Landeszeitung Lüneburg: "Euro-Bonds statt Merkel-Bonds"
Gabriel kritisiert Krisenmanagement der Bundesregierung
Lüneburg (ots)
Der schwarz-gelben Koalition stehen schwere Wochen bevor. Ende September stimmt der Bundestag über den Euro-Rettungsschirm ab. Bei Probeabstimmungen hat es viele -- und nach Ansicht der Opposition zu viele -- Abweichler gegeben. Sigmar Gabriel kann gelassen abwarten. Ein vorzeitiges Ende der Regierung, betont der SPD-Chef im Gespräch mit der Landeszeitung, erwartet er aber nicht.
Die Grünen haben sich auf ein rasches Ende der Bundesregierung vorbereitet und wollen mit der SPD die neue Regierung stellen. Ist für Sie nach Neuwahlen die CDU spätestens seit der Energiewende ein potenzieller Partner?
Sigmar Gabriel: Nein. Aber erst einmal wäre es gut, wenn die Bundesregierung ihre Nichtregierungs-Tätigkeit beenden würde. Mitten in der größten Krise Europas haben wir eine Regierung, in der Machtworte der Kanzlerin nichts mehr bewirken, in der Kabinettsmitglieder offen rebellieren, in der der Vizekanzler nur an seine Partei denkt, aber nicht an das Land und schon gar nicht an Europa. Diese Regierung ist ausschließlich mit sich selbst beschäftigt, weil sie an inneren Widersprüchen zu scheitern droht. Ein Beispiel ist die Finanztransaktionssteuer, wo Wolfgang Schäuble einen richtigen Kurs fährt, den wir unterstützen. Doch Schäuble wird von der FDP ausgebremst. Trotzdem glaube ich, dass die Regierung bis 2013 im Amt bleiben wird, denn die FDP weiß: Bei Neuwahlen käme sie nicht wieder ins Parlament. Wir wollen 2013 mit den Grünen regieren. Gibt es für Rot-Grün keine Mehrheit, würden die Grünen vermutlich mit der CDU koalieren -- das muss jeder Grünen-Wähler wissen.
Und die Linken?
Gabriel: Es ist für mich undenkbar, auf Bundesebene mit einer Partei zu koalieren, die an inneren Widersprüchen zugrunde geht. Eine Partei, die die Mauer rechtfertigt und einen netten Brief an Fidel Castro schickt. Das hat schon skurrile Züge.
Frau Merkel und Sie eint, dass Sie beide einmal das Bundesumweltministerium geleitet haben. Sind Sie mit der Energiewende zufrieden?
Gabriel: Bei der Energiewende ist leider genau das eingetreten, wovor wir immer gewarnt haben. Nach ihrer Kehrtwende bei der Atomkraft hat sich die Bundesregierung nicht mehr um die erforderlichen Maßnahmen gekümmert. Das ist ein schwerer Fehler, der Bürger wie Industrie teuer zu stehen kommen wird. Die SPD hätte die Weichen anders gestellt: Wir wären beim alten rot-grünen Atomausstieg geblieben. Der war kalkulierbar und auch für die Wirtschaft berechenbar. Wenn Frau Merkel innerhalb von sechs Monaten erst die Laufzeiten verlängert und dann das Gegenteil beschließt, ist das für eine Industrienation wie Deutschland ein riesiges Problem. Eine erfolgreiche Wirtschaft braucht eine gesicherte Energieversorgung mit Planbarkeit und Berechenbarkeit auch bei den Preisen. Manche meinen, die Energiewende sei geschafft, weil ein paar Gesetze erlassen wurden. Das ist ein schwerer Irrtum. Die wirklichen Herausforderungen liegen noch vor uns. Ein Beispiel: Der Erfolg der Energiewende hängt davon ab, dass wir in Deutschland massiv Strom einsparen. Immer wieder wurde in Deutschland prognostiziert, dass wir beim Thema Energieeffizienz vorankommen, aber es ist nie gelungen. Und jetzt beharken sich Umweltminister Röttgen von der CDU und Wirtschaftsminister Rösler von der FDP gegenseitig, statt nach vernünftigen Lösungen zu suchen. Nicht die fette Überschrift ist größte Herausforderung bei der Energiewende, sondern das Kleingedruckte. Hier muss massiv nachgearbeitet werden. Ich fand die Idee von Klaus Töpfer und Volker Hauff, den Leitern der von der Kanzlerin eingesetzten Ethikkommission, sehr gut: Sie wollten nach dem Abschlussbericht der Kommission weitermachen. Sie wollten die Energiewende gesellschaftlich begleiten und dafür sorgen, dass alle -- von der Wirtschaft bis zu den Umweltverbänden -- mitarbeiten. Doch Frau Merkel hat darauf verzichtet, sie hat die Empfehlungen der Kommission nur als Steinbruch genutzt und lediglich das umgesetzt, was ihr in den Kram passte. Das ist ein schwerer Fehler.
Gorleben ist schon wieder in den Schlagzeilen. Dieses Mal ist die Strahlenbelastung auf dem Gelände des Zwischenlagers erhöht. Rächt sich jetzt die Lagerung von Atommüll in einer derart einfachen Halle?
Gabriel: Ich habe keinen Einblick in die Unterlagen. Aber das Bundesamt für Strahlenschutz muss aufklären, woher die Strahlenbelastung kommt und Abhilfe schaffen. Das Wichtigste ist dabei Transparenz: Die Untersuchung darf nicht zu einer geheimen Kommandosache werden.
Neben der Energiewende ist die Euro-Krise die größte Baustelle in Berlin. Sie haben die Kanzlerin aufgefordert, den Bürgern klarzumachen, dass es keinen bequemen Weg aus der Krise gibt. Wie unbequem wird denn der Weg Ihrer Meinung nach?
Gabriel: Er ist deutlich unbequemer geworden, weil Frau Merkel 18 Monate lang auch hier einen Zickzack-Kurs gefahren hat. Sie hat erst erklärt: keinen Cent für Griechenland. Wenig später kam der erste Rettungsschirm. Dann hat sie gesagt: Mehr gibt es nicht. Kurz darauf folgte der zweite Rettungsschirm. Erst hat sie gesagt: keine Transaktionssteuer. Jetzt will sie doch eine, die FDP ist aber dagegen. Erst sollte es keine Wirtschaftsregierung geben, jetzt soll eine kommen, die CSU ist aber dagegen. Dieser Kurs der Kanzlerin hat die Märkte tief verunsichert und eine europäische Lösung viel komplizierter gemacht. Das Hauptproblem ist, dass wir derzeit mit den Rettungsschirmen eigentlich immer nur die Zinsen für die betroffenen Länder finanzieren und nicht das Problem lösen. Das Problem kann man nur lösen, wenn man schnell dafür sorgt, dass die Finanzmärkte stärker reguliert werden. Da blockiert leider auch die Bundesregierung. Im Prinzip haben wir in der Finanzmarktkrise reagiert wie beim Elbe-Hochwasser: Immer wenn das Wasser im Keller steht, versprechen wir, nie wieder Häuser in Überschwemmungsgebieten zu bauen. Acht Wochen nach Ende des Hochwassers gibt es neue Bebauungspläne in diesen Gebieten. Wir als SPD haben von Anfang an einen Schuldenschnitt mit einer echten Gläubigerbeteiligung gefordert. Verbunden mit einer Absicherung von Krediten in anderen kriselnden Ländern, damit die Ansteckungsgefahr gebannt wird, also die Angst der Finanzmärkte, dass das Geld auch in Portugal oder Spanien verloren geht. Wir werden das unterstützen, was Frau Merkel an vernünftigen Vorschlägen macht, auch wenn das noch nicht weit genug geht. Aber die große Sorge ist, dass auch bei diesem Rettungsschirm der Herdentrieb der Finanzmärkte nicht eingedämmt wird. Ein Beispiel: Italien hat eigentlich keine Probleme, seine Kredite zu zahlen. Plötzlich gab es aber das Gerücht, dass der Finanzminister zurücktreten wolle. Umgehend wurden die Finanzmärkte panisch und erhöhten die Zinsen für Italien --- womit die Finanzierung der Kredite durch den italienischen Staat noch teurer wurde. Das ist ein teuflischer Kreislauf, der eigentlich nur mit einer gemeinschaftlichen Haftung für einen Teil der Schulden durchbrochen werden kann. Diese gemeinschaftliche Haftung haben wir längst, aber die Kanzlerin traut sich nicht, das offen zu sagen. Wir haben keine Euro-Bonds, sondern Merkel-Bonds -- und die sind für den deutschen Steuerzahler viel teurer.
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ist der Schritt zu Euro-Bonds aber sehr unwahrscheinlich geworden. Sie sind aber für Euro-Bonds. Warum?
Gabriel: Ich bin nur für Euro-Bonds, wenn damit ganz klare und harte Bedingungen verknüpft werden. Denn Solidarität ist keine Einbahnstraße. Will ein Land von Bürgschaften anderer Länder profitieren, müssen die Einfluss zum Beispiel auf die Steuerpolitik und die Haushaltspolitik des Schuldners nehmen können - auch wenn man dafür vermutlich die europäischen Verträge ändern muss. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat Recht, wenn er sagt, dass hier eine klare Linie gefahren werden muss. Nur wenn stringent gehandelt wird und in den Regierungen nicht permanent widersprüchliche Signale gesendet werden, kann die Skepsis, die Unsicherheit auf den Finanzmärkten weichen. Bei allem Ärger über die Finanzmärkte muss man klar sagen: Da agieren Leute, die Staaten Geld leihen. Diese Anleger wollen natürlich wissen, ob sie ihr Geld auch zurückbekommen. Doch solange die Politik hier Unsicherheiten aufkommen lässt, wird die Krise andauern. Euro-Bonds sind nicht der Königsweg. Der Königsweg wäre eine strikte Haushaltsdisziplin in konjunktur-unabhängigen Bereichen und Wachstumsprogramme. Denn Staaten wie Griechenland kommen nicht nur durch Sparprogramme aus der Krise heraus. Wir brauchen beispielsweise dringend ein Sofortprogramm gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Als ich Jugendlicher war, haben wir mit Europa viele Hoffnungen verknüpft. In Spanien sind 45 Prozent der Jugendlichen arbeitslos, in Griechenland 40 Prozent. Für die ist Europa keine Hoffnung, sondern eine Bedrohung. Um solche Wachstumsprogramme finanzieren zu können, brauchen wir die Besteuerung der Finanzmärkte. Jeder Bäcker muss für seine Brötchen Mehrwertsteuer verlangen. Es ist nicht einzusehen, dass die einzigen Produkte, für die keine Mehrwert- oder Umsatzsteuer verlangt werden, Finanzmarktprodukte sind.
Sollte die Vielzahl der Produkte auf Finanzmärkten nicht auch eingedämmt werden?
Gabriel: Ja, natürlich. Das Problem ist, dass wir an den Finanzmärkten Banken regulieren, aber nicht die Hedgefonds. Wenn Sie in Deutschland eine Currywurst-Bude aufmachen wollen, werden Sie auf Herz und Nieren geprüft. Der Staat schaut, ob Sie altes Fett in den Kanal leiten oder vernünftig entsorgen. An den Finanzmärkten wird die Frage, ob Sie giftige Produkte in Umlauf bringen, nicht vernünftig geprüft. Das muss zusammen mit anderen Staaten endlich in Angriff genommen werden. Bisher ist dies auch an der ideologischen Haltung der schwarz-gelben Bundesregierung gegenüber der Finanzbranche gescheitert. Herr Schäuble hat auch in diesem Punkt bereits vernünftige Vorschläge gemacht, wird aber immer wieder durch Widerstand in der Koalition blockiert. Wir würden Herrn Schäuble unterstützen, denn diese Euro- und Finanzmarktkrise ist der falsche Zeitpunkt für parteipolitische Spielchen.
Sie haben den ,,sozialen Patriotismus" der vier Millionäre begrüßt, die ihre Bereitschaft zu höheren Steuern für Reiche ausgesprochen haben. Unternehmer Michael Otto hat aber betont, dass er den Spitzensteuersatz meint und nicht die Vermögenssteuer. Die SPD ist aber dafür. Zahlen Reiche in Deutschland zu wenig Steuern?
Gabriel: Ja, ganz sicher. Das zeigen allein schon die internationalen Untersuchungen. Wenn jemand in Deutschland reich wird, hat das natürlich mit seiner Leistung zu tun. Aber eben auch viel mit den Leistungen, die die Allgemeinheit zur Verfügung stellt: Ein gutes Bildungssystem, ein Rechtsstaat, eine funktionierende Infrastruktur. Wenn es dem Land, in dem man reich geworden ist, nicht gut geht, empfinde ich es als Akt von sozialem Patriotismus, wenn der Wohlhabende hilft. Glücklicherweise sieht das in Deutschland ja auch die große Mehrheit der Bevölkerung so. Im Übrigen: Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent erhöhen. Unter Helmut Kohl lag er bei 53 Prozent.
Käme es zu Rot-Grün oder Grün-Rot, könnten Sie aber kaum wieder Umweltminister werden, weil die Grünen den Posten beanspruchen würden. Sie bleiben also SPD-Chef?
Gabriel: Ich bin sehr sicher, dass es 2013 eine klare Mehrheit für Rot-Grün geben wird. Es gab ja viele selbst ernannte Experten, die nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 2009 glaubten, die SPD gehöre ins Museum. Tatsache ist aber, dass wir seither bei neun Landtagswahlen neun Mal in die Regierung gekommen sind, sieben Mal davon führend. Wir sind zwei Jahre nach der Bundestagswahl in einer viel besseren Verfassung, als die meisten erwarten haben. Aber natürlich darf man sich mit dem Erreichten nie zufrieden geben. Die Zeiten haben sich geändert. Und wir Sozialdemokraten sind eben auch ein bisschen Opfer unseres Erfolges. Wir wollten die Mobilisierung des sozialen Milieus. Wir wollten, dass die Leute nicht automatisch das werden müssen, was die Eltern waren. Das hat aber auch die Bindung vieler Wähler an eine Partei gelockert. Zum ersten Mal ist ein Spektrum für eine richtig liberale Partei im besten Sinne des Wortes entstanden. Doch die FDP hat es nicht begriffen und sich ideologisch verengt. Die Grünen haben sich hingegen ideologisch verbreitert. Sie fischen diesen mobilen, postmateriellen, liberalen Wählermarkt ab. Das hat etwas mit der Veränderung der Gesellschaftsstruktur zu tun und wird sich nicht so schnell ändern. Die Grünen werden auch in Zukunft stark bleiben. Damit habe ich kein Problem, schließlich wollen wir mit denen zusammen regieren.
Das Interview führte Werner Kolbe
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