Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: Dr. Michael Bräuninger vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI): ,,In dieser Situatiion müssen wir den Kaufkraftverlust akzeptieren."
Lüneburg (ots)
Die Angst vor weiteren Preissteigerungen geht um in Deutschland. Vor allem Energie, aber auch Nahrungsmittel sind die Preistreiber -- und bedrohen die konjunkturelle Entwicklung. Angesichts der hohen Inflationsrate fordern die Gewerkschaften bereits einen Lohnausgleich. ,,In dieser Situation müssen wir leider den derzeitigen Kaufkraftverlust akzeptieren", sagt der Wirtschaftsexperte Michael Bräuninger vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) im Gespräch mit unserer Zeitung. Ihr Institut hat vor knapp vier Wochen die Prognose für dieses Jahr leicht auf 2,2 Prozent erhöht. Im kommenden Jahr sollen es dann noch 1,1 Prozent sein. Ist das angesichts der jüngsten Entwicklung nicht zu optimistisch? Dr. Michael Bräuninger: Für dieses Jahr ist die Wachstumsrate hoch. Das liegt im wesentlichen am ersten Quartal, in dem die Wirtschaft überraschend stark zugelegt hat. Daher muss man von Wachstumsraten von mehr als zwei Prozent ausgehen, obwohl wir jetzt schon eine deutliche konjunkturelle Schwäche sehen. Normalerweise sinken bei nachlassender Weltkonjunktur die Preise. Doch derzeit geschieht das Gegenteil. Wie groß ist die Gefahr einer solchen Stagflation in Deutschland? Bräuninger: Wir haben einen deutlichen Preisanstieg. Die schlechte Konjunktur ist zum Teil durch diese hohen Preise bedingt. Diese Situation ist vergleichbar mit der der 70er-Jahre: hohe Rohstoffpreise haben die Inflationsrate nach oben schnellen lassen, die Teuerung ist also nicht konjunkturell bedingt. Wir gehen davon aus, dass die Preise noch eine Zeitlang so hoch bleiben, aber wir werden keine weiteren Preissteigerungsraten erleben. Eher ist mit einem gewissen Rückgang zu rechnen. Die Zahl der Arbeitslosen sieht das HWWI in diesem Jahr bei 3,3 Millionen, im kommenden Jahr bei 3,2 Millionen. Lässt sich diese Prognose noch halten vor dem Hintergrund der jüngsten Meldungen, wonach durch die Rekordölpreise mindestens 50000 Firmen in ihrer Existenz gefährdet sind? Bräuninger: Trotz der hohen Ölpreise dürfte sich die Beschäftigung weiterhin positiv entwickeln, wenn auch mit geringerem Tempo. Unser Glück ist, dass uns dieser Preisschock in einer konjunkturell sehr güns"tigen Phase trifft. Insgesamt ist die Beschäftigung in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Das hat auch mit der Lohnzurückhaltung zu tun, die Deutschland wieder wettbewerbsfähig gemacht hat. Diese positiven Effekte haben die negativen Vorgaben des Weltmarktes bisher zum Teil kompensieren können. Mit der hohen Inflationsrate werden auch die Forderungen der Gewerkschaften wieder steigen. Der Vorsprung, den Deutschland sich erarbeitet hat, wäre dann wieder gefährdet. Bräuninger: Richtig, das ist ein großes Risiken. Wir hatten über mehrere Jahre Lohnzurückhaltung. Die neuen Abschlüsse sind zwar deutlich höher, aber vor dem Hintergrund der besseren Beschäftigungslage und der gestiegenen Produktivität in einzelnen Branchen noch zu rechtfertigen. Nicht zu rechtfertigen wären Lohnforderungen mit der Begründung von Preissteigerungen, die vom Weltmarkt kommen. Gegen diese können wir uns nicht wehren -- wir müssen sie akzeptieren. Das heißt, wir müssen den derzeitigen Kaufkraftverlust hinnehmen, denn die Kaufkraft geht von uns zu den Rohstoffproduzenten. Die große Gefahr für die Konjunktur ist, dass die Gewerkschaften in dieser Situation einen Lohnausgleich fordern und durchsetzen. Genau vor diesen Zweitrundeneffekten warnt auch die Europäische Zentralbank. Die EZB hat angesichts dieser importierten Inflation gehandelt. Aber war die Erhöhung nicht doch ein Fehler? Bräuninger: Die Zinserhöhung hatte Signalcharakter. Ich fand sie angemessen. Eine Erhöhung um einen Viertelprozentpunkt hat noch keine dramatischen Auswirkungen auf die Konjunktur. Und sie ist ein Signal dafür, dass die EZB gegenüber weiter steigenden Preisen und auch Lohnrunden wachsam ist und im Zweifelsfall erneut einschreiten wird, um zum Zielkorridor von zwei Prozent Inflationsrate zurückzukehren. Aber das Signal, das der EZB-Präsident Trichet am 6. Juni aussandte, als er die Leitzinserhöhung ankündigte, war verheerend: Die Ölpreise stiegen um zehn Dollar -- dies war der höchste Anstieg an einem Tag. Höhere Zinsen treiben die Anleger vom Dollar zum Euro. Zudem nehmen die Ölförderländer Milliarden Dollar ein, tauschen diese in Euro-Anlagen um. Auch das führt letztlich zu steigenden Ölpreisen. Lässt sich diese Spirale unterbrechen? Bräuninger: Eine Leitzinserhöhung der EZB hat natürlich Umschichtungseffekte hin zum Euro. Das schwächt den Dollar und erschwert damit die Geschäfte der deutschen Exportbranche in den Dollarraum. Das ist sicherlich ein negativer Effekt. Aber die EZB ist gewillt, eine schwächere konjunkturelle Phase hinzunehmen, um Preisstabilität zu erkaufen. Aber die Entwicklung auf den Ölmärkten halte ich weitgehend für unabhängig von der EZB-Politik. Wer die Abhängigkeit von Öl und Gas verringern will, muss viel Geld investieren. Diese Investitionen sind durch den Zinsschritt der EZB erschwert worden. Rechnen Sie mit Zinssenkungen in diesem Jahr? Bräuninger: Nein, auf keinen Fall. Ich könnte mir eher eine weitere Zinserhöhung vorstellen. Allerdings hat die EZB angekündigt, dass diese jüngste Zinserhöhung nicht der Auftakt zu einer Folge von Schritten in diese Richtung ist. Insofern wird die EZB erstmal abwarten. Das gilt auch für die Zinsen in den USA, die derzeit sehr niedrig sind. Die notwendigen In"ves"titionen in Öl und Gas werden von dem kleinen EZB-Schritt sicher nicht beeinflusst, denn die Konzerne sind sehr kapitalstark. Darüber hinaus liegen die Renditen in diesem Geschäft weit über den marktüblichen Zinsen. Das Investitionsgeschehen wird eher von Unsicherheiten und anderen Faktoren bestimmt. Die Förderländer sagen weitere Schübe beim Ölpreis voraus. Ein Analyst geht davon aus, dass der Ölpreis erst dann wieder sinkt, wenn die Weltwirtschaft in eine Rezession abgeglitten ist. Sind Sie da opti"mis"tischer? Bräuninger: Ja, da bin ich in der Tat optimistischer. Ich glaube nicht, dass der derzeit so hohe Ölpreis fundamental begründet ist. Ich könnte mir gut vorstellen, dass der Ölpreis deutlich zurückgeht. Einer der auslösenden Punkte könnte sicherlich eine Abschwächung der Weltkonjunktur sein, ein anderer etwa eine Erhöhung des Angebots. Ingesamt glaube ich, dass wir in der zweiten Jahreshälfte zu einer Normalisierung kommen. Ein Analyst der Deutschen Bank ist da etwas skeptischer. Es sagt, beim Erdöl haben wir die Zukunft schon hinter unsu Bräuninger: Gut, es gibt hier sehr unterschiedliche Einschätzungen mit einem breiten Spektrum vom deutlichen Ölpreisanstieg bis zum deutlichen Rückgang. Jeder Experte meint, Recht zu haben. Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass es eine sehr große Marktunsicherheit gibt. Beim G8-Gipfel hat sich einmal mehr die Ohnmacht der Mächtigen gezeigt. Die Ölpreise lassen sich kaum politisch bekämpfen. Welche Handlungsspielräume sehen Sie für die Politik, um eine drohende Rezession abzuwenden? Bräuninger: Gegen die hohen Ölpreise kann die Politik kurzfristig gar nichts tun. Mittel- und langfristig jedoch kann sie durch Förderung alternativer Energien, Erhöhung der Energieeffizienz und durch Energiesparen die Ölnachfrage dämpfen und so zur Normalisierung des Ölpreises beitragen. Bezogen auf die Konjunktur erscheinen mir drei Dinge wesentlich: Wir benötigen weiter eine angemessene und zurückhaltende Tarifpolitik. Dann ist die Zentralbank nicht genötigt, die Zinsen zu erhöhen und kann ihren Kurs der moderaten Geldpolitik beibehalten. Da"rüber hinaus müssen wir eine sinnvoll und strategisch ausgerichtete Finanzpolitik verfolgen. Die Bundesregierung hat gerade angekündigt, dass sie den Bau von 30 Offshore-Windkraftparks vorantreiben will. Ist das in ihren Augen ein richtiger Schritt? Bräuninger: Ja, sicherlich. Deutschland sollte versuchen, die Abhängigkeit vom Öl und vom Gas zu reduzieren, und damit auch zu einer Stabilisierung der Preise beitragen. Dazu gehört Insbesondere der Ausbau der Windenergie. Das Interview führte Werner Kolbe
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