben.
Die EU hat die Energiekonzerne aufgefordert, sich von ihren 
Leitungsnetzen zu trennen. RWE ist mit gutem Beispiel voran gegangen 
und hat sein Gasnetz zum Verkauf angeboten. Jetzt rudert Brüssel 
zurück: Die Konzerne dürfen die Kontrolle über die Netze behalten. 
Wie kam es zu dieser Kehrtwende? Kemfert: Das sind zwei verschiedene 
Angelegenheiten. Zum einen geht es um die Trennung von Netz und 
Betrieb, um den Wettbewerb anzukurbeln. Deutschland vertrat den 
sogenannten dritten Weg mit einem Sys"temnetzbetreiber, der 
unabhängig von den Konzernen agiert. Das war der Vorschlag, dem auch 
Brüssel jetzt zugestimmt hat, weil es letztendlich nicht darauf 
ankommt, wem die Netze gehören, sondern darauf, dass sie zuverlässig 
sind und der Zugang reguliert und überwacht wird. Das andere ist, 
dass die Konzerne -- natürlich unfreiwillig -- ihre Netze verkaufen 
müssen, um hohe Bußgeldverfahren zu vermeiden. Die 
EU-Wettbewerbskommission befürchtet, dass E.ON und RWE 
marktbeherrschende Positionen innehaben. Der Verkauf ist somit 
letztendlich ein Kompromiss in einem schon länger andauernden 
EU-Kartellverfahren.
Die Energieminister der G-8-Staaten warnen vor einer globalen 
Rezession, wenn die Ölpreise weiter steigen. Soll die Politik 
marktregulierend eingreifen?
Kemfert: Die Politik muss eingreifen. Denn diese Entwicklung ist 
absolut besorgniserregend, wenn auch nicht völlig unvorhersehbar. 
Denn wir wissen, dass Öl immer knapper wird. Aber wir müssen 
natürlich sehen, dass wir nicht in eine weltweite Rezession 
schliddern, ausgelöst durch explodierende Energiepreise. Letztendlich
kann es nur darum gehen, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, um 
von fossiler Energie wegzukommen. Nicht nur aus Klimaschutzgründen, 
sondern gerade auch, um die Weltwirtschaft zu schützen und um 
Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Deutschlands Wirtschaft steckt im Zangengriff des Euro- und 
Ölpreisanstiegs, wie Thomas Meyer, Europa-Chefvolkswirt der Deutschen
Bank, formulierte. Sind Sozialtarife für Energie, ein neue 
Pendlerpauschale und die Abschaffung der Ökosteuer geeignete Mittel, 
um die Kaufkraft der Bürger und damit die Konjunktur zu stützen? 
Kemfert: Nein, sie lösen das Problem in keinster Weise, sie 
verschieben es nur auf der Zeitachse. Was wir brauchen, sind 
alternative Kraftstoffe und nachhaltige Mobilitätskonzepte. Man muss 
somit mehr Geld in der Erforschung innovativer Techniken investieren.
Wenig zielführend und nachhaltig ist, dass man weiter die 
Zersiedelung fördert oder die Pendlerpauschale wieder einführt. Die 
Ökosteuer fließt in die Rentenfinanzierung, so dass man bei einem 
Wegfall den Verbraucher an anderer Stelle belasten müsste. Beim 
Benzinpreis würde eine Senkung der Mineralölsteuer vermutlich dem 
Verbraucher wenig nutzen, da die Anbieter wahrscheinlich ihre Margen 
erhöhen würden. Somit wird der Verbraucher nicht entlastet, das Geld 
landet nicht in der Staatskasse, sondern in den Kassen der 
Mineralölkonzerne. Um den Strompreis zu senken, sollte der Wettbewerb
weiter gefördert und die Versorgungssicherheit gestärkt werden.
Das Gespräch führte Dietlinde Terjung

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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