Landeszeitung Lüneburg: Im Atomstreit ticken die Uhren - Iran-Experte Prof. Perthes fordert "angereicherte", mehrdimensionale Politik des Westens
Lüneburg (ots)
Der Atomstreit mit Iran spitzt sich zu, weil das Regime provoziert: Präsident Ahmadinedschad wies die Atombehörde an, die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent vorzubereiten. Zugleich zeigen Raketentests die waffentechnischen Fortschritte des Landes. Der Westen berät Sanktionen, die für Prof. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik -- eine Denkfabrik der Bundesregierung -- nicht mehr sind als "robuste Diplomatie".
Die Internationale Atomenergiebehörde schlägt Alarm. Sie geht davon aus, dass Teheran sein Atombombenprogramm bereits seit Jahren wieder verfolgt. US-Militärs fordern eine härtere Gangart. Wird Krieg eine Option?
Prof. Volker Perthes: Ein amerikanischer Präsident wird nie eine Option völlig ausschließen. Aber in der Administration von Barack Obama weiß man, dass man einen Krieg gegen Iran -- einen dritten Krieg im Mittleren Osten -- nicht haben will. Zudem wären die Konsequenzen eines Krieges härter als ein weiteres Setzen auf Diplomatie -- zu der auch robuste Schritte wie Sanktionen gehören.
Iran lebt seit zwei Jahrzehnten mit Sanktionen. Wie müssten Sanktionen aussehen, die nicht verpuffen?
Prof. Perthes: Zwar hat jede Sanktion einen Effekt, doch die ausschließliche Konzentration auf Sanktionen wird keine Änderung der iranischen Politik erzwingen können. Zumal, wenn man sich auf die Sanktionen beschränkt, die derzeit diskutiert werden und die im Sicherheitsrat durchzusetzen sind: Iranischen Schiffen die Versicherung zu entziehen oder Konten von Firmen oder Personen einzufrieren kann ein politisches Zeichen setzen, mehr nicht.
Iran ist für Russland ein geschätzter Kunde, für China ein geschätzter Gas-Lieferant. Scheitern wirkungsvolle Sanktionen per se im Sicherheitsrat?
Prof. Perthes: Das müssen sie nicht, aber richtig ist, dass Moskau und Peking über Sanktionen anderer Auffassung sind als etwa Washington oder Paris. Die Position Berlins liegt etwa in der Mitte beider Pole. Der Kreml sagt derzeit sehr deutlich, dass er nicht an eine Verhaltensänderung in Teheran durch Sanktionen glaubt. Dennoch hält er Sanktionen als Ausdruck politischen Unmuts für notwendig. Russland will sich nicht länger an der Nase herumführen lassen und zeigen, dass seine Bereitschaft zu weiterer Zeitverschwendung begrenzt ist. In China ist die Skepsis gegenüber Sanktionen noch größer als in Russland. Hinzu kommt, dass Peking zum privilegierten Ansprechpartner Teherans geworden ist, nachdem die EU, die USA und partiell auch Russland auf Distanz gegangen sind.
Dann setzt die EU auch nicht mehr als ein politisches Zeichen mit ihrer Doppelstrategie: Diplomatie plus Nadelstiche durch Sanktionen?
Prof. Perthes: Andere Formen von Sanktionen hätten mehr Durchschlagskraft auf die sicherheitspolitische Kalkulation Teherans, etwa ein vollständiges Waffenembargo -- das allerdings Russland als Hauptlieferant mittragen müsste. Doch soweit sind wir noch nicht. Derzeit verstärken wir die politische Zeichensprache. Die Sanktionen, die nun erwogen werden, sind eher zum Bereich robuster Diplomatie zu zählen. Daneben müssen Angebote zur Kooperation weiter auf dem Tisch liegen, etwa eine Rückkehr zu der Formel, die im vergangenen Herbst fast umgesetzt worden wäre: Der Austausch angereicherten Irans gegen Brennstäbe für den Forschungsreaktor bei Teheran.
Sind die innenpolitischen Spannungen im Iran eher Chance oder Fluch für den Atomkonflikt?
Prof. Perthes: Hier ist die Ironie der Geschichte am Werk. Bis zu den Präsidentschaftswahlen im Sommer waren die Realpolitiker im Westen davon überzeugt, dass man einen Hardliner im Präsidentenpalast für ein Atomabkommen in Teheran bräuchte. Denn nur ein Hardliner, kein Reformer, könnte den Widerstand der Konservativen aus dem Wege räumen. Jetzt haben wir einen Hardliner an der Macht, aber trotzdem keinen Deal. Weil Ahmadinedschad durch die Proteste nach seiner Wahl und seiner Wiedervereidigung so geschwächt ist, dass er Kompromisse, die er wohl einzugehen bereit gewesen wäre, innenpolitisch nicht mehr durchsetzen kann. Der Westen tut gut daran, die Themen Bürgerbewegung und Atomkonflikt zu trennen. Wir dürfen weder die sich entwickelnde Zivilgesellschaft im Iran fallen lassen, um leichter einen Atomdeal einfädeln zu können, noch die amtierende Regierung schneiden, um die Opposition zu stärken. Beides wäre falsch. Wir müssen weiter versuchen, mit der Regierung Ahmadinedschad den Atomkonflikt zu lösen und ihr zugleich vermitteln, dass ihre Übergriffe auf Oppositionelle nicht zu tolerieren sind. Das iranische Regime sollte die Grundrechte respektieren, die die eigene Verfassung gewährt.
Würde verstärkter internationaler Druck die Iraner hinter dem Regime vereinen und so die Opposition beerdigen?
Prof. Perthes: Die Erfahrung mit Sanktionen in der internationalen Politik reicht nicht aus, um diese Frage sicher zu beantworten. Wovon wir aber ausgehen können, ist, dass ein weitestreichendes Wirtschaftsembargo diesen Effekt hätte. Die Folgen der eigenen Misswirtschaft und sämtliche Härten des Alltags könnte das Regime dann vor der Tür der Embargostaaten abladen. Den gleichen Effekt hätten Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat getragen werden. Teheran könnte die EU und die USA geißeln und gegenüber den eigenen Bürgern auf China, Malaysia, Brasilien, Argentinien und Dubai verweisen, die das Embargo unterlaufen würden.
Muss sich der Westen auf längere Sicht auf ein repressiv-militaristisches Regime in Teheran einstellen?
Prof. Perthes: Hoffnungen, das Regime stünde kurz vor dem Zusammenbruch und würde bald durch eine Regierung der grünen Bewegung ersetzt werden, sind unrealistisch. Früher oder später wird sich auch das Regime in Teheran verändern, aber ich vermute, dass es dabei den Mantel der Islamischen Republik nicht abwerfen wird. Zur Zeit scheint das Regime einiges an Stabilität zurückgewonnen zu haben, die es im Sommer verloren hatte. Dafür spricht, dass sich ein Teil der Elite, die sich über der Verkündung des Wahlsieges mit Ahmadinedschad überworfen hatte, mittlerweile wieder im Zelt des Herrschers einfindet.
Besteht die Gefahr, dass das Regime einen Showdown mit Israel anstrebt, wenn es im Innern unter Druck gerät?
Prof. Perthes: Ich denke nicht, dass das Regime irgendein Interesse an einer militärischen Auseinandersetzung mit Israel hat. Eher unterschätzt Teheran die Gefahr eines militärischen Konfliktes mit Israel. Wenn man in Teheran über äußere Gefahren nachdenkt, hat man die USA auf dem Bildschirm, nicht Israel. Die Machthaber wissen -- und haben damit Recht --, dass Israel nur angreifen würde, wenn es sich von Iran existenziell bedroht fühlen würde.
Ein legitimes Interesse Teherans ist Sicherheit. Böte eine Sicherheitsgarantie der USA, deren Truppen den Iran umzingelt haben, eine Chance für einen Durchbruch?
Prof. Perthes: Zurzeit fände ein solches Angebot keinen Abnehmer. Mittel- und langfristig könnten alle Staaten am Persischen Golf in ein regionales Sicherheitsarrangement mit internationaler Beteiligung gegossen werden, eine Art OSZE am Golf. Aber wenn die Obama-Administration heute, mitten im Atomkonflikt, eine derartige Sicherheitsgarantie anböte, würde das innenpolitisch nicht verstanden und die regionalen Verbündeten, allen voran Israel, wären verstört. In Teheran würde ein derartiges US-Angebot als Zeichen von Weltmacht-Arroganz diffamiert werden.
Böte die zeitweise Ausklammerung des Atomstreits eine Perspektive? So haben Iran und die USA etwa bei der Eindämmung des Drogenhandels in Afghanistan gemeinsame Interessen?
Prof. Perthes: Wir können den Atomstreit nicht einfach ausklammern, schon allein wegen der Resolutionen des Sicherheitsrates. Zudem erleben wir auch im Iran eine Entwicklung, nach der man zumindest versuchsweise Uran auf 20 Prozent anreichern will. Insofern kann der Westen nicht so tun, als sei nichts geschehen. Aber wir sollten versuchen, über den Atomstreit hinauszuschauen, ohne ihn zu vergessen. Wir sollten uns nicht ausschließlich auf den Atomstreit fokussieren, was wir seit 2003 weitgehend getan haben. Vordem waren wir damals nicht so eindimensional. So scheiterten die Verhandlungen etwa über ein Handels- und Kooperationsabkommen der EU mit Iran 2003 an der Menschenrechtsfrage. Wir brauchen wieder eine höher angereicherte Iran-Politik.
Geht die Geduld des Westens nach den 2003 und 2005 hintertriebenen Atomverhandlungen zur Neige?
Prof. Perthes: Geduld hat im politischen Raum nicht nur eine emotionale Komponente, sondern auch eine innenpolitische Funktion. So hatte sich Barack Obama für sein Engagement am Golf selbst eine Frist bis Ende des Jahres 2009 gesetzt, um die Widerstände gegen diesen Kurs im Kongress einzuebnen. Von daher muss angesichts ausbleibender Erfolge seine Geduld mit Teheran zu Ende gehen, will er nicht das Gesicht verlieren. Die Begründung, sich selbst unter Termindruck zu setzen, war dabei nicht falsch: Bestimmte Uhren ticken -- die Anreicherungsuhr im Iran ebenso wie die Uhr der israelischen Führung, die sehr genau beobachtet, über wie viel waffenfähiges Uran der Iran verfügt. Sicher wächst die Ungeduld der westlichen Verhandlungsführer. Wer Monate vergeblich verhandelt hat, will klar machen, dass er nicht willens ist, auf diese Art ewig weiterzuverhandeln. Was wir brauchen, sind substanzielle Zwischenergebnisse, wie sie im vergangenen Herbst schon einmal möglich schienen, um der Diplomatie für neue Aktivitäten Raum zu geben.
Das Interview führte Joachim Zießler
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