Landeszeitung Lüneburg: ,,Antwort auf die Krise muss europäisch sein" Interview mit der EU-Expertin Dr. Daniela Schwarzer
Lüneburg (ots)
In Lettland und der Tschechischen Republik scheiterten Regierungen in der Krise. Fremdenfeindliche und EU-skeptische Politiker erhalten in mittel- und osteuropäischen Ländern Zulauf. Angeschlagen waren die Staaten schon vor dem Bankenkrach. So hatten hohe Energie- und Nahrungsmittelpreise sowie günstige Kredite westlicher Banken viele Bürger der neuen EU-Länder zu einem Leben auf Pump verführt. Umso härter schlug die Finanzkrise jetzt zu. Noch fehlt es Europa an einer einheitlichen Antwort. Die sei aber nötig, meint Expertin Dr. Daniela Schwarzer, damit der Kontinent nicht als Ganzes ins Trudeln gerate.
Der G20-Gipfel sucht Anfang April Antworten auf die Finanzkrise. Müsste nicht vorab Europa eine Antwort formulieren? Dr. Daniela Schwarzer: Europa tut sich schon seit Monaten schwer, eine gemeinsame Antwort auf die Finanzkrise zu finden. Das hat sich im letzten Herbst gezeigt, als nationale Konjunkturprogramme entworfen wurden, die nur marginal europäisch begleitet wurden. Uneinig zeigte sich Europa auch bei dem Vorstoß der französischen Ratspräsidentschaft, einen europäischen Bankenauffangfonds zu gründen. Eine starke europäische Initiative vermisst man auch in der Vorbereitung auf den G20-Gipfel.
Vom Westen weitgehend unbeachtet stürmten in Riga Unzufriedene das Parlament, in Budapest müssen Roma als Sündenböcke herhalten. Vergisst Alt-Europa seine östlichen Nachbarn? Dr. Schwarzer: Europa hat bereits in Mittel- und Osteuropa Hilfe geleistet. Der jüngste EU-Gipfel am 19./20. März hat gezeigt, dass Bereitschaft zu weiterer Hilfe vorliegt. Seit November konnte die EU Zahlungsbilanzkredite in Höhe von 15 Milliarden Euro an EU-Mitglieder außerhalb der Euro-Zone vergeben. Jetzt wurde das mögliche Volumen auf 50 Milliarden Euro erhöht. Das heißt, die EU stellt sich darauf ein, weiteren ost- und mitteleuropäischen Ländern zu helfen und begnügt sich nicht damit, nur an den Internationalen Währungsfonds zu verweisen.
Wieso trifft die Krise die neuen EU-Mitgliedsländer härter? Dr. Schwarzer: Die Krise in Ost- und Mitteleuropa wurde teilweise vom Westen geradezu exportiert. Als in diesen jungen Marktwirtschaften Risiken erkennbar wurden, zogen westliche Investoren und Banker Geld ab. Das destabilisierte den Finanzsektor dieser Länder. Zahlungsbilanzkredite für die Regierungen wurden notwendig, um die Lage zu stabilisieren. Zudem muss die mangelnde Kreditvergabe der Banken abgefedert werden. Dazu schnürten Weltbank, die Europäische Bank für Wiederaufbau und die Europäische Investitionsbank im Februar ein 24,5-Milliarden-Paket, das nicht nur die Kreditvergabetätigkeit von Banken wieder beleben soll, sondern vor allem auch kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommen soll.
Sie haben den importierten Anteil der Krise skizziert. Wie groß ist der hausgemachte Anteil? Dr. Schwarzer: Sicherlich haben es einige der Länder verpasst, sich so weit zu reformieren, dass sie eine schwierige Situation wie die jetzige gut überstehen könnten. In einigen Ländern wurden überdies Kredite in einem sehr hohen Anteil in ausländischen Währungen, etwa Schweizer Franken und Euro, aufgenommen. Mit dem Verlust an Vertrauen in die dortigen Volkswirtschaften stürzten auch deren Währungen ab. Für die Kreditnehmer -- Privatleute, aber auch Unternehmen -- wurde es schwierig bis unmöglich, die Kredite noch zu bedienen.
Welche Länder erweisen sich als stabil, welche sind besonders gefährdet? Dr. Schwarzer: Besonders problematisch ist die Situation in den Ländern, die bereits Hilfe von der EU angefordert haben, also Ungarn, Lettland und Rumänien. Bulgarien wa"ckelt ebenfalls. Als wirtschaftlich relativ stabil gelten Polen und die Tschechische Republik. Gleichwohl stürzte jetzt der tschechische Ministerpräsident. Wir müssen mit politischer Instabilität und einem größeren Einfluss der Europaskeptiker in dem Land rechnen, das die EU-Ratspräsidentschaft hält. Auch könnte hier nun die Ratifizierung des Lissabonvertrags scheitern.
Welche Auswirkungen hat der Niedergang etwa für die exportorientierte deutsche Wirtschaft und westeuropäische Banken? Dr. Schwarzer: Westliche Banken halten in der Region große Außenstände. Besonders betroffen sind österreichische Banken, die sehr früh nach Ost- und Mitteleuropa vorstießen, dort Tochterunternehmen gründeten und Filialnetze aufbauten -- also dort Kreditnehmer haben. Müssen diese Kredite abgeschrieben werden, sind die Ausfälle enorm. Für die deutsche Exportwirtschaft ist das Wegbrechen des östlichen Marktes auch nicht zu vernachlässigen. Etwa elf Prozent der deutschen Exporte gehen in diese Region. Rutscht die Wirtschaft dort über Jahre in eine Rezession, sinkt auch die Nachfrage nach deutschen Exportgütern.
In Ungarn, Polen, der Slowakei und Tschechien stehen 2010 Wahlen an. Drohen Erfolge fremdenfeindlicher Nationalisten? Dr. Schwarzer: Schon jetzt beeinflussen populistische Parteien die europapolitische Debatte in einigen dieser Länder stark. So ist der tschechische Präsident Vaclav Klaus ein scharfer Euroskeptiker. Auch in Polen ist der Präsident europakritisch eingestellt. In der Krise werden entsprechende Töne im Wahlkampf schärfer werden. Hier wird es für gemäßigte Parteien immer schwerer, gegenzusteuern. Umfragen belegen überdies einen Zusammenhang zwischen schlechter wirtschaftlicher Lage und Euroskeptizismus. Insofern ist damit zu rechnen, dass in den vier Ländern die Reserviertheit gegenüber der EU wächst.
Gerade die EU-freundliche Mittelschicht leidet in der Krise am stärksten. Verliert Europa seinen Rückhalt? Dr. Schwarzer: Es muss viel dafür getan werden -- in den neuen wie in den alten Mitgliedsländern, dass die Bevölkerung immer wieder davon überzeugt wird, dass Europa sinnvoll ist. Ohne die EU würde es den europäischen Ländern gerade jetzt in der Krise sehr viel schlechter gehen. Diese Erkenntnis setzt sich in manchen Ländern sogar gegen den sonst eurokritischen Trend durch. Etwa in der Slowakei, wo die Währung dank der klaren Euro-Zonen-Beitrittsperspektive zum 1.1.2009 im vergangenen Jahr dem Druck trotzen konnte.
Verhindert die Krise die weitere Integration der mittel- und osteuropäischen Länder in der Euro-Zone? Dr. Schwarzer: Natürlich müssen diese Länder die Euro-Konvergenzkriterien hinsichtlich Inflationsrate, Zinsrate, Verschuldung, Wechselkursstabilität und Unabhängigkeit der Zentralbank erfüllen. Und diese werden sich so leicht nicht aufweichen lassen. Die jüngsten Währungsturbulenzen machen es für die östlichen Nachbarn sehr schwierig, nachzuweisen, dass sie auf Stabilitätskurs sind. Hier ist jetzt die EU gefordert, klare Signale zu setzen, dass der Konvergenzkurs weiter unterstützt wird. Das können Unterstützungspakete sein oder die Botschaft, dass man diese Länder in der Euro-Zone aufnehmen möchte.
Fehlt es an einer einheitlichen europäischen Strategie, weil es auch im Westen an Europa-Überzeugung mangelt? Dr. Schwarzer: Bei vielen Politikern im Westen hat die Überzeugung von der selbstverständlichen Notwendigkeit der europäischen Integration nachgelassen, die die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg prägte. In den vergangenen Jahren kam es verstärkt zu nationalen Alleingängen, die als anti-europäisch oder protektionistisch verstanden wurden. Wir haben in allen Staaten das gleiche Begründungsproblem: Wir sind in einer Phase, in der die EU nicht mehr von Grund auf gebaut, sondern regiert werden muss. Und das leisten die Regierungen nur unzureichend, weil sie nach nationalen Logiken handeln. Was im Moment fehlt, ist, dass europäische Zusammenhänge erkannt und gemeinsame europäische Interessen direkt in Politik umgesetzt werden. Bestes Beispiel ist die Euro-Zone: Wir leben nicht nur in einer Währungsunion, sondern wir haben mit der Integration der Märkte eine gemeinsame Volkswirtschaft. Dennoch werden die Antworten auf die Finanzkrise weitgehend national formuliert.
Kann der Euro der Retter sein? Dr. Schwarzer: Für die mittel- und osteuropäischen Länder ist der Euro ein Stabilitätsanker. Die Länder, für die die Währungsunion noch verschlossen bleibt, weil sie die Konvergenzkriterien noch nicht erfüllen, können sich dennoch an den Euro binden. So hat Polen angekündigt, dass es dem Europäischen Wechselkurssys"tem beitreten will, um den Zloty zu stabilisieren. Ich gehe davon aus, dass dies Beispiel Schule machen wird. Für die Länder, die bereits im Euro sind, besteht jetzt die große Herausforderung, die politische Zusammenarbeit in der Eurozone zu verstärken. Noch zeichnet sich keine konkrete Initiative ab, aber wenn wir die Krise als Chance begreifen und aus ihr gestärkt hervorgehen wollen -- wie so oft in der Europäischen Geschichte --, muss die Eurozone als Kern nach innen wie nach außen gestärkt werden. Insofern kann der Euro der Retter sein -- wenn die Regierungen dazu bereit sind.
Erwächst aus der Krise das Bewusstsein, wie sehr Europa auch eine Chance ist? Dr. Schwarzer: Die Krise führt uns in erster Linie vor Augen, wie sehr wir in der Währungsunion, aber auch in der Europäischen Union insgesamt in einem Boot sitzen. Es ist kaum noch möglich, im Alleingang eine nationale Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise zu formulieren. Legt man in einer offenen Volkswirtschaft ein Konjunkturprogramm auf, verpufft die Maßnahme zum großen Teil. Eine national verschärfte Banken- und Finanzaufsicht verpufft ebenfalls, weil das Kapital auf integrierten Finanzmärkten ausweichen kann, - auch hier muss die Antwort konsequent europäisch wenn nicht global sein. Die Herausforderung für die 27 EU-Staaten ist ganz klar, gemeinsame Antworten zu finden -- um überhaupt handlungsfähig zu sein. Darin liegt auch die Chance, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie weit die Integration bereits vorangeschritten ist. In guten Zeiten war dies nicht so nötig. Die Dominoeffekte der Krise erhöhen aber den Handlungsdruck.
Also verlangt die Krise nach mehr Europa und nicht nach weniger Europa? Dr. Schwarzer: Davon bin ich fest überzeugt.
Das Interview führte Joachim Zießler
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