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Landeszeitung Lüneburg: ,,Wir waren noch zu optimistisch" -- Interview mit dem Klimaforscher Prof. Stefan Rahmstorf

Lüneburg (ots)

In letzter Minute redete der Potsdamer
Klimaforscher Prof. Stefan Rahmstorf den Politikern auf dem 
Kopenhagener Klima-Gipfel noch mal ins Gewissen: Das arktische 
Meereis schwindet schneller, der Meeresspiegel steigt stärker als 
noch 2007 angenommen. Auswerfen wollen den Rettungsanker 192 Staaten,
die in Kopenhagen um mehr Klimaschutz ringen. Kurz vor Eingreifen der
Staatschefs scheint die größte Konferenz aller Zeiten aber sogar vom 
Scheitern bedroht.
Der Klima-Gipfel von Kopenhagen ist die größte Konferenz aller 
Zeiten. Zeugt das vom endlich erwachten Problembewusstsein der 
Politik oder soll der Gipfel nur Aktivität suggerieren?
Prof. Stefan Rahmstorf: Ich glaube schon, dass viele in der 
Politik inzwischen das Problem erkannt haben -- wenn auch reichlich 
spät. Immerhin warnte schon 1965 der erste Expertenbericht an den 
damaligen US-Präsidenten vor der globalen Erwärmung durch 
Treibhausgase.
Die Menschheit hat die Eiszeit überlebt. Was ist an der kommenden 
Warmzeit so bedrohlich?
Prof. Rahmstorf: Wir haben die letzte Eiszeit nicht mit Milliarden
von Menschen überlebt, die alle ernährt werden wollen. Und auch nicht
mit großen Städten, Flughäfen und Kernkraftwerken direkt an den 
Küs"ten. Am Ende der letzten Eiszeit schmolzen aufgrund der Erwärmung
um global 4 bis 7 Grad Celsius zwei Drittel des damals vorhandenen 
Eises ab: Der Meeresspiegel stieg deshalb um 120 Meter. Heute können 
wir uns nicht einmal zwei Meter leisten, ohne verheerende Schäden.
Nach Ihrer Kopenhagen-Diagnose wurde der Klimawandel bisher 
unterschätzt. Ihr Bild ist noch bedrohlicher als das des 
Weltklimarates von 2007. Sind die Reduktionsziele, um die in 
Kopenhagen gerungen wird, bereits überholt?
Prof. Rahmstorf: Teile des Klimasystems reagieren nach den 
aktuellen Messdaten schneller, als wir noch vor einigen Jahren 
erwartet haben. Manch einer wirft uns ja in den Medien "Alarmismus" 
vor. Leider hat sich das Gegenteil he"rausgestellt, wir waren noch zu
optimistisch. In Kopenhagen wird vor allem um die Begrenzung der 
Erwärmung auf maximal 2 Grad gerungen. Aber beinahe hundert Staaten, 
da"runter alle kleinen Inselstaaten, fordern inzwischen eine Grenze 
von 1,5 Grad. Damit wäre mir persönlich auch wohler, aber ich 
fürchte, dass das inzwischen kaum noch zu schaffen ist.
Die Eisschilde schmelzen schneller, der Meeresspiegel steigt 
schneller. Wie groß ist die Gefahr, dass wir uns einem tipping point 
nähern, an dem das Klima rasant umkippt?
Prof. Rahmstorf: Das Klima als Ganzes wird hoffentlich nicht 
umkippen, aber für Teil"systeme wie Meeresströme, das Grönlandeis, 
den Amazonaswald oder das Monsunsystem wird das zunehmend in der 
Fachliteratur diskutiert. Quantifizieren können wir diese Risiken bis
heute nicht. Bei einer Begrenzung der Erwärmung auf unter 2 Grad 
können wir aber solche Risiken wohl weitgehend minimieren.
Wie viel Zeit bleibt für eine Wende beim CO2-Ausstoß?
Prof. Rahmstorf: Analysen zeigen, dass in fünf, spätestens zehn 
Jahren die Wende kommen muss, wenn wir eine realis"tische Chance 
behalten wollen, die Erwärmung bei höchstens 2 Grad zu stoppen.
Australien will sich seine Kohlevorräte nicht madig machen lassen,
Kanada seine Ölschlämme. China will seinen Aufstieg nicht behindern 
lassen, die USA Hochtechnologie nicht teilen. Torpedieren nationale 
Interessen eine globale Klimaschutzpolitik?
Prof. Rahmstorf: In der Tat sind zu viele Politiker immer noch auf
kurzsichtige, nationale Interesssen fixiert. Die Zukunft der 
Menschheit könnte so auf dem Altar der Partikularinteressen geopfert 
werden.
In der Finanzkrise handelten die Industriestaaten schnell und 
entschlossen. Ein Vorbild auch für die Klimapolitik? Prof. Rahmstorf:
Ein Grund für das rasche Handeln war sicher die Zeitskala der 
Bedrohung: Banken hätten innerhalb von Wochen oder gar Tagen 
zusammenbrechen können. Bei der Klimakrise reden wir aber nicht von 
Wochen, sondern von Jahrzehnten. Mit dieser Zeitskala kommt unser 
politisches und wirtschaftliches System schlecht zurecht. Der 
Politiker, der heute notwendige, aber vielleicht unpopuläre Maßnahmen
zum Klimaschutz trifft, wird deren positive Auswirkungen nicht mehr 
im Amt erleben. So ist es immer wieder die leichtere Option, die 
Dinge aufzuschieben auf die nächste Legislaturperiode, auf die 
nächste Regierung. Einen Mechanismus, die Interessen unserer Kinder 
zu berücksichtigen, gibt es nicht.
Entwicklungsländer wie Tibet und Bangladesch sehen die 
Industrieländer als Verantwortliche der Klimaerwärmung in der 
Pflicht, in Vorleistungen zu treten. Zu Recht?
Prof. Rahmstorf: Die Industrieländer sind für 75 Prozent der 
Treibhausgase verantwortlich, die heute zusätzlich in der Atmosphäre 
sind und das Klima aufheizen. Das ist eine ganz klare historische 
Verantwortung gegenüber armen Ländern, die überproportional unter den
Folgen der Klimakrise zu leiden haben. Aber einige Schwellenländer 
wie China holen da ganz rasch auf, mit hohen Wachstumsraten ihrer 
Emissionen. Ohne diese Länder können wir das Problem auch nicht 
lösen.
Welche Vorleistungen machen Sinn, um die Schwellenländer ins Boot 
zu holen?
Prof. Rahmstorf: Das genau ist Gegenstand der schwierigs"ten 
Diskussionen in Kopenhagen. Auf Dauer wird sicher nur eine einfache 
und transparente Formel Bestand haben, um die uns noch verbleibende 
Emissionsmenge gerecht aufzuteilen: nämlich auf gleicher 
Pro-Kopf-Basis.
Schon 1972 warnten Forscher vor den Grenzen des Wachstums. Seit 
zwei Jahrzehnten -- seit Rio -- wird um Klimaschutz gerungen. Dennoch
wurde 2008 rund 40 Prozent mehr CO2 in die Atmosphäre gepustet als 
1990. Würden nur Katastrophen die Menschheit wachrütteln?
Prof. Rahmstorf: Das hoffe ich nicht. Sonst wäre die Wissenschaft
umsonst, wenn sie die Probleme rechtzeitig kommen sieht, aber dann 
alle passiv zusehen, bis sie eingetreten sind.
Endet der Gipfel als unverbindliches Palaver, drohen bis 2100 um 
sieben Grad höhere Durchschnittstemperaturen. Hätte der Mensch noch 
Platz auf dieser Erde?
 Prof. Rahmstorf: Eine sieben Grad wärmere Welt kann ich mir in den 
Auswirkungen auf die Menschheit nicht mehr vorstellen. Ich will das 
auch nicht. Mit Sicherheit ist das keine Welt, in die hineinzuwachsen
ich meinen beiden Kindern zumuten möchte.
Das Interview führte Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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