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Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: Schnelles Weitergeben von Informationen ist das A und O, wenn gefährliche Krankheitserreger auftauchen, meint der Tierseuchenexperte Prof. Dr. Lothar Wieler.

Lüneburg (ots)

BSE, Gammelfleisch, Gift-Eier, pestizidverseuchte Erdbeeren - was kann der Verbraucher überhaupt noch gefahrlos essen?

Prof. Dr. Lothar Wieler: Ängste sind eigentlich fehl am Platz. Wir essen doch ständig, ohne krank zu werden. Diese Lebensmittelausbrüche sind trotz der Gefährlichkeit eher als Ausnahme zu sehen.

EHEC-Bakterien sind keine Unbekannten. Gefährliche EHEC-Fälle durch Sprossen-Verzehr gab es bereits 1996 in Japan. Warum wurden nicht gleich Parallelen gezogen? Wieler: Es gibt sehr viele Infektionsquellen. Man kann nur gezielt nach etwas suchen, wenn man in dem jeweiligen Ausbruch einen konkreten Hinweis hat. Aufgrund der Patientenbefragung ist das Robert-Koch-Institut auf Gurken, Salat und Tomaten gestoßen. Das waren die einzigen verwertbaren Punkte. Man kann nicht überall nach irgendetwas suchen, das ist weder machbar noch sinnvoll.

Ist die Kritik am Krisenmanagement berechtigt? Was könnte verbessert werden?

Wieler: Man sollte hier nicht vorschnell urteilen. Das Robert-Koch-Institut hat immer eine sehr klare Politik in Richtung Verbraucher gemacht, beruhend auf ihren eigenen Analysen. Sie haben zusammen mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) immer vor den gleichen Lebensmitteln gewarnt. Ich kann nicht erkennen, dass das Management schlecht war. Die Kommunikation ist vielleicht nicht immer perfekt gelaufen, was angesichts der vielen Anfragen seitens Presse und Politikern eher verständlich ist. Für Kritik ist es noch zu früh, alles, was derzeit behauptet wird, ist in meinen Augen populistisch. Ein anderer Punkt ist die Verteilung von Information zwischen den Institutionen. Hier spielt der Faktor Zeit eine große Rolle. Der Ausbruch als solcher muss früh erkannt und gemeldet werden, um eine Quelle ausfindig machen zu können. In diesem Punkt gibt es durchaus Verbesserungsbedarf, denn zwischen Ersterkrankungsfall und der Involvierung des Robert-Koch-Instituts kann wertvolle Zeit verloren gehen. Die technischen, sprich elektronischen Möglichkeiten, müssen besser genutzt werden, um zeitnah agieren zu können.

Der Sprossen-Verdacht zeigt, dass auch Bio-Lebensmittel keine Garantie für gesunde Nahrungsmittel sind. Muss hier ein grundsätzliches Umdenken erfolgen?

Wieler: Nein. Generell gilt, dass beim Verzehr von rohen Lebensmitteln das Risiko, sich eine Infektion einzufangen, größer ist, als bei gegarten Speisen. Daher müssen Lebensmittel unter hygienisch einwandfreien Bedingungen hergestellt werden, und das werden sie auch in der Regel, sonst hätten wir viel häufiger Ausbrüche. Das wird auch am Beispiel der jetzt im Fokus stehenden Sprossen deutlich: Seit Jahren werden sie verkauft und konsumiert.

Die Globalisierung hat längst auch die Agrarwirtschaft und den Bio-Boom erfasst. Hiesige Produzenten können den Markt nicht befriedigen, folglich kommen Bio-Produkte auch aus fernen Ländern wie China, Kenia, Brasilien. Liegt hier eine Fehlerquelle?

Wieler: Es gibt bisher keinerlei Hinweise, dass dieser Ausbruch auf Importe aus fernen Ländern zurückzuführen ist. Möglich ist es natürlich, zum Beispiel durch verunreinigtes Saatgut bei Sprossen. Bei allen Lebensmitteln, egal woher sie kommen, müssen bestimmte Qualitätsstandards gelten. Der Produzent muss sich für die Qualität verbürgen. Machtlos ist man gegenüber Unfällen, Betriebspannen oder illegalen Machenschaften. Die Globalisierung birgt jedoch insofern Gefahren, als dass mehr Waren und auch Tiere von A nach B transportiert werden, also auch mit mehr Menschen in Kontakt kommen, und so auch mehr Tierseuchenerreger verschleppt werden können. Allerdings sind große Konzerne sehr professionell aufgestellt und haben ein exzellentes Hygienemanagement.

Was ist neu an dem EHEC-Keim, was macht diesen Erreger so gefährlich?

Wieler: Das ist wirklich ein sehr neuer Keim. Der hat viele Eigenschaften, die untypisch sind im Vergleich zu bisher bekannten EHECs, wie die Entschlüsselung des Genoms durch die Experten des Institut für Hygiene in Münster gezeigt hat. Er hat Eigenschaften von anderen krank machenden EHEC. Aufgrund der Genom-Sequenz hat man den Eindruck, dass diese Stämme besser an den Menschen angepasst sind, als die typischen EHEC-Stämme.

Heißt das, dass der Mensch der "Wirt" werden könnte?

Wieler: Das ist denkbar.

Müssen wir uns auf weitere, derart gefährliche Keime gefasst machen?

Wieler: Wir wissen, dass immer wieder neue Erreger entstehen. Das ist ein natürlicher Vorgang. Und aufgrund dieser Tatsache brauchen wir gute Kontrollen und gute diagnostische Mittel, um solche Keime möglichst schnell zu identifizieren sowie ein gut vernetztes elektronisches Meldepflichtsystem, um schnell eingreifen zu können, wenn nötig. Man hat ja bei diesem Ausbruch gesehen, wie unglaublich schnell die Mikrobiologen in Münster eine Diagnostik etabliert haben. Das war schon sehr beeindruckend.

Welche Konsequenzen hätte das für die Forschung?

Wieler: Bisher geht man davon aus, dass es sich um Erreger handelt, die aus dem Rind kommen. Das Rind kontaminiert die Umwelt und über Oberflächenwasser oder sonstiges gelangt es in Lebensmittel und zum Menschen. Wenn sich aber herausstellt, dass der Stamm vom Menschen kommt, dann hat das die Konsequenz, dass man nach anderen Eintragsquellen forschen muss. Das wäre eine neue Dimension, da man nicht beim Wiederkäuer, sondern beim Menschen intervenieren müsste. Dann spielt auch die Möglichkeit der Schmierinfektion von Mensch zu Mensch eine größere Rolle, als es beim klassischen EHEC der Fall wäre, weil der eher von Lebensmitteln herrührt.

Warum versagen Antibiotika bei der Behandlung?

Wieler: Wir wissen aus langjähriger Erfahrung, dass bei Behandlung solcher Patienten mit Antibiotika, die Bakterien mehr von ihrem Gift bilden und freisetzen, in aktuellen Fall Shigatoxin, das die Blutgerinnung hemmt. Daher werden diese Mittel bei EHEC-Infektionen nur wenig eingesetzt. Das Problem der Antibiotika-Resistenzen spielt hier kaum eine Rolle.

Der Anstieg der EHEC-Fälle flacht ab. Ist das die Folge der Warnungen vor Gurken, Salat und Tomaten?

Wieler: Wir hoffen das. Ob wir es jemals beweisen können, weiß ich nicht.

Wie schätzen Sie den aktuellen Gurkenfund in einer Mülltonne in Magdeburg ein? Kann ein einzelner Mensch Auslöser sein?

Wieler: Alles ist möglich, wir wissen es (noch) nicht. Menschen können EHEC-Erreger ausscheiden und somit auch kontaminieren, nicht nur Gurken, sondern auch Sprossen. Für mich hat dieser Befund in Bezug auf den Ausbruch keine hilfreiche Aussagekraft.

Lässt sich die Quelle überhaupt noch finden?

Wieler: Bei Lebensmitteln ist es häufiger der Fall, dass man die Quelle der Infektion nicht findet, als dass man sie findet. Je weiter die Ersterkrankung zurückliegt, desto schwieriger wird es.

Dürfen Gurken an Zootiere verfüttert werden, wie es derzeit in den Niederlanden bei Elefanten gemacht wird?

Wieler: Das ist eine gute Idee, denn die meisten dieser Gurken werden nicht kontaminiert sein. Und so ist es nur zu begrüßen, wenn diese Produkte nicht sämtlich weggeworfen werden. Bei Tieren ist die Gefahr, dass sie sich infizieren, lange nicht so groß wie beim Menschen.

Das Gespräch führte Dietlinde Terjung

Mit freundlichen Grüßen

Dietlinde Terjung

Nachrichtenredaktion/Politik Telefon +49 (0)4131-740-283 Fax: +49 (0)4131-740-213 mailto:Dietlinde.Terjung@Landeszeitung.de http://www.landeszeitung.de

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