Landeszeitung Lüneburg: Es wäre Frevel, Flächen aus der Produktion zu nehmen
Bauernpräsident Joachim Rukwied kritisiert EU-Öko-Vorgaben und idealisiertes Bauernbild
Lüneburg (ots)
Twittern, bloggen, Videos streamen - Joachim Rukwied, der neue Präsident des Deutschen Bauernverbandes, will auch die neuen Medien nutzen, um die Akzeptanz für die Landwirtschaft zu erhöhen. Öko-Vorgaben der EU kontert er: "Gerade unsere moderne, arbeitsteilige Landwirtschaft arbeitet nachhaltig."
Inwieweit klaffen das Bild der Landwirtschaft, das sich der Städter macht, und die Realität auseinander?
Joachim Rukwied: Die Wertschätzung für den Landwirt ist in der Gesellschaft nach wie vor hoch. In einer aktuellen emnid-Umfrage gelangte der Landwirt hinter Arzt und Lehrer auf Platz 3 der angesehensten Berufe. Aber es klafft eine Diskrepanz zwischen Realität und idealisierten Vorstellungen über moderne Produktions- und Tierhaltungsverfahren. Obwohl wir weltweit die höchsten Standards erreicht haben, findet dies in der Gesellschaft zu wenig Akzeptanz. Vielfach wird sich eine Rückkehr zur guten alten Landwirtschaft vorgestellt. Doch die Idylle gab es so nie, - im Gegenteil: Landwirtschaft war früher Knochenarbeit. Ich persönlich habe mich in mehr als 30 Jahren Landwirtschaft über jeden Fortschritt bei den Produktionsmethoden gefreut, nicht zuletzt auch wegen der Arbeitserleichterung. Da haben wir Nachholbedarf bei der Öffentlichkeitsarbeit.
Beeinträchtigt die Idealisierung des Kleinbauernhofes die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft, etwa bei Bauprojekten?
Rukwied: In der Tat. Jeder Landwirt steht heute in einem enormen Wettbewerb in den weltoffenen Agrarmärkten. Wir sind bodenständig geblieben, arbeiten in und mit der Natur, aber müssen auch als Unternehmer denken, wenn es morgen noch eine heimische Landwirtschaft geben soll. Wir brauchen auch zukünftig die Möglichkeit, neue Ställe zu bauen, nicht nur, um Betriebe zu erweitern, sondern auch, um Verbesserungen des Tierwohls und der Arbeitsbedingungen zu erreichen. 210EUR000 Bauernfamilien halten in Deutschland Tiere; für uns ist die Tierhaltung ein sehr wichtiges Standbein. 2012 erwarten wir Investitionen in Stallbauten in Höhe von fünf Milliarden Euro, zuzüglich einer Milliarde für tierfreundliche Stallhaltungen. Eine hohe Summe, berücksichtigt man, dass die Landwirtschaft insgesamt elf Milliarden Euro investieren wird. Widerstand von Bürgern oder Verbänden hat da schon einen betriebs- und volkswirtschaftlichen Stellenwert.
Muss die Genehmigungspraxis für bäuerliche Betriebe gelockert werden?
Rukwied: Der Status quo wird den bäuerlichen Anforderungen halbwegs gerecht. Aber es sind mögliche Änderungen in der parlamentarischen Diskussion, die die Weiterentwicklung der Tierhaltung in Deutschland erheblich behindern würden.
Wie positioniert sich der Bauernverband zur gemeinsamen Agrarpolitik der EU?
Rukwied: Hier setzen wir auf Konstanz, vor allem auf ein Beibehalten des EU-Agrarbudgets. Die 29 Cent pro Bürger und Tag, die der EU-Agrarhaushalt momentan den EU-Bürger kostet - also der Wert noch nicht einmal eines Brötchens -, sind gut investiertes öffentliches Geld. Der Verbraucher hat größten Nutzen durch Vielfalt und Sicherheit bei den Lebensmitteln, intakte und vielseitige Landschaften und vieles mehr. Und das für weniger als 1 Prozent aller öffentlichen Ausgaben in den EU-Ländern, denn so viel umfasst der EU-Agrarhaushalt.
Sie geißeln die Stilllegung von Ackerflächen als Frevel. Ist der Anbau von Energiepflanzen statt Nahrung nicht auch Frevel?
Rukwied: Nein. Die Landwirtschaft hat vielfältige Aufgaben, in erster Linie die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel. Das bleibt auch so. Eine Aufgabe, die mit der wachsenden Weltbevölkerung und der in der Welt wachsenden Nachfrage nach Milch und Fleisch noch an Stellenwert gewinnt. Zudem muss die Landwirtschaft über Energiepflanzen auch einen Teil zur Energieversorgung beitragen, dies auch insbesondere unter dem Aspekt der in Deutschland beschlossenen Energiewende. Unsere Landwirtschaft muss also Ernährung und Energie im Blick haben. Und angesichts des Fortschritts können wir beides. Für mich wäre es wirklich Frevel, Flächen aus der Produktion zu nehmen. Zum "Greening", also zum Einbau von ökologischen Maßnahmen beispielsweise in unseren Ackerbau, sagen wir "Ja", aber auf wertvollen landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr zu produzieren, das lehnen wir ab.
Mit Ihrem 300-Hektar-Hof wären Sie auch in Niedersachsen ein Großer. Sehen Sie sich dennoch auch als Sprachrohr der Kleinst- und Öko-Höfe?
Rukwied: Die Öko-Betriebe sind ein wichtiger und unverzichtbarer Teil der Landwirtschaft. Innerhalb des Deutschen Bauernverbandes müssen alle Produktions- und Erwerbsformen, alle Richtungen und alle Regionen vertreten sein. Das ist mein Anliegen. Wir haben unabhängig von der Größe vieles gemeinsam, sei es im Bereich des Marketings, in den Märkten, der Öffentlichkeitsarbeit, der Besteuerung, in der Agrarsozialpolitik, in der Rechtsprechung. Da sind wir gut beraten, wenn wir mit einer Stimme sprechen. Ich habe zwar auch für baden-württembergische Verhältnisse eine ordentliche Betriebsgröße, zumal ich noch an einer Ackerbau-GmbH mit 250 Hektar beteiligt bin. Das heißt aber nicht, dass ich die Situation der kleinen Landwirte nicht kenne. Wir haben selbst mit 7 Hektar angefangen und wirtschaften auch auf Parzellengrößen von einem halben Hektar.
Ist grüne Gentechnik für Sie Hoffnungsträger oder Totengräber des Landwirtes als selbstständiger Unternehmer?
Rukwied: Die grüne Gentechnik ist unter den Bauern kein Diskussionsthema. Sie ist eher ein Thema für die Medien, manche NGOs und Teile der Politik. Unsere Verbraucher wollen keinen Anbau gentechnisch veränderter Organismen. Deshalb machen wir Bauern es nicht. Die gesetzliche Regelung einer verschuldensunabhängigen Haftung wird zudem für jeden Landwirt ein unkontrollierbares Risiko. Deshalb empfehlen wir unseren Landwirten, besser keine gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen. Nichtsdestotrotz müssen wir feststellen, dass weltweit die Anbaufläche gentechnisch veränderter Pflanzen jährlich zunimmt - vor allem in Amerika und Asien. Daher ist es wenig hilfreich, über Nulltoleranzen zu diskutieren. 0,0 gibt es in der Natur nicht. Wir brauchen die Definition technischer Grenzwerte per Gesetz.
Schüttelt es Sie als selbstständigen Unternehmer angesichts der Entwicklung in den USA nicht, wenn Bauern zu Bütteln der Agrarkonzerne werden, die aus der Ernte kein Saatgut abzweigen können, weil die Pflanzen unfruchtbar gemacht wurden und sie erneut Saatgut kaufen müssen?
Rukwied: Was Sie ansprechen, ist Hybrid-Saatgut. Das hat mit gentechnisch verändertem Saatgut nichts zu tun. Auch in Europa haben wir bei Mais und Raps so genannte Hybridsorten im Anbau. Das sind Sorten, deren erste Generation einen hohen Ertrag bringt, die zweite Generation dann aber stark abfällt.
Dennoch kratzt der Zwang, Saatgut nachkaufen zu müssen am Bild des Landwirts als freiem Unternehmer. Oder ist dies der Gang der Dinge in einer industrialisierteren Landwirtschaft?
Rukwied: Ich würde unsere heimische Landwirtschaft nicht als "industrialisiert" bezeichnen, schon gar nicht im weltweiten Vergleich. Wie jeder leben und arbeiten wir natürlich nicht mehr nach den Methoden des 18. Jahrhunderts. Die Nutzung von Technik sollte man nicht stigmatisieren, vielmehr hilft sie, Arbeit menschenfreundlicher zu machen und Tiere tierfreundlicher zu halten. Andererseits sollte nicht alles Machbare genutzt werden. So bin ich absolut gegen die Einführung von Bio-Patenten. Unser Saatgut-Recht in Deutschland ist gut. Wenn die Sorten der kleinen Zuchtbetriebe in Deutschland, die aus der Landwirtschaft hervorgingen, nicht geschützt worden wären, hätten wir heute keine Vielfalt mittelständischer Züchter mehr, sondern nur noch vier bis fünf Global Player.
Der Landwirt als freier Unternehmer wird aber nicht nur von Seiten der Saatgut-Patentierer bedroht. Wie können Landwirte vom Subventions-Tropf der EU abgenabelt werden?
Rukwied: Das Wort Subventionen passt absolut nicht. Wie jeder andere Wirtschaftsbereich auch, wird die Landwirtschaft über öffentliche Töpfe gefördert. Das wird in der EU über Direktzahlungen geregelt, und zwar für Leistungen, die der Verbraucher nicht mit den Preisen für Lebensmittel bezahlt. Dies sind unsere höheren Standards im Sozial-, Tier- und Umweltbereich. Auch weltweit wird die Landwirtschaft unterstützt. In den USA werden die Preise gestützt, in Südamerika fließen Zuschüsse in die Erstellung von Produktionsstätten. So lange dies so ist, kann Europa nicht ausscheren, ohne die Wettbewerbsfähigkeit seiner Landwirtschaft zu gefährden.
Sind die Risse zwischen Milchviehhaltern und Bauernverband noch zu kitten?
Rukwied: Wir haben im Bauernverband einen Organisationsgrad von über 90 Prozent, und dies auf rein freiwilliger Basis. Um die, die nicht Mitglied sind, will ich werben. So steht auf unserer Agenda ganz oben, dass wir nachhaltig wirtschaften und im Wettbewerb gestärkt werden, gute Preise erzielen wollen - dies aber über den Markt, nicht über Quoten. Nur so ist gesichert, dass der Landwirt mit seinen Erträgen seine Familie ernähren und gleichzeitig den Betrieb weiterentwickeln kann.
Wäre die Vermittlung eines Bildes einer modernen, industrialisierten Landwirtschaft zwar ehrlicher, aber geeignet, die Akzeptanz zu untergraben?
Rukwied: Für mich ist die heutige Form der Landwirtschaft eine nachhaltige und eine arbeitsteilige. Arbeitsteilung prägt nun mal unsere heutige Wirtschaft. Um die Landwirtschaft den Bürgern näher zu bringen, haben wir 2010 mit einer Informationskampagne begonnen, mit Plakaten, Broschüren, geöffneten Höfen, mit Videos und über Neue Medien sowie mit Medienpartnerschaften zeigen wir Transparenz. So können wir vermitteln, dass eine moderne, arbeitsteilige Landwirtschaft auch in anderen Größenordnungen ökologisch, ökonomisch und sozial, eben noch nachhaltiger wirtschaftet als dies noch in der Vergangenheit der Fall war. Für mich ist dies ein ehrlicher, authentischer und überzeugender Verbraucher-Dialog.
Das Interview führte Joachim Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de
Original content of: Landeszeitung Lüneburg, transmitted by news aktuell