Landeszeitung Lüneburg: Landeszeitung Lüneburg: Die unterschätzte Katastrophe -- Christoph Unger, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, fordert bessere Vorbereitung auf Stromausfälle.
Lüneburg (ots)
Wie haben sich die Aufgaben im Katastrophenschutz verändert?
Christoph Unger: Einschneidend war für uns das Elbe-Hochwasser 2002. Auch ich habe damals meine ersten Erfahrungen mit dem Katastrophenschutz gemacht, denn ich war zu dem Zeitpunkt Büroleiter im niedersächsischen Innenministerium. Ich weiß noch genau, wie wir damals mit Minister Heiner Bartling und Ministerpräsident Sigmar Gabriel auf dem Deich standen und erhebliche Defizite -- nicht im Landkreis Lüneburg, auch nicht in Niedersachsen -- festgestellt haben. Es herrschten teils chaotische Verhältnisse, denn es gab kein vernünftiges Informations- und kein Ressourcenmanagement. Diese Defizite haben dazu geführt, dass Bund und Länder 'ne ganze Menge an Maßnahmen angeschoben haben. Unter anderem auch die Einrichtung meiner Behörde -- das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) -- mit der besonderen Aufgabenstellung, als Zentralstelle im Bevölkerungsschutz unter anderem für Dinge wie ausreichend Sandsäcke zu sorgen, ein Lagebild zu erstellen, aber auch auszubilden.
Ist der Katastrophenschutz angesichts der Tatsache, dass sich die Gefahrenpotenziale ändern und auch größer werden, vielleicht sogar überfordert?
Unger: Nein, denn das BBK ist ein Element eines verbesserten Krisenmanagements in Deutschland. Ich will das mit einem ganz konkreten Beispiel erklären: Wir haben bis 1989 unter den Bedingungen des Kalten Krieges regelmäßig das Zusammenwirken von Bund und Ländern geübt. Diese Wintex-Übungen wurden dann eingestellt. Das ist ein Punkt, der uns 2002 beim Elbe-Hochwasser auf die Füße gefallen ist, denn da wurde deutlich, dass die Kooperation über Ländergrenzen hinweg nicht funktionierte. Daher führen wir jetzt im Auftrag meiner Behörde wieder Übungen durch, und zwar alle zwei Jahre. Diese LÜKEX (Länderübergreifende Krisenmanagementübung -- Exercise) sind themenorientiert: Pandemie, Stromausfall; im nächsten Jahr geht es um das Thema Lebensmittelsicherheit (z.B. eine EHEC-Krise), und 2015 ist das Bedrohungsszenario eine Sturmflut an der Nordseeküste. Das sind Dinge, die wir seit Einsetzung des BBK konkret machen. Aber das ist nicht das Einzige.
Wer trägt die Kosten für LÜKEX?
Unger: Wir tragen die Kosten für die Vorbereitung und Durchführung, die Länder und die beteiligten Unternehmen kommen für ihre eigenen Personalkosten auf.
In Ländern wie Japan und Neuseeland finden regelmäßig ,,Erdbebentrainings" in Schulen und Firmen statt. Wie steht es in Deutschland um die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung?
Unger: Wir glauben, dass die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung in Deutschland unzureichend ist und arbeiten daher daran. Beispiel Stromausfall: Die Menschen dieser Republik sehen darin eigentlich kein Problem. Nach den Vorfällen im Münsterland im Winter 2005 hatte das Deutsche Rote Kreuz eine Umfrage in Auftrag gegeben und Bürger gefragt, wie lange sie wohl ohne Strom auskommen könnten. Und das erschreckende Ergebnis war, dass mehr als 60 Prozent ,mehr als 2 Wochen' zur Antwort gegeben hatten. Wir wissen aber, dass schon 24 Stunden nach einem großräumigen Stromausfall die Gesellschaft Probleme bekommt -- Kochen, Waschen, Kühlen, Heizen, Telefonieren, ohne Strom geht fast nichts. Es fehlt also an der notwendigen Sensibilität ebenso wie an der Vorbereitung. Das BBK will daher mit Broschüren wie ,,Für den Notfall vorgesorgt" und ,,Verhalten bei besonderen Gefahrenlagen" aufklären. Auch in Bezug auf Terrorgefahren versuchen wir zu sensibilisieren. Hier sind bereits Fortschritte zu merken. Das liegt auch daran, dass wir heute mit diesen Schreckensszenarien, die den LÜKEX-Übungen zugrunde gelegt werden, an die Öffentlichkeit gehen. Denn es ist mittlerweile politisch ausdrücklich gewollt, dass darüber berichtet wird. Ob Pandemie -- 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung sind krank -- oder Stromausfall oder Hackerangriffe: Der Bürger soll diese Gefahren kennen. Es verändert sich also durchaus etwas. Gleichwohl fehlt es noch an der konkreten Umsetzung seitens der Bevölkerung.
Gibt es Maßnahmen, die speziell auf die Behebung dieses Mankos abzielen?
Unger: Ja, so versuchen wir, speziell auf Kinder zuzugehen. Kinder und Jugendliche sind lernbereit und lernfähig und damit für uns eine ganz besondere Zielgruppe. Übers Internet und über Schulen versuchen wir, Kinder für diese Themen zu gewinnen und ihre Fähigkeit, sich selbst und anderen zu helfen, zu verbessern. Daher haben wir neben unserem BBK-Internetportal einen eigenen Internetauftritt für Kinder geschaffen: www.max-und-flocke-helferland.de
Wie sieht die Zusammenarbeit mit Schulen genau aus?
Unger: Es gibt zwei große Bereiche. Zum einen haben wir in Kooperation mit den Hilfsorganisationen eine erweiterte Erste-Hilfe-Ausbildung an den Schulen. Jedes Jahr nehmen mehrere Hunderttausend 13- bis 16-Jährige auf unsere Kosten an den Kursen teil. Und seit einem Jahr gibt es das Internetportal für Kinder von 7 bis 12 Jahren, das 2011 zusammen mit dem Bundesinnenminister gestartet wurde. Das besteht aus interaktiven Lernspiel-Angeboten, begleitet von Broschüren sowie Arbeitsblättern für Schulen und Lehrer, die wir auch auf der Fachmesse Didacta vorgestellt haben. Hier kommt es letztlich auf die Lehrer an, diese Angebote zu nutzen.
Das Rückgrat der Katastrophenhilfe ist das Ehrenamt. Doch nur noch 4 Prozent der Bevölkerung engagieren sich ehrenamtlich. Wie lässt sich dieser Trend umkehren?
Unger: Es gibt keinen einheitlichen Trend in der Bundesrepublik. Es ist ein grundsätzliches und wachsendes Problem, das wir -- zumindest in Teilen der Republik -- bereits haben oder bald bekommen werden. Insbesondere in den neuen Bundesländern ist das Ehrenamt nie so stark ausgeprägt gewesen wie in den alten. Das liegt auch an den unterschiedlichen Strukturen. Wir haben im Osten mancherorts schon jetzt Bereiche, in denen das Ehrenamt nicht mehr so funktioniert, wie es eigentlich funktionieren müsste. Das heißt, Hilfsfristen werden nicht mehr eingehalten.
Was sind Hilfsfristen?
Unger: Eine Feuerwehr muss innerhalb einer Viertelstunde vor Ort sein. In Vorpommern gibt es Bereiche, die nach Einschätzung der EU-Kommission schon als entvölkert gelten müssen. Das heißt, die freiwilligen Feuerwehren in den Gemeinden existieren in der Woche nicht. Die Kreisfeuerwehr aus der nächsten Kreisstadt muss das mit abdecken. Ähnlich ist es an der gesamten Ostgrenze Niedersachsens. Man versucht hier gegenzusteuern. Dazu dienen Kampagnen wie Frauen in die Feuerwehr, Menschen mit Migrationshintergrund in die Feuerwehr bis hin zu der Frage, gibt es ergänzende Strukturen, die diese Entwicklung auffangen können.
Könnten die in einigen Ländern noch fehlenden Regelungen zur Freistellung und Aufwandsentschädigung eine Ursache für das mangelnde Interesse der Bürger am Freiwilligen Dienst sein?
Unger: Es gibt häufig Kritik. Aber in wirklichen Notsituationen sind die Arbeitgeber durchaus bereit, ihre Leute zu schicken. Das Problem ist differenzierter zu sehen: Wir haben heute ein Ehrenamt, das mit riesengroßen Herausforderungen zum Beispiel in punkto Ausbildung einhergeht. Technik bis hin zu Unfallverhütungsvorschriften erfordern, dass wir viel ausbilden müssen. Ein Feuerwehrauto zum Preis von 250000 Euro ist voll gestopft mit Technik, die unter schwierigen Bedingungen entsprechend bedient werden muss. Auch bei den Sanitätsfahrzeugen handelt es sich nicht mehr nur um einfache Liegendtransporter, sondern um Hightech-Geräte. Gleiches gilt für den ABC-Bereich. Ehe da jemand eingesetzt werden kann, muss derjenige hochqualifiziert ausgebildet werden. Das ist natürlich sehr zeitintensiv. Da tun sich durchaus auch ökonomische Probleme auf, die durch Freistellungsregelungen allein nicht gelöst werden können. Umso mehr honorieren wir den Einsatz von Betrieben und Unternehmen, die sich für das Ehrenamt im Bevölkerungsschutz stark machen, so mit der jährlichen Auszeichnung durch den Ehrenamtspreis "Helfende Hand" des Innenministeriums.
Katastrophen machen vor Staatsgrenzen keinen Halt. Wäre eine Koordinierungsstelle für ganz Europa, die Innenminister Hans-Peter Friedrich zwar ablehnt, wünschenswert?
Unger: Wir, das BBK, verstehen uns als Koordinierungsstelle für den nationalen Bereich. Aufgrund der föderalen Strukturen ist der Katastrophenschutz bei den Ländern, der Zivilschutz beim Bund angesiedelt. Wir, das BBK, haben den Auftrag, gerade über Ländergrenzen hinweg Koordinierung wahrzunehmen. Die EU will auch so etwas Ähnliches machen. Minister Friedrich lehnt das auch nicht grundsätzlich ab, er will nur nicht, dass die EU eigene ,,Truppen" aufstellt, die dann auf alleinige Anordnung der EU in Marsch gesetzt werden. Ferner besteht die Gefahr, dass sich Länder auf die EU-Hilfsteams verlassen, statt ihre eigenen Schutzaufgaben zu erfüllen. Andererseits gibt es bereits über das THW bestimmte Einsatzkontingente, die ganz schnell im Auftrag der EU entsandt werden können. Wir als BBK sind nationale Andockstelle auch für die EU. Eine europäische Kooperation ist also bereits vorhanden, und sie wird sicherlich noch ausgebaut. Weniger wünschenswert ist, dass zum Beispiel ein Großschadensfall wie Hochwasser an der Elbe von Brüssel aus bewältigt wird.
Wie beurteilen Sie den Stand der deutschen Katastrophenhilfe im europäischen Vergleich?
Unger: Wir haben einen ausgesprochen hohen Standard, nicht nur europa-, sondern sogar weltweit. Über das BBK werden zum Beispiel Fachleute für China ausgebildet. Die Chinesen sind nach dem heftigen Erdbeben 2008 in der Welt rumgefahren, um zu sehen, wer deren Führungskräfte im Krisenmanagement ausbilden kann, und sind bei uns gelandet. Sie werden bei uns an der Akademie für Notfallplanung, Krisenmanagement und Zivilschutz in Ahrweiler fit gemacht. Ferner haben wir den Auftrag, in Tunesien Strukturen aufzubauen oder bilden für die europäische Kommission Führungskräfte aus. Das sind Fakten, die belegen, dass wir gut sind.
Demnächst soll das Pilotprojekt ,,Modulares Warnsystem" an den Start gehen. Kann die Einführung an klammen Kassen der Kommunen scheitern?
Unger: Die Länder wollen natürlich, dass der Bund diese Kosten übernimmt, doch ihn plagen dieselben finanziellen Probleme. Das wird daher in den nächsten Monaten eine politische Frage. Und ich hoffe, dass wir nicht in die gleiche Diskussion kommen wie einst beim Digitalfunk. Das Ziel einer flächendeckenden Warnung der Bevölkerung vor Gefahren darf nicht aus den Augen verloren werden. Der Bund stellt mit dem MoWas eine umfassende technische Lösung zur Verfügung, die es nun gemeinsam auszufüllen gilt.
Das Gespräch führte Dietlinde Terjung
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