Landeszeitung Lüneburg: "Niedersachsen fehlt das Drehbuch"
SPD-Landeschef und Spitzenkandidat Stephan Weil will die Energiewende vorantreiben
Lüneburg (ots)
Niedersachsen hat das Potenzial, das Energieland Nummer eins zu werden, sagt Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil. Mit Windkraft und Biomasse, aber ohne Gorleben als Atom-Endlager. Der Spitzenkandidat der SPD bei der Landtagswahl am 20. Januar 2013 bezieht Stellung zur Energiewende, den Piraten, zur Wulff-Affäre, heißt Günter Grass als Wahlkampfhelfer willkommen und schweigt zur K-Frage.
Wie viel Prozent holt die SPD bei der Landtagswahl am 20. Januar 2013?
Stephan Weil: Genug, um eine Regierung bilden zu können. Das ist nach meiner Einschätzung 30 plus X - je mehr X, desto besser.
Wo sehen Sie die Piraten in Niedersachsen?
Weil: Das ist richtig schwierig. Im Moment wären sie sicher bei acht bis neun Prozent. Aber erinnern wir uns: Heute vor einem Jahr hatten die Grünen gerade ihre höchsten Umfragewerte, die sind damals richtig durch die Decke geschossen. Wenn die Piraten heute ihren Hype haben, heißt das also noch nichts für die Landtagswahl 2013. Ich halte es für gut möglich, dass wir es mit einer dauerhaften politischen Kraft zu tun haben, aber in welchem Umfang, wage ich nicht zu prognostizieren.
Sind die "Seeräuber" - wenn es mit ihrem Wunschpartner, den Grünen, eng wird - ein möglicher Koalitionspartner?
Weil: Derzeit sehe ich das nicht. Und zwar nicht, weil es riesige inhaltliche Differenzen gibt. Die Piraten sind eine interessante politische Bewegung, die mit den Themen Freiheit und Demokratie einen starken liberalen Einschlag hat. Aber sie sind derzeit kaum berechenbar. Wahrscheinlich auch für sich selbst nicht. Sie sind vermutlich völlig überrascht von der Welle, auf der sie gerade schwimmen, sie werden sich erst einmal selbst finden müssen. Wenn sie sich gefunden haben, muss man schauen, ob sie dann noch eine Kraft sind, die groß genug ist, und ob man mit ihnen dauerhaft zusammenarbeiten kann. Derzeit sicher nicht. Und wohl auch kaum bis zu den Landtagswahlen.
Und die Linkspartei? Ihr Parteifreund Thomas Oppermann prophezeit der Linken nach dem Lötzsch-Rücktritt den Niedergang. Sehen Sie das auch so?
Weil: Die Linke befindet sich ganz eindeutig im Sinkflug. In dem Maße, in dem die SPD richtige Lehren aus ihren Erfahrungen gezogen hat, verliert die Linke an Attraktivität. Und es ist ja auch immer klarer geworden - vor allem im Westen Deutschlands - dass die Partei ein Sammelbecken der alten Sektierer ist. Bezogen auf meine Heimatstadt kann ich sagen: Da treffen sich Menschen, die bei den unterschiedlichsten politischen Diskussionen linker Splittergruppen in den vergangenen drei Jahrzehnten eine Rolle gespielt haben. Das kann keine attraktive Partei werden. Ich habe immer gesagt, dass ich nichts von Ausschließeritis halte, aber ich sehe eine Zusammenarbeit mit der Linken als höchst unwahrscheinlich an. Aus einem ganz simplen Grund: Die Linke hat für sich selbst geklärt, dass sie keine Verantwortung übernehmen möchte. Denn Verantwortung heißt immer auch, Kompromisse zu akzeptieren, sich dafür zu rechtfertigen, dass man seine Ziele nicht zu hundert Prozent durchsetzen kann. Die Linke macht den Fehler vieler Fundamentalisten, die nicht bereit sind, die Probe aufs Exempel zu machen.
Ist Günter Grass ein willkommener Wahlkampfhelfer?
Weil: Günter Grass hat sich um Deutschland hoch verdient gemacht. Ich habe die Aufregung um sein Gedicht nur begrenzt verstanden. Natürlich ist Kritik an der gegenwärtigen israelischen Politik auch hierzulande möglich. Sie muss auch möglich sein. Dass sich ein Dichter und politisch interessierter Mensch Sorgen um den Frieden im Nahen Osten macht, kann ich gut nachvollziehen. Das Einreiseverbot für Israel halte ich für völlig überzogen.
Sie sagen, Bürgermeister ticken anders als Landes- und Bundespolitiker, haben größere Distanz zum Politikbetrieb, sind bürgernäher. David McAllister ist beliebt und gibt sich bodenständig. Was unterscheidet Sie von ihm?
Weil: Das fängt schon bei der Biografie an. Ich habe in ganz unterschiedlichen Berufen gearbeitet. Ich war Rechtsanwalt, Richter, Staatsanwalt, ich war im Justizministerium tätig und Stadtkämmerer in Hannover, seit sechs Jahren bin ich Bürgermeister - das prägt. Dies ist ein Werdegang, bei dem ich immer mittendrin in der Gesellschaft war. Ein Bürgermeister muss permanent in allen sozialen Milieus präsent sein. Dabei nimmt man unglaublich viel mit. Herr McAllister ist sehr früh in den politischen Betrieb eingestiegen. Ich finde wichtig, dass Politiker auch andere Erfahrungen machen. Entsprechend unterschiedlich ist unsere Arbeitsweise. Bürgermeister müssen pragmatisch sein und sich den Problemen stellen. Das ist vielleicht der größte Unterschied zwischen uns: Herr McAllister duckt sich weg, wenn es schwierig wird oder er schickt andere vor. Wie bei der Schlecker-Auffanggesellschaft, der Elbvertiefung oder dem JadeWeserPort. Das wird nicht mein Regierungsstil sein.
Sie selbst sind ja auch schon mal in Carsten Maschmeyers Weinkeller gewesen. Hat der Fall Wulff Ihren Umgang mit Unternehmern verändert?
Weil: Ich musste mein Verhalten nicht ändern. Ich suche den Kontakt zur Wirtschaft, aber ich habe mir nie irgendwelche Vergünstigungen anbieten lassen oder entgegengenommen. Wenn man als Politiker genau weiß, was geht und was nicht geht, kann man sehr unbefangen sein. Ich stelle aber fest, dass auf Seiten der Wirtschaft eine enorme Verunsicherung entstanden ist, wie man nun mit Politikern umgehen soll. Das ist fatal, weil wir diese Kontakte benötigen.
Der "Club 2013", die "Maschsee-Connection" - in Niedersachsen scheint die Verquickung von Politik und Wirtschaft besonders eng zu sein. Wie ist das zu erklären?
Weil: Als Oberbürgermeister kann ich sagen: Die Stadt Hannover hat mit dem Nord-Süd-Dialog nichts zu tun. Wir haben in der Landeshauptstadt jahrzehntelang keine nennenswerten Filz-Skandale gehabt. Im Übrigen haben die Vorwürfe gegen Christian Wulff mit einer Vereinbarung zwischen zwei Osnabrücker Freunden begonnen. Eine Besonderheit ist allerdings, dass wohl aus keiner anderen Stadt so viele Spitzenpolitiker nach Berlin gekommen sind - und zwar aus allen Parteien. Neben Wulff und Gerhard Schröder auch Philipp Rösler, Patrick Döring, Ursula von der Leyen - um nur einige zu nennen.
Welche Rolle wird diese "politische Landschaftspflege" im Wahlkampf spielen?
Weil: Ich will mich nicht an der Vergangenheit abarbeiten und es gehört sich nicht, bei Christian Wulff nachzutreten. Zu kritisieren ist allerdings, dass David McAllister das Erbe in vollem Umfang angetreten hat. Ich bin strikt dagegen, dass es exklusive Kontakte zu Amtsträgern gibt, mit der Erwartung, dass man dafür Parteispenden bekommt. Ich bin unverändert der Auffassung, dass der "Club 2013" an dieser Stelle über eine rote Linie fährt, und das muss sich Herr McAllister vorhalten lassen.
Ein wichtiges Thema wird auf jeden Fall die Energiewende sein. Der Landesregierung halten Sie hier Versäumnisse bei der zügigen Umsetzung vor. Was wollen Sie besser machen?
Weil: Es gibt eine Reihe von Bundesländern, die konkrete Vereinbarungen mit den unterschiedlichen Beteiligten der Energiewende darüber getroffen haben, wer welche Beiträge zu leisten hat. In Hessen etwa wurde das Ziel definiert, dass zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie genutzt werden soll. In Niedersachsen gibt es nichts dergleichen. In einem aktuellen Ranking der Bundesländer im Hinblick auf ihre Rolle bei der Energiewende rangiert Niedersachsen auf Platz 12. Das ist nicht akzeptabel, denn wir haben das Poten"zial, allein durch unsere geografische Lage das Energieland Nummer eins zu werden, vor allem mit Windenergie, aber auch mit Biomasse. Das kann aber nur gelingen, wenn die Wirtschaft, die Kommunen, das Land und nicht zuletzt die Bundesnetzagentur an einem Strang ziehen. Aber dazu fehlt in Niedersachsen definitiv das Drehbuch.
Was wird aus Gorleben, wenn der Ministerpräsident Stephan Weil heißt?
Weil: Ich werde mit allem Nachdruck dafür kämpfen, dass Gorleben von der Landkarte möglicher Endlagerstandorte verschwindet. Wir diskutieren seit mehr als 30 Jahren über Gorleben und es ist nicht gelungen, die geologische Eignung des Salzstocks nachzuweisen. Zudem gibt es keinerlei gesellschaftliche Akzeptanz für diesen Standort. Deshalb muss man diese Bücher jetzt schließen.
Wie sehr schmerzt Sie als OB der Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst?
Weil: Gar nicht. Auch Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst haben einen Anspruch darauf, an der positiven wirtschaftlichen Entwicklung teilzuhaben. Gleichzeitig befinden sich viele Kommunen in einer schwierigen finanziellen Lage. Es ist ein Kompromiss erreicht worden, der nicht leicht zu verkraften ist, der aber zu erwarten war.
Mehrere Ruhr-Oberbürgermeister, vor allem Sozialdemokraten, rütteln am Solidarpakt. Schluss mit dem Aufbau Ost?
Weil: Nein. Ich habe viel Verständnis für die Kollegen. Das Ruhrgebiet ist extrem gebeutelt. Man kann diese Probleme aber nicht dadurch lösen, dass man andere verstärkt in Finanznot bringt. Viele ostdeutsche Kommunen sind ja auch in einer sehr schwierigen Situation, wenn man sich zum Beispiel die Bevölkerungsentwicklung ansieht. Die Konsequenz kann aber nicht sein, die ohnehin begrenzten Mittel nun anders zu verteilen. Stattdessen müssen wir gemeinsam dafür kämpfen, dass der Staat, insbesondere der Bund, mehr Geld zur Verfügung stellt. Die Kommunen sollten weiterhin solidarisch miteinander umgehen.
Zum Schluss die K-Frage: Gabriel, Steinmeier, Steinbrück oder doch ein ganz anderer?
Weil: Es gibt in der SPD die Vereinbarung, dies nach der Landtagswahl in Niedersachsen zu klären. Das finde ich auch richtig. Das Zeug zum Kanzler haben sie alle. Wenn sich mehrere Kandidaten melden, bin ich für eine Urwahl durch die SPD-Mitglieder. Damit haben wir in Niedersachsen sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich habe einen Favoriten, aber den werde ich jetzt nicht nennen.
Das Gespräch führte Klaus Bohlmann
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