Landeszeitung Lüneburg: Fremdkörper in der Demokratie
Dr. Rolf Gössner wurde 38 Jahre lang zu Unrecht observiert und kritisiert die Antiterrorhysterie der Politik
Lüneburg (ots)
Wie viel Sicherheit verträgt die Freiheit? Brandanschläge auf die Bahn oder auf Autos schre"cken die Bürger auf; Überwachungssoftware und Nacktscanner empören sie. Schmal ist der Grat, auf dem etwa der Verfassungsschutz wandelt, meint Dr. Rolf Gössner, der 38 Jahre lang zu Unrecht überwacht worden ist. Er warnt vor einer Einschränkung der Grundrechte.
38 Jahre wurden Sie zu Unrecht vom Verfassungsschutz ausgespäht -- so hat es das Verwaltungsgericht Köln festgestellt. Wissen Sie mittlerweile, was auf 2000 Seiten über Sie zusammengetragen worden ist?
Dr. Rolf Gössner: Das wüsste ich gerne. Es ist aber leider so, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz zwar fast vier Jahrzehnte lang Informationen über mich zusammengetragen hat. Aber meine Personenakte bleibt überwiegend geheim, weil das Bundesinnenministerium eine Sperrerklärung verfügt hat. Die sorgt dafür, dass 80-85 Prozent der Aktenseiten ganz oder teilweise geschwärzt sind. Drei Gründe werden genannt: Erstens Quellenschutz, das heißt, wenn mir die Identität von beteiligten V-Leuten oder Informanten bekannt würde, sei -- laut Amt -- deren Leib und Leben gefährdet. Zweitens die Ausforschungsgefahr, das heißt, ich könnte herausfinden, wie das Bundesamt arbeitet. Und drittens wäre das Staatswohl gefährdet, wenn ich wüsste, was über mich gesammelt wurde. Den letzten Grund könnte ich noch am ehesten verstehen, wäre die Öffentlichkeit doch bestimmt zu Recht empört, wenn bekannt würde, welche Belanglosigkeiten zusammengetragen wurden. Ohnehin ist diese ganze Sache ein Fall für den Bundesrechnungshof.
Das heißt, Sie wissen immer noch nicht, ob die Quellen in Ihrem persönlichen Umfeld sitzen?
Dr. Gössner: Nein, aber die Beobachtung ist offiziell Ende 2008 beendet worden. Begründet wurde diese Einstellung unter anderem damit, dass die Bedrohungslage der Bundesrepublik sich mittlerweile verändert habe, weshalb die knappen Ressourcen anderweitig eingesetzt werden müssten.
Wann bemerkten Sie, dass Sie bespitzelt wurden?
Dr. Gössner: Es gab manche Indizien, aber es war ja nicht so, dass hinter mir pausenlos irgendwelche Observanten her waren. Erfahren habe ich von meiner Überwachung, weil ich 1996 beim Bundesamt einen Antrag auf Auskunft über die zu meiner Person gespeicherten Daten gestellt hatte. Die Dossiers, die ich erhielt, listeten meine Schriften, Interviews, Vorträge und ähnliches auf, die gesammelt, gespeichert und ausgewertet wurden. Dies insbesondere in Zusammenhängen, die vom Verfassungsschutz als "linksextremistisch" oder ,,linksextremistisch beeinflusst" deklariert wurden. Darunter fielen meine beruflichen Kontakte als Anwalt, Publizist, Referent oder auch als Menschenrechtler zu Gruppierungen wie der VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der Rechtshilfegruppe "Rote Hilfe" oder der DKP. Verdächtig waren auch Kontakte zu Presseorganen wie zu den renommierten "Blättern für deutsche und internationale Politik", die im Kalten Krieg als DDR-mitfinanziert galten. Gespeichert wurden meine Beiträge für "Neues Deutschland" oder "Junge Welt", aber auch für die "Frankfurter Rundschau", "Die Woche" oder den "Freitag".
Haben Sie aus Angst vor der Überwachung durch den Verfassungsschutz eine Schere im Kopf entwickelt?
Dr. Gössner: Die Frage habe ich mir oft gestellt. Ich denke, dass dies trotz allen Einschüchterungspotentials nicht der Fall war. Das beste Gegenmittel gegen eine schleichende Anpassung ist, sich genau diese Frage immer wieder zu stellen.
Welche Lehren sind aus Ihrem Fall zu ziehen etwa für die Sammelwut nach 9/11?
Dr. Gössner: Mit den "Antiterrorgesetzen" von 2002 wurden die polizeilichen und geheimdienstlichen Befugnisse erheblich ausgeweitet. Seitdem werden in noch größerem Maße personenbezogene Daten auch von Menschen gespeichert, die selbst nicht verdächtig sind. Das liegt am Prinzip der Prävention, - am Beispiel der Rasterfahndung lässt sich dies veranschaulichen. Nach dem vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellten "Schläfer-Profil" wurden nach 9/11 folgende Daten aus diversen Dateien zusammengeführt: männliche Technikstudenten, aus arabischen Ländern stammend, mutmaßlich islamische Religionszugehörigkeit, viel reisend, finanziell unabhängig und bisher nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Für sich genommen sind dies alles unverdächtige Kriterien, in der Zusammenführung reichten sie aber aus, um die Betroffenen unter elektronischen Verdacht zu stellen. Sie mussten sich gegenüber Polizei oder Verfassungsschutz rechtfertigen -- was letztlich eine Umkehr der Beweislast bedeutet. Zu Fahndungserfolgen hat die aufwändige Prozedur nicht geführt - aber zu massenhaften Verdächtigungen, vor allem von Migranten und Muslimen. Im Nachhinein hat das Bundesverfassungsgericht diese Maßnahmen für verfassungswidrig erklärt.
Befürchten Sie eine ähnliche Verschiebung der Grenzen der Rechtsstaatlichkeit wie im Deutschen Herbst, in dem der damalige BKA-Präsident Horst Herold die Rasterfahndung konzipierte?
Dr. Gössner: Wir sind inzwischen längst in einem präventiven Sicherheitsstaat gelandet. Zu der Rasterfahndung gesellen sich noch der Große Lauschangriff in Wohnungen, die Online-Durchsuchung mit Trojaner-Software, die mittlerweile gekippte Vorratsdatenspeicherung zur Überwachung der Telekommunikation, biometrische Ausweise mit digitalen Fotos und Fingerabdrücken auf Funkchips. Gleichwohl geht es immer weiter. In der "Antiterrordatei" werden Erkenntnisse von Polizei und Geheimdiensten zusammengeführt, was gegen das Gebot der Trennung dieser beiden Sicherheitsorgane verstößt -- eine wichtige Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit der Gestapo der Nazizeit. Grundrechte werden auch massiv eingeschränkt durch ausufernde Sicherheitsüberprüfungen in privaten und öffentlichen Unternehmen, die als "lebens- oder verteidigungswichtig" gelten. Auch eine wachsende Militarisierung der inneren Sicherheit, etwa über den Bundeswehreinsatz im Innern wie bei der Fußball-WM oder beim G-8-Gipfel in Heiligendamm, gibt zu denken. Das sind nicht nur punktuelle Änderungen im Staatsgefüge, sondern strukturelle -- das Ergebnis nennt sich neue Sicherheitsarchitektur. Wofür soll diese dienen? Für den ganz alltäglichen Ausnahmezustand?
Gefährdet eine solche Sicherheitsarchitektur die Grundrechte, die der Verfassungsschutz eigentlich schützen soll?
Dr. Gössner: Meines Erachtens ja. Dabei erweist sich der Verfassungsschutz selbst als Fremdkörper in der Demokratie, weil er als Geheimdienst den demokratischen Prinzipien der Transparenz und Kontrollierbarkeit widerspricht. Wäre er transparent, könnte er nicht im Geheimen arbeiten. Daraus resultiert eine mangelhafte Kontrolle, wie die Arbeit der eigens eingerichteten parlamentarischen Kontrollgremien eindrucksvoll belegt.
Inwieweit wirken staats"autoritäre Traditionen nach?
Dr. Gössner: Der Verfassungsschutz hat wie so manche andere deutsche Institution braune und staatsautoritäre Wurzeln, die erst jetzt aufgearbeitet werden sollen. Für Entwicklung und Arbeit dieses Geheimdienstes war das prägend. Erinnert sei etwa an die exzessive Kommunistenverfolgung der 50er und 60er Jahre, als nicht nur Verfassungsschutz und Polizei, sondern auch die Justiz mit ihren personellen "Altlasten", etwa das Lüneburger Landgericht, eine unsägliche Rolle spielten. Seit den 90er Jahren verstrickt sich der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten in Neonazi-Szenen -- eine Problematik, die das NPD-Verbotsverfahren zum Scheitern brachte und die ich in einem meiner Bücher aufgearbeitet habe. Vom Verfassungsschutz bezahlte V-Leute machen sich in diesen Szenen regelmäßig strafbar, werden aber vom Verfassungsschutz gegen Ermittlungen der Polizei abgeschirmt. All dies ist in einer Demokratie inakzeptabel.
Würden Sie den Verfassungsschutz abschaffen?
Dr. Gössner: Gute Idee, wäre aber gegenwärtig eine eher unrealistische Forderung. Praktikabler ist der Weg, den wir in den 90er-Jahren hier in Niedersachsen gegangen sind. Damals war ich Berater der Fraktion der Grünen im Landtag, die zu der Zeit in Hannover mitregierten. Ich habe maßgeblich an der Liberalisierung des hiesigen Verfassungsschutzes mitgearbeitet. Es galt, ihn -- nach vielen Skandalen -- rechtsstaatlich zu zähmen. Das ist uns gelungen. Seine Aufgaben und Befugnisse wurden reduziert, sodass er nicht mehr auf der Gesinnungs-, sondern erst ab einer gewissen Handlungsintensität tätig werden konnte -- etwa bei Gewaltorientierung oder bei Verstößen gegen Verfassungsgrundsätze. Zwar funktionierte die Reform, doch die spätere SPD-Alleinregierung hat einiges davon zurückgedreht. Eine Auflösung wäre zwar denkbar, dann bedarf es aber anderer -- nicht geheimer -- Institutionen, die zum Beispiel Neonazi-Szenen erforschen und darüber aufklären.
Bleiben Sicherheit und Freiheit auf ewig verfeindete Schwestern?
Dr. Gössner: Diesen Widerspruch gibt es, und er wird verschärft, indem uns -- gerade in Zeiten des Terrors oder auch in Wahlkampfzeiten -- mit immer neuen Einschränkungen der Freiheitsrechte mehr Sicherheit versprochen wird. Ob die vielen Gesetze, die im Laufe der Jahre im Namen der Sicherheit aufgehäuft wurden -- und von denen einige vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden mussten --, wirklich der Sicherheit dienen, ist kaum je überprüft worden. Ich denke, etliche der neuen Antiterrorbefugnisse halten kaum, was sie versprechen. Zwar sind von Sicherheitsbehörden einzelne Anschläge schon verhindert worden. Die Frage ist aber, ob dies nicht auch mit klassischen Methoden gelungen wäre. Die Verschärfung der Sicherheitsinstrumente ist nicht gleichbedeutend mit der Verbesserung der Sicherheitslage. Die Bundesrepublik gehört zu den sichersten Staaten der Welt. Allerdings driften reale Bedrohungslage und Ängste in der Bevölkerung immer stärker auseinander.
Das Interview führte
Joachim Zießler
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