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Landeszeitung Lüneburg: ,,Die Gräben sind noch tiefer geworden" -- Interview mit dem Kaukasus-Experte Dr. Uwe Halbach

Lüneburg (ots)

Wie kann das Pulverfass Kaukasus entschärft
werden? Diese Frage bespricht heute Bundeskanzlerin Merkel in Moskau 
mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew. Beim NATO-Gipfel in 
Bukarest hatte Merkel die Aufnahme Georgiens in der NATO verhindert. 
"Aber vielleicht hätte eine Aufnahme Georgiens den Konflikt 
verhindert", meint Kaukasus-Experte Dr. Uwe Halbach.
Beide Konfliktparteien haben sich in der Nacht zu Mittwoch darauf 
geeinigt, die Waffen schweigen zu lassen. Welche Chancen geben Sie 
dem Frieden?
Dr. Uwe Halbach: Ein echter Frieden würde eine politische Lösung der 
Sezessionskonflikte Georgiens voraussetzen. Und die steht noch sehr 
lange aus, ist durch den Krieg der letzten Tage sogar noch weiter auf
die lange Bank geschoben worden. Selbst wenn die Kriegshandlungen 
jetzt wirklich dauerhaft eingestellt werden, verbleibt der Kaukasus 
in einem Zustand, der zwischen Krieg und Frieden angesiedelt ist.
Gegen Ende des Konflikts strebte Moskau den Sturz von Georgiens 
Präsident Saakaschwili an, Tiflis verkündete den Austritt aus der 
GUS. Können die Gegner hinter ihre weitgesteckten Ziele zurücktreten?
Dr. Halbach: Es wird schwer, die in den vergangenen Jahren 
geschaffenen Gräben sind noch tiefer geworden. Saakaschwili war vor 
seiner Fahnen schwenkenden Anhängerschaft mit so markigen Worten 
aufgetreten, wie: "Georgien ist der Vorposten im Kampf gegen 
Russland". Wir haben zwar -- hoffentlich -- einen Waffenstillstand, 
aber zugleich haben wir auch einen Zustand bilateraler Feindseligkeit
zwischen Russland und Georgien, der riskant bleibt. In Russland haben
sich seit der "Spionagekrise" vom Herbst 2006 antigeorgische 
Stereotypen verhärtet.
Spekulierte Saakaschwili bei seiner Offensive gegen Südossetien 
auf militärischen Beistand der USA?
Dr. Halbach: Wenn, dann hat er sich kräftig verkalkuliert. Denn 
westliche Akteure -- und hier beziehe ich Washington mit ein -- 
bekräftigen zwar gegenüber Tiflis nach wie vor die territoriale 
Integrität Georgiens, wonach die abtrünnigen Provinzen Abchasien und 
Südossetien weiter zu Georgien zählen. Dabei machten sie aber auch 
klar, dass es keine Option auf eine militärische Rückeroberung dieser
Gebiete gibt. Von daher konnte er nicht erwarten, dass irgendjemand 
ihm militärischen Beistand leisten wird.
George Bush gelang auf dem Gipfel in Bukarest nicht, Georgien als 
neues NATO-Mitglied durchzusetzen. Wäre es ihm gelungen: Hätten wir 
heute den Bündnisfall oder überhaupt keinen Waffengang?
Dr. Halbach: Ich glaube eher, dass es den Waffengang nicht gegeben 
hätte. Zum einen wäre Saakaschwili stärker umzäunt gewesen. Als ein 
NATO-Mitglied wäre er von einem militärischen Schlag gegen 
Südossetien eher zurückgehalten worden. Zum anderen hätte Russland 
gegenüber einem NATO-Mitgliedsstaat wohl anders reagiert.
Hat der Kreml die Gelegenheit genutzt, den USA die Grenzen der 
NATO-Erweiterung aufzuzeigen?
Dr. Halbach: Das ist seit langem das Bestreben Russlands. 
Insbesondere seit April hat der Kreml mit Blick auf den NATO-Gipfel 
und die Entscheidung über den Status des Kosovo den Schulterschluss 
mit den Regierungen in Abchasien und Südossetien verstärkt, um 
Georgien zu zeigen, wo der Hammer hängt.
Soll überhaupt ein Land ins Bündnis geholt werden, das seine 
Territorialkonflikte mit Gewalt lösen will?
Dr. Halbach: Da lagen ja auch die Bedenken von Deutschland und 
Frankreich, Georgien im jetzigen Zustand aufzunehmen. Da sind zum 
einen die ungelösten Territorialkonflikte und zum anderen der 
Schaden, den der demokratische Nimbus der "Rosenrevolution" in den 
letzten Monaten erlitten hat. Ein derart problembeladenes Georgien 
wäre ein schwer verdaulicher Happen für die NATO.
Ein schwer verdaulicher Happen auch, weil der Kreml das Land im 
Zustand "kontrollierter Instabilität" halten kann?
Dr. Halbach: Natürlich. Zumal Russlands Politik gegenüber Georgien 
von dem Gedanken getragen ist, das Land zu bestrafen: Für seine 
Anlehnung an den Westen, um sich aus der Umklammerung Russlands zu 
lösen. Dieses Motiv klang auch bei der Verkündigung des 
Waffenstillstands durch Russlands Präsidenten Dmitri Medwedew durch, 
der sagte: "Der Aggressor ist bestraft worden!"
Ist der Hass zwischen Georgiern auf der einen sowie Abchasen und 
Südosseten auf der anderen Seite ein Echo der Sowjetunion, in der die
Völker gegeneinander ausgespielt wurden?
Dr. Halbach: Sicherlich, diese ganzen ungelösten Sezessionskonflikte 
sind Erbschaften der sowjetischen Nationälitäten- und 
Territorialpolitik. Wir haben auf dem Kaukasus eine ganze Reihe 
schillernder ethnisch-territorialer Gebilde: Allein die Aufteilung 
des ossetischen Siedlungsgebietes in einen nördlichen Teil, der zu 
Russland gehört, und einen südlichen, der Georgien zugeschlagen 
wurde. Oder Gebilde im Nordkaukasus wie Kabardino-Balkarien und 
Karatschai-Tscherkessien, wo schon an den Namen die komplizierten 
ethno-territorialen Verhältnisse abzulesen sind.
Bereits 1920 war Südossetien der Brückenkopf zur Eroberung 
Georgiens durch die Rote Armee. Gibt es hier auch historische 
Erblasten?
Dr. Halbach: Ja, die georgische Armee hatte ossetische Aufstände 
1918/19 brutal niedergeworfen. Die Georgier diffamierten die Osseten 
schon damals als "Russenknechte".
Mit seinen georgischen Brückenköpfen verfolgt Moskau klassische 
Imperialpolitik. Benutzt Russland den Kaukasus, um seine 
Großmachtansprüche zu untermauern?
Dr. Halbach: Zunächst mal geht es Moskau um seine Position in der 
Region. In dieser Hinsicht gibt es eine verräterische Äußerung von 
Medwedew vom 8. August. Da heißt es: "Russland ist der historische 
Garant für den Frieden der Völker des Kaukasus und wird es bleiben." 
Das ist eine Absage an andere Akteure, sich als Ordnungsmacht auf dem
Kaukasus zu etablieren. Georgien war im Vorfeld des Waffengangs stark
bemüht, die internationale Gemeinschaft in die Konfliktbewältigung 
mit hineinzuziehen. Hier ging Russland auf Konfrontationskurs. Sicher
geht es in dem Konflikt auch um eine geoökonomische Komponente, 
nämlich um Georgien als Transportkorridor für Öl und Gas, aber das 
ist nur ein Teilaspekt.
Nun brechen die Pipelines in Georgien aber Russlands 
Leitungsmonopol zum Kaspischen Meer. Will die Ressourcen-Großmacht 
Russland mit Gewalt ihre Position festigen?
Dr. Halbach: Zunächst mal wollte Russland seine Position im Kaukasus 
festigen. Da fließt selbstverständlich auch die Rolle des Kaukasus 
als Landbrücke und Verkehrskorridor mit ein. Jedes Vordringen einer 
anderen Macht in diesen Raum betrachtet Moskau als geopolitische 
Aggression gegen sich.
Obwohl Putin als Ministerpräsident gar nicht für Krieg und Frieden
zuständig ist, war er aktiv. Offenbarte der Konflikt Kreml-Astrologen
die wahre Machtverteilung in Moskau?
Dr. Halbach: Das ist schwer zu beurteilen, zumal Präsident Medwedew 
zumindest bei den Verhandlungen mit EU-Ratspräsident Sarkozy und der 
Beendigung des Waffengangs wieder im Vordergrund war. Es gab ein 
Wechselspiel, dass an die Rollenverteilung "good cop, bad cop" 
erinnerte.
Löst der Kaukasus-Konflikt einen neuen Kalten Krieg aus?
Dr. Halbach: Er hat zumindest das Potenzial, neue Ost-West-Konflikte 
heraufzubeschwören. Mit einer Etikettierung als "neuem Kalten Krieg" 
wäre ich vorsichtig. Denn anders als damals stehen sich jetzt keine 
riesigen, feindlichen Militärblöcke gegenüber. Aber einen Rückfall in
Denk- und Rhetorikschablonen des Kalten Krieges kann ich nicht 
bestreiten. Das Wortgefecht zwischen dem US- und dem russischen 
Botschafter im UN-Sicherheitsrat, Zalmay Khalilzad und Witali 
Tschurkin, erinnerte stark an vergangene Zeiten.
Es ist ein diplomatischer Erfolg für Europa, den Waffenstillstand 
vermittelt zu haben. Hatte es die Option gehabt, ihn zu verhindern?
Dr. Halbach: Nein, das gelang wohl nicht, ruft man sich die 
diplomatischen Initiativen europäischer Akteure im Vorfeld ins 
Gedächtnis, etwa den deutschen Friedensplan für Abchasien oder den 
Solana-Besuch im Südkaukasus. Europa wurde durch den Konflikt nicht 
etwa aus einem Tiefschlaf geholt, sondern war vorher aktiv, konnten 
deshalb federführend bei der Gestaltung des Waffenstillstands sein. 
Sicher gibt es Anlass für die EU, zu überdenken, welche Rolle 
Russland gerade in den Nachbarregionen Europas spielt. Ist es 
wirklich möglich, mit Russland die angestrebte gemeinsame Linie für 
den Kaukasus zu finden? Es wirkt eher so, dass sich Russland in 
seiner Rolle als alleinige Schutzmacht und Vormacht in der Region 
einigelt.
Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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