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Landeszeitung Lüneburg: Obama muss zunächst ein Präsident der innenpolitischen Reformen werden -- Interview mit dem Politologen Prof. Dr. Christian Hacke.

Lüneburg (ots)

Barack Obama ist nicht zu beneiden. Die
Erwartungen an ihn sind mindestens so groß wie die Aufgaben, vor 
denen der erste schwarze Präsident der USA stehen wird. ,,Obama muss 
zunächst ein Präsident der innenpolitischen Reformen werden", sagt 
der Politologe Prof. Dr. Christian Hacke im Gespräch mit unserer 
Zeitung.
Barack Obama hat einen überragenden Wahlsieg errungen. Haben Sie 
mit diesem großen Vorsprung gerechnet?
Professor Dr. Christian Hacke: Nein. Ich habe geglaubt, dass die 
Vorbehalte ihm gegenüber größer sein würden.
Was war Obamas größte Stärke im Wahlkampf, was hat ihn so überzeugend
gemacht für die Wähler?
Hacke: Es war ein Kampf Charisma gegen Mythos. Das Charisma Obamas 
hat sich im Laufe des Wahlkampfes nicht verbraucht, sondern wurde im 
Gegenteil immer eindrucksvoller. Sein Charakter, sein differenziertes
Weltbild, die kluge Wahlkampfführung, die Abgewogenheit der 
Argumentationen --- all das hat den Wähler wohl überzeugt, dass er --
trotz möglicher Vorbehalte wegen seiner Hautfarbe -- der bessere Mann
für das Präsidentenamt ist. McCains im Vietnam-Krieg entstandener 
Mythos hingegen konnte angesichts der neuen politischen 
Herausforderungen keine Wirkung mehr erzeugen.
Welche Bedeutung hat es Ihrer Ansicht nach, dass Obama der erste 
afroamerikanische Präsident der USA ist?
Hacke: Das hat für die Afroamerikaner eine enorme Bedeutung. Für sie 
ist es endlich der Beweis, dass der amerikanische Traum auch für 
Schwarze im politischen Bereich bis zum höchsten Amt möglich ist. 
Diese unglaubliche Entwicklung fördert die Integration in dem 
multirassischen und multiethnischen Staat ganz enorm. Gleichzeitig 
wird aber Obama darauf achten müssen, dass er alle anspricht und 
nicht nur als schwarzer Präsident regiert. Seine bisherigen 
Ausführungen zur Außen- und Innenpolitik zeigen aber deutlich, dass 
er alles tun wird, um diesen Eindruck nicht aufkommen zu lassen.
Obama hatte seinen Wahlkampf unter das Motto ,,Change" gestellt. 
Nun erwartet ganz Amerika einen Neuanfang. Hat Obama innenpolitisch 
angesichts der enormen Probleme wie Finanzkrise und Haushaltsdefizit 
überhaupt Spielraum, um die großen Erwartungen zu erfüllen?
Hacke: Der Spielraum ist enorm eingeengt. Aber Obama hat die 
Bevölkerung schon da"rauf eingestimmt, dass die USA einen langen Weg 
vor sich haben. Die Probleme in der Innenpolitik sind so groß, dass 
Obama zunächt ein Präsident der innenpolitischen Reformen werden 
muss. Obama wird sich linken und rechten Forderungen aus den Reihen 
seiner Partei ausgesetzt sehen. Ich gehe aber davon aus, dass Obama 
einen Mittelweg suchen und finden wird. Die außenpolitischen Probleme
sind zwar deutlich, aber leichter zu lösen. Das Ansehen der USA in 
der Welt wiederherzustellen, erfordert Stil, Takt und kluge 
Entscheidungen. Dies alles ist von Obama zu erwarten. Dann wird sich 
das, was sich als Anti-Amerikanismus zeigte, sehr schnell als 
Anti-Bushismus in Luft auflösen. Aber die strukturellen Prob-leme in 
der Innenpolitik -- vor allem die Staatsverschuldung -- werden Obama 
noch schwer zu schaffen machen. Dennoch bin ich sicher, dass er 
frischen Wind in die Politik bringt. Es wird ein Aufbruch in eine 
neue Zeit.
,,Die Frage, wozu Europa dient, ist nicht mehr aktuell. Wir sind 
jetzt Partner", hat der französische Außenminister und 
EU-Ratsvorsitzende Bernard Kouchner kürzlich gesagt. Glauben Sie, 
dass Europa künftig von den USA als vollwertiger Partner ernst 
genommen wird?
Hacke: Das desaströse Erbe der Regierung Bush und die 
Führungslosigkeit der USA im westlichen Bündnis und in der 
Weltpolitik mag manche in Europa veranlasst haben, diese Schwäche und
Orientierungslosigkeit der USA als Stärke Europas zu interpretieren. 
Aber ich denke, dass auch unter Obama mit sehr viel Geschmeidigkeit, 
Klugheit und Raffinesse, zugleich jedoch mit klarem Gespür für 
amerikanische Interessen, Forderungen an die Europäer herangebracht 
werden. Diesen wird sich Europa sehr viel schwerer verschließen 
können als früher gegen einen etwas plumpen und arroganten Bush.
Glauben Sie, dass Obama die Politik der Provokationen gegenüber 
Russland fortsetzen wird?
Hacke: Mein Instinkt sagt mir, dass er das nicht tun wird. Unter 
McCain wären wir allerdings in eine Zeit gekommen, in der wir uns 
nach Bush zurückgesehnt hätten. Denn McCain ist der Scharfmacher 
gegenüber den Russen gewesen. Das hat sich zuletzt in der 
Georgienkrise gezeigt. Obama hat hingegen mit der martialischen 
Haltung McCains nichts am Hut. Ich glaube, er wird sehr progressiver 
und kooperativer mit den Russen umgehen. Er wird mit größerem 
Verständis für die russischen und auch die chinesischen Interessen 
agieren. Er wird auch da ein Brückenbauer sein und so handeln, wie es
Bundeskanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Jahren vorexerziert 
hat: Abstimmung, Konsultation, Diplomatie. Dies stärkt die Stellung 
der USA auch in Gemeinschaftsinstitutionen wie der UNO. Die neuen 
globalen Fragen wird er in größerer Kooperation mit den Europäern 
angehen.
Russlands Präsident Medwedew hat gerade angekündigt, Raketen an den 
NATO-Grenzen aufstellen zu wollen. Kommt auf Deutschland im Hinblick 
auf sein relativ gutes Verhältnis zu Russland künftig eine noch 
stärkere Vermittlerrolle zu?
Hacke: Das kommt darauf an, ob wir vermitteln können oder ob die 
Amerikaner wieder so stark werden, dass sie die Dinge selbst in die 
Hand nehmen. Unsere Vermittlerrolle basierte auf der Sprachlosigkeit 
zwischen Washington und Moskau, die sich, glaube ich, bald zum 
Besseren verändert. Zudem sollten wir unsere 
Vermittlungsmöglichkeiten nicht überschätzen. Angesichts der Kriege 
in Afghanistan, im Irak und den Problemen in Pakistan wird 
Deutschland -- auch im Rahmen der NATO -- künftig sehr viel stärker 
gefordert werden. Wir werden uns nicht länger drücken können.
Sie gehen also davon aus, dass wir auch in Pakistan einen Beitrag 
leisten müssen?
Hacke: Das Afghanistan-Prob"lem ist nur zu lösen, wenn auch das 
Pakistan-Problem gelöst wird -- auch mit nicht-militärischen Mitteln.
Hier erwarte ich von Obama, dass er den Krieg gegen den Terror sehr 
viel intelligenter führen wird. Wie das aussehen wird, bleibt 
abzuwarten. Klar scheint aber zu sein, dass Obama im Rahmen dieses 
Kampfes stärkere Forderungen an Europa stellt. Weltpolitisch hatten 
wir lange ein Machtvakuum, hatten keine Führung durch die Amerikaner.
Der Westen war zerstritten. Viele sahen Amerika und Europa als zwei 
Teile des Westens, die nicht unbedingt etwas miteinander zu tun haben
müssen. Dieses Machtvakuum wird wieder von den Amerikanern unter 
Obama aufgefüllt. Einige in Europa werden zwar Schwierigkeiten haben,
sich wieder daran zu gewöhnen. Aber meiner Meinung nach ist 
amerikanische Führung unabdingbar. Vor allem, wenn es um harte 
Machtfragen geht und wenn militärische Drohungen angebracht sind.
Glauben Sie, dass Obama die von Bush verfolgte Politik der Annäherung
an Indien fortsetzen wird, um einen Gegenpol zur künftigen Weltmacht 
China zu bilden?
Hacke: Ich glaube nicht, dass er diesen Kurs aufgibt. Denn es war 
schon ein Gewinn und auch klug von Bush, die Beziehungen zur -- 
salopp formuliert -- größten Demokratie der Welt zu verbessern. Ich 
glaube auch, dass Obama -- nicht zuletzt aufgrund der eigenen 
Herkunft -- ein stärkeres Gewicht auf Afrika legen wird. Er wird 
gegenüber der Dritten Welt die Vorbildrolle der USA als 
zivilisatorische Vormacht herausstellen, als ein Land, das wieder 
stärker mit nicht-militärischen Mitteln in der Weltpolitik wirken 
will. Das wird dann natürlich auch bei den Europäern gut ankommen.
In Handelsfragen waren die US-Demokraten immer schon eher 
protektionistisch veranlagt. Bremst dies die Freude in China über den
Sieg Obamas, der dort populärer ist als McCain?
Hacke: Das muss man abwarten -- und kann es nicht pauschal 
beantworten. Denn auch bei den Demokraten gibt es durchaus Anhänger 
einer freien Marktwirtschaft. Protektionismus ist keine originär 
demokratische Idee, sondern man findet sie auch bei Republikanern mit
isolationistischer, konservativer Prägung. Was in den USA viel 
stärker im Vordergrund stehen wird, sind die wirtschaftlichen 
He-rausforderungen und die neuen globalen Fragen. Amerikas Wirtschaft
wieder fit zu machen, ist vorrangig -- und geht natürlich nicht von 
heute auf morgen.
Großbritanniens Premier Gordon Brown erwartet von Obama eine ,,starke
Führung in der Finanzkrise". Glauben Sie an eine vorsichtige Abkehr 
vom angelsächsischen Kapitalismus unter Obama? Hacke: Das ist sehr 
schwer zu beurteilen. Denn es gibt verschiedene Kapitalismusmodelle. 
Zwar scheint es so, als hätten das Thatcher- oder das Reagan-Modell 
ausgedient. Und angesichts der Finanzkrise wird mehr Staat in den USA
gefordert. Doch solche Maßnahmen sind prinzipiell unpopulär: Die 
Amerikaner mögen nicht mehr Staat. Auf der anderen Seite wird mehr 
Sozialversicherung nötig sein, wird mehr zu tun sein bei der 
Bankenaufsicht, wird es viele weitere große Aufgaben geben. Das hat 
Obama als erster selbst erkannt. Er ließ sich keine Euphorie nach dem
Wahlsieg anmerken, sondern stimmte die Amerikaner gleich auf eine 
lange, harte Zeit ein. Obama ist ein enorm kluger Mann. Er beherrscht
die Zwischentöne. Der Mann weiß, was er will. Und er weiß, was für 
das Land gut ist. Ich denke, dass Obama die Amerikaner intelligent 
führen wird. Und dass sich die Amerikaner unter seiner Führung sehr 
viel sicherer fühlen werden als es unter dem Vorgänger der Fall war.
Das Interview führte Werner Kolbe

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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