All Stories
Follow
Subscribe to Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg: Wirtschaftstaatssekretär Dr. Walther Otremba im Interview: "Der Staat darf Pleiten nicht verhindern"

Lüneburg (ots)

Weltweit werden immer neue Milliardenpakete
geschnürt, um die Konjunktur zu stützen und strauchelnde Finanz- und 
Industriekonzerne zu retten. Hat der Markt versagt? Muss der Staat 
intervenieren? Dr. Walther Otremba, Staatssekretär im 
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, hält vorübergehende
Eingriffe des Staates in die Wirtschaft für richtig und wichtig, aber
nur in Einzelfällen.
Können Sie alle zehn Vornamen von Wirtschaftsminister zu 
Guttenberg herunterbeten?
Dr. Walther Otremba: Nein, das wird uns auch nicht abverlangt.
Was hat sich für Sie verändert unter ihrem neuen Chef Karl-Theodor
zu Guttenberg?
Otremba: Relativ wenig. Es wird weiter an allen Fronten für 
Wettbewerb, Wachstum und Beschäftigung gekämpft.
Die Rettung der Hypo Real Estate hat bereits rund 100 Milliarden 
Euro gekostet -- pro Bundesbürger mehr als 1000 Euro. War es im 
Rückblick falsch, die Bank retten zu wollen?
Otremba: Dazu zweierlei: Erst einmal hat uns das ja nicht 100 
Milliarden Euro gekostet, sondern wir stellen bisher Bürgschaften von
rund 100 Milliarden Euro zur Verfügung. Wenn das alles funktioniert, 
werden die Steuerzahler wahrscheinlich keine Lasten zu tragen haben, 
da Ausfälle nicht erwartet werden. Zweitens war dieses Engagement des
Staates unvermeidbar, da der Zusammenbruch einer Bank mit einer 
Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro mit Sicherheit andere Banken, die
der HRE Gelder geliehen haben, mit in den Abgrund gerissen hätte. Das
wäre für die deutsche Volkswirtschaft sehr viel teurer geworden.
Namhafte Ökonomen und Politiker sind der Ansicht, man hätte die 
HRE besser den Bach runtergehen lassen sollen, um künftigen 
Fehlentwicklungen in der Branche vorzubeugen...
Otremba: Vor der Lehman-Pleite hätte ich diese Ansicht vielleicht 
auch unterstützt. Inzwischen sind wir ein ganzes Stück klüger 
geworden. Die ganze Bankenkrise wäre wesentlich sanfter verlaufen, 
wenn die Amerikaner Lehman nicht in die Insolvenz gehen lassen 
hätten. Insofern meine ich, dass zu dem eingeschlagenen Weg keine 
Alternative bestand.
Satte Boni auch für das Katastrophenjahr 2008 -- warum soll der 
Steuerzahler für die Verfehlungen der Banken aufkommen?
Otremba: Wir haben im Finanzmarktstabilisierungsgesetz strikte 
Regelungen für künftige Bonuszahlungen festgeschrieben. Das heißt, in
Zukunft wird es bei Banken, die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, 
umfangreiche Regeln geben, die extrem hohe Gehälter oder Boni 
verhindern. Für vertragliche Regelungen in der Vergangenheit, die 
jetzt noch zur Auszahlung kommen, können wir rückwirkend keine 
Regelungen schaffen, die das verbieten. Wir appellieren allerdings an
die Banker, die noch in der Verantwortung stehen, auf solche 
Zahlungen zu verzichten, weil sie natürlich auch in starkem Umfang 
profitieren von öffentlichen Zahlungen.
Diese Verträge wären ohne die massiven staatlichen Hilfen wenig 
wert...
Otremba: Das ist richtig. Aber wir leben in einem Rechtsstaat, und
wir können natürlich ohne gesetzliche Änderungen in solche Verträge 
nicht eingreifen.
Die Landesbanken zeigen: Der Staat hat zwar Geld, ist aber kein 
guter Banker. Kann der Staat die Reorganisation der HRE überhaupt 
leisten?
Otremba: Das will die Bundesregierung auch nicht. Der Staat will 
lediglich die Oberaufsicht haben, bis das Institut wieder allein 
lebensfähig ist. Die Umstrukturierung wird selbstverständlich auch 
von Bankmanagern konkret gestaltet -- von solchen, in die wir noch 
Vertrauen haben, die gibt es auch noch. Die betroffenen Banken müssen
so schnell wie möglich restrukturiert und wieder in private Hände 
zurückgegeben werden.
Wie muss nach der Nothilfe der Systemwechsel aussehen, damit die 
reprivatisierten Banken nach dem Rückzug des Staates nicht dieselben 
Fehler noch einmal machen?
Otremba: Wir müssen einerseits bestimmte Regelmechanismen 
anpassen, insbesondere die Auslagerung von Risiken verhindern. Wir 
müssen aber andererseits auch als Staaten -- und damit meine ich 
jetzt weniger uns als die Amerikaner -- die Versuchung einschränken, 
durch übermäßige Liquidität zu gewagten Finanzkonstruktionen 
beizutragen.
Ifo-Chef Hans-Werner Sinn fordert eine höhere Eigenkapitalquote, 
also eine Verschärfung von Basel II.
Otremba: Das kann ein Teilelement sein. Aber bei dem Bedarf an 
Eigenkapital, den wir im Moment beobachten, hätten auch etwas höhere 
Quoten die Risiken der aktuellen Krise wahrscheinlich nicht 
verhindern können.
Jahrzehntelang galt in der Wirtschaftpolitik: Weniger Regeln, 
weniger Steuern, mehr Wettbewerb. Hat der freie Markt versagt? Muss 
der Staat jetzt eingreifen, weil er vorher zu wenig und schlecht 
reguliert hat?
Otremba: Ich glaube eher, dass die Regulierung in manchen 
Bereichen Fehlentwicklungen noch befördert hat. Die Regulierung hat 
ja zum Beispiel dazu beigetragen, dass man versucht hat, höhere 
Renditen zu erzielen, indem man Risiken ausgelagert hat. Auch wenn 
man jetzt einzelne Regeln anpassen muss, ist die Regulierung mit 
Sicherheit kein Allheilmittel. Wichtiger ist vielmehr, dass man keine
falschen Anreize setzt.
Ist die HRE ein Einzellfall oder werden noch weitere folgen?
Otremba: Aus derzeitiger Sicht ist die Hypo Real Estate der 
einzige Fall in dieser Größenordnung. Es kann natürlich nicht 
ausgeschlossen werden, dass in kleineren Banken noch Probleme 
auftreten, die aber nicht die systemische Gefahr darstellen wie die 
HRE.
Mit der Schuldenbremse legen sich Bund und Länder selbst an die 
Kette. Berauben sie sich damit nicht ihrer Handlungsfähigkeit? Der 
Wirtschaftsweise Peter Bofinger schlägt statt einer Schulden- eine 
Steuersenkungsbremse vor...
Otremba: Die Schuldenbremse wird auf Dauer nicht die 
Handlungsspielräume einschränken, sondern eher erhöhen, denn 
langfristig ist das Geschäft Schulden gegen Zinslast kein positives 
für den Staat. Das heißt, durch die höheren Zinsen verliert der Staat
immer mehr Spielräume.
Ein Unternehmen, das investieren und expandieren will, tut dies 
mit Hilfe von Krediten, sofern die Rendite langfristig höher ist als 
die Zinslast. Schulden sind doch nicht per se etwas Schlechtes...
Otremba: Das ist im Prinzip richtig. Aber für den Staat gelten 
diese Regeln nur bedingt, weil es keinen direkten Konnex gibt 
zwischen Schuldenaufnahme, Zinsen und Erträgen. Mit Schulden werden 
oft auch rein konsumtive Ausgaben finanziert oder auch Investitionen,
die keinen hohen Wachstumsbeitrag leisten. Insofern lehrt die 
Vergangenheit, dass die Schuldenaufnahme die staatlichen 
Handlungsmöglichkeiten eher verringert als erhöht hat.
Sind Staatsschulden nicht die einzige wirklich stabile Säule des 
Finanzsystems?
Otremba: Erstens werden uns die Staatsschulden insgesamt sicher 
nicht ausgehen. Zweitens gibt es selbst bei der geplanten 
Schuldenbegrenzung immer noch geringfügige Möglichkeiten der 
Neuverschuldung. Der Bestand der Schuldpapiere wird ja nicht 
angetastet. Zudem haben die Staatsschulden auch einen gewissen 
Verdrängungseffekt bewirkt. Man wird also andere sichere Anlageformen
in den Vordergrund rücken, wenn die Staatsschulden zurückgehen, zum 
Beispiel Hypotheken oder entsprechend risikogestreute 
Unternehmensanleihen.
Nicht nur Banken, auch Autohersteller und -zulieferer rufen nach 
Staatshilfe. Setzt hier nicht nur ein notwendiger Strukturwandel ein,
den auch der Staat nicht verhindern kann?
Otremba: Das ist völlig richtig, das wollen wir auch nicht. Die 
Hilfsprogramme, die wir mit dem zweiten Konjunkturpaket aufgelegt 
haben, beziehen sich ausdrücklich auf Unternehmen, die durch die 
Zusammenballung der Finanzmarktkrise und des scharfen 
Konjunktureinbruchs doppelt betroffen sind, die im Kern gesund sind, 
die eine langfristige Perspektive haben, die also ohne eigenes 
Verschulden in Not geraten sind. Selbstverständlich werden diese 
Hilfen nicht dafür genutzt werden dürfen, Strukturanpassungen zu 
verhindern.
Bei der HRE kann man noch argumentieren, sie sei "systemrelevant".
In der Autobranche geht es "nur" um Tausende Arbeitsplätze. Darf der 
Staat Opel unter die Arme greifen?
Otremba: Der Fall Opel ist noch in der Prüfungsphase. 
Grundsätzlich darf der Staat Konkurse nicht verhindern. Andererseits 
sehen wir natürlich auch, dass Industriestrukturen, die einmal 
abgestorben sind, nicht automatisch wieder neu wachsen. Wenn man 
jetzt gesunde und zukunftsträchtige Unternehmen vorübergehend durch 
die Krise rettet, kann das Sinn machen, muss aber im Einzelfall 
scharfen Prüfungskriterien unterliegen.
Die Marke mit dem Blitz ist seit Jahrzehnten eng verzahnt mit der 
Konzernmutter GM. Vor allem aber ist Opel nicht im Besitz der 
Patente. Kann der Staat Opel überhaupt retten?
Otremba: Im Moment wird noch darüber verhandelt, wie der 
Gesamtkomplex Opel/GM überhaupt zu behandeln ist. Dabei warten wir 
natürlich auch auf Entscheidungen in den USA. Die Abkopplung ist in 
der Tat eins der schwierigsten Probleme. Und davon wird es letztlich 
auch abhängen, ob man Opel in die Zukunft retten kann. Eine Trennung 
würde nur Sinn machen, wenn es Investoren gäbe, die Opel langfristig 
überlebensfähig machen. Allein ist das der Konzern aufgrund seiner 
Größenordung wohl nicht. Entweder bleibt Opel in einem gewissen 
Verbund mit einem sanierten GM-Konzern oder es findet sich ein 
Dritter, der in die Standorte in Deutschland und Europa investieren 
möchte.
Daimler soll an Eisenach interessiert sein. Stimmt das?
Otremba: Es gibt sicher Interessenten für einzelne Opel-Standorte,
aber wenn man jetzt über einzelne Werke redet, gibt man das 
Gesamtkonzept Opel schon auf.

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original content of: Landeszeitung Lüneburg, transmitted by news aktuell

More stories: Landeszeitung Lüneburg
More stories: Landeszeitung Lüneburg