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Landeszeitung Lüneburg: "Theater der gefährlichen Art"
Südostasien-Experte Dr. Werner Pfennig sieht Wandel in Nordkorea und fordert Umdenken in Washington

Lüneburg (ots)

Das Säbelrasseln auf der koreanischen Halbinsel wird immer lauter. Beinahe täglich schreckt das Regime in Pjöngjang die Welt mit neuen Drohgebärden gegenüber Südkorea und den USA auf. Der Berliner Asien-Experte Dr. Werner Pfennig erklärt die Ziele von Machthaber Kim Jong Un und sieht vor allem die USA in der Pflicht.

Aggressive Rhetorik und Provokationen aus Pjöngjang ist die Welt seit Jahrzehnten gewohnt. Seit dem dritten Atomtest des Regimes im Februar nehmen die Spannungen nun aber massiv zu: Kim Jong Un hat den Kriegszustand mit Südkorea erklärt, droht den USA mit einem Nuklearangriff und will den Reaktor in Yongbyon wieder hochfahren. Hat der Koreakonflikt eine neue Dimension erreicht?

Dr. Werner Pfennig: Bei der Wortwahl ganz bestimmt. Ansonsten erleben wir das Theater der gefährlichen Art, wie es das seit Jahrzehnten gibt. Allerdings haben die Häufigkeit und das Tempo der wechselseitigen Provokationen zugenommen. Die Führung Nordkoreas fühlt sich offenbar stärker bedroht als in der Vergangenheit - und ist sich zudem nicht mehr sicher, ob sie sich wirklich auf die Unterstützung durch die Volksrepublik China verlassen kann. Der Reaktor in Yongbyon ist Teil des Theaters. Die Anlage ist uralt und seit Jahren außer Betrieb. Sie wieder anzufahren, um damit waffenfähiges Plutonium und/oder Strom zu erzeugen, bedarf mehr als eines Knopfdrucks, das würde Jahre dauern und ist vor allem eine Drohgebärde.

China verurteilt Nordkoreas Reaktorpläne und trägt die verschärften UN-Sanktionen mit. Ist das nur eine scheinbare Distanzierung vom Regime in Pjöngjang oder zeichnet sich ein grundlegendes Umdenken im Hinblick auf den traditionellen Verbündeten ab?

Pfennig: Es ist noch zu früh, um das zu beurteilen. Die Volksrepublik China hat sich ja nie sehr streng an die Sanktionen gehalten. Wenn ein Land boykottiert wird, gibt es trotzdem immer Handel und Wandel, denn das erhöht die Preise. Davon hat China im vergangenen Jahr kräftig profitiert - ist dabei aber erwischt worden. Deshalb hat Peking bei den letzten Beratungen über eine UN-Resolution mit den USA kooperiert. Das hat großes Erstaunen in Nordkorea ausgelöst, wohl auch Verärgerung. China ist schon seit Jahren nicht amüsiert über Nordkoreas Raketen- und Nuklearpläne. Dennoch ist der Volksrepublik an einer kontrollierten Spannung auf der koreanischen Halbinsel gelegen. Das hält die USA in Schach und betont die chinesische Vermittlerrolle. Die Situation darf nur nicht außer Kontrolle geraten, denn China macht gutes Geld durch den Handel mit Nordkorea.

Jetzt hat Nordkorea auch die letzte wichtige Verbindung zwischen beiden Staaten gekappt. Die Sonderwirtschaftszone Kaesong galt als letztes Symbol der friedlichen Zusammenarbeit mit Südkorea. Was bedeutet die Abriegelung des gemeinsamen Industrieparks?

Pfennig: Das heißt ja noch nicht, dass dort die Produktion stillsteht. Schon dreimal wurde der Zugang gesperrt, im November 2010 für 27 Tage. Schlimm wäre es, wenn die südkoreanischen Mitarbeiter, die sich noch dort aufhalten, an der Heimreise gehindert und als Geiseln genommen würden. Es ist jetzt zu Störungen gekommen - und zwar fast auf Bestellung: Die Sonderwirtschaftszone ist von großer, gesamtkoreanisch- symbolischer Bedeutung. Als Ende April Medien im Süden meinten, sie werde nicht geschlossen, weil der Norden nicht auf die rund 80 Millionen Dollar im Jahr verzichten könne, drohte der Norden am 30. April, er können sehr wohl "unbarmherzig schließen". Das hat er jetzt getan, das heißt, nicht geschlossen, aber Südkoreanern den Zugang verweigert.

Warum forciert Nordkorea gerade jetzt sein Atomprogramm so stark?

Pfennig: Experten gehen davon aus, dass Nordkorea über genug Plutonium für einige Bomben verfügt. Ich kann das nicht beurteilen. Dieselben Fachleute vermuten, dass beim bisher letzten Bombentest im Februar Uran verwendet worden ist. Das bedeutet, dass Yongbyon gar nicht gebraucht wird für die Waffenproduktion und dass Nordkorea trotz jahrelanger Sanktionen und Kontrollen in der Lage war, waffentechnologisch große Fortschritte zu machen. Forciert wird gerade jetzt, weil sich der Norden stark bedroht fühlt.

Fortschritte mit Hilfe Teherans?

Pfennig: Das wird behauptet. Es hat früher eine Kooperation zwischen Pakistan, Nordkorea und Iran gegeben. Abnehmer für die produzierten Raketenteile waren unter anderem Jemen und Syrien. Diese Abnehmer gibt es nicht mehr. Dass aber zwei Staaten, die sich aus unterschiedlichen Gründen bedroht fühlen und boykottiert werden, auf möglichst vielen Gebieten zusammenarbeiten, halte ich für fast zwangsläufig.

Fühlt sich Nordkorea zu Recht so sehr bedroht?

Pfennig: Subjektiv ja. Es ist offenkundig, dass sich vor allem die USA einen raschen Regimewechsel in Pjöngjang wünschen. Amerika hat das in einigen Ländern ja auch unterstützend praktiziert. Dies wird von der nordkoreanischen Führung sehr genau beobachtet. Das Land hat ja fast alle Unterstützer verloren. Das einzige, was als Überlebensgarantie angesehen wird, ist die Atombombe. Zwar leistet sich Nordkorea eine riesige Streitmacht mit rund 1,1 Millionen Soldaten und Millionen Reservisten. Dem stehen aber auch 800.000 südkoreanische Soldaten plus Reserve gegenüber, waffentechnisch viel moderner ausgerüstet, unterstützt durch 27.000 US-Soldaten, die in Südkorea stationiert sind. Nicht weit weg stehen 40.000 US-Soldaten in Japan und die US-Flotte fährt in dieser Gegend munter hin und her. Japan ist übrigens ebenfalls ein Akteur in dieser Krisensituation. Premierminister Shinzo Abe ist ein Mann aus dem rechten Lager, der den Artikel 9, den sogenannten "Friedensartikel", aus der japanischen Verfassung streichen will. Er will aufrüsten. Ihm passen die Drohgebärden Nordkoreas deshalb gut.

Sollte US-Präsident Obama statt Tarnkappenbombern und Kriegsschiffen besser hochrangige Diplomaten an den 38. Breitengrad schicken?

Pfennig: Er sollte! Die Entsendung von Flugzeugen und Zerstörern hat nicht zur Entspannung der Situation beigetragen. Ich halte das für militärische Angeberei. Die USA müssen dem Regime in Pjöngjang doch nicht ihre militärische Überlegenheit beweisen. Diese Geste richtet sich meiner Ansicht auch nicht ausschließlich an die Adresse Nordkoreas, sondern damit soll auch der Volksrepublik China demonstriert werden, wie schnell die US-Armee vor Ort sein kann. Die geplante große, seegestützte Abhöranlage wird auch nicht nur nach Nordkorea "hineinhorchen", sondern ebenfalls Richtung China.

Manche Beobachter werten die Zuspitzung auch als innenpolitische Signale: Bei dem relativ jungen Kim Jong Un, um seine Position innerhalb des Regimes zu festigen, bei Obama im Hinblick auf Kürzungen im US-Militärhaushalt.

Pfennig: Was leider kaum Beachtung findet - weder in Südkorea noch in Washington, sind die inhaltlich neuen Akzenten Kim Jong Uns. In seiner Neujahrsansprache - die allein ja schon eine Überraschung war - hat er gesagt: Konfrontation führt zu nichts, wir sollten zusammenarbeiten. Und er ist konkret geworden in Bezug auf innerkoreanische Absprachen aus den frühen 90er-Jahren, zu denen man zurückkehren sollte. Er hat von revolutionären Veränderungen im eigenen Land gesprochen, was durchaus als Kritik an der Politik seines Vaters aufgefasst werden kann. Kim Jong Un bemüht sich, die Partei gegenüber den Streitkräften zu stärken, und es gibt ansatzweise Wirtschaftsreformen. Meiner Ansicht nach wird zweigleisig verfahren: Durch die militärische Rhetorik zeigt Kim Jong Un, dass er der starke Mann ist. Er hat es mit Generälen zu tun, die meist mehr als 80 Jahre alt sind - da muss er schon ein bisschen auf den Tisch hauen. Zugleich ist Pak Pong Ju wieder Ministerpräsident geworden. Von ihm vermuten viele, dass er ein vergleichsweise liberaler Wirtschaftsreformer sei. Militärische Härte könnte Spielräume auf ökonomischem Gebiet eröffnen. Und das passiert auch seit einiger Zeit. Die nordkoreanische Gesellschaft verändert sich. Dabei sollte Kim Jong Un unterstützt werden.

Ist Kim Jong Un tatsächlich der starke Mann Nordkoreas oder ziehen doch die mächtigen Militärs die Fäden?

Pfennig: Kim Jong Un ist der Chef, das Firmenschild. Um ihn herum gibt es natürlich einen Beraterstab, enge Verwandte - Tante und Onkel, die Chefs von Sicherheitsapparat, Partei und Militär. In welchem Maße er Kompromisse eingehen muss, ferngesteuert ist oder sich wirklich schon fest etabliert hat, kann wohl niemand genau sagen.

Welche Rolle spielt Moskau in dieser zugespitzen Situation?

Pfennig: Eine Nebenrolle. Militärisch, wirtschaftlich und politisch.

Das gilt auch für Europa insgesamt?

Pfennig: Das beinahe Tragische ist, dass in beiden Teilen Koreas sowohl Europa als auch europäische Einzelstaaten großes Ansehen genießen. Aber selbst wenn zum Beispiel der Vorsitzende des EU-Parlaments nach Brüssel einladen würde - die kämen ja nicht. Weil die Amerikaner und Chinesen sagen würden: Redet mit uns. Europa ist dort seit Jahren sehr engagiert. Deutsche politische Stiftungen haben Büros in Seoul und führen Veranstaltungen im Norden durch. Das Sagen haben in der Region aber die politischen Schwergewichte China und USA. Ist der Schlüssel zur Lösung des erbitterten Streits auf der koreanischen Halbinsel also allein ein vertrauensvolleres Verhältnis zwischen den USA und China?

Pfennig: Ja, in Kombination mit ernsthaften Gesprächen zwischen den USA und Nordkorea. Es gibt wohl zwei Möglichkeiten: Entweder es kommt noch viel schlimmer oder es gibt ein Umdenken in Washington. Aber wie Obama das im Kongress durchsetzen soll, weiß ich nicht. Meine Idealvorstellung wäre: Die USA erkennen die Realitäten an - nämlich ein Regime mit geringen Nuklearkapazitäten - und verhandeln mit Nordkorea. In erweiterte Gespräche müssten dann die UNO, China und Südkorea einbezogen werden. Diese würden in einen Friedensvertrag münden, in eine Bestandsgarantie für Nordkorea. Und dann endlich müssten Japan und die USA diplomatische Beziehungen zu Pjöngjang aufnehmen. Aber da würde der US-Kongress fragen: Sollen wir dieses gefährliche Regime auch noch belohnen? Das wäre aber genau richtig und notwendig, um Veränderungen im Innern des Nordens zu ermöglichen.

Sind jetzt unbeabsichtigte militärische Zwischenfälle die größte Gefahr?

Pfennig: In der Tat. Es stehen sich sehr viele Menschen bis an die Zähne bewaffnet, in Alarmbereitschaft und in Fernglassichtweite gegenüber. Vermutlich sind die unter Hochspannung und übermüdet, die Soldaten im Norden haben eventuell auch nicht immer einen vollen Magen. Da kann in den Dämmerstunden manches falsch eingeschätzt werden - eine Bewegung, ein Geräusch. Die Gefahr ist gegeben. Wenn geschossen wird, ist die Frage, wie geantwortet wird. Der Süden hat ja angekündigt, massiv zurückschlagen zu wollen.

Könnte es bei einzelnen Gefechten im innerkoreanischen Grenzgebiet bleiben oder droht ein geopolitischer Flächenbrand?

Pfennig: An einigen Stellen der Grenze vielleicht. Aber spätestens dann werden die USA und China hoffentlich aktiv werden und ihre jeweiligen Partner zurückpfeifen. Ich will nicht ausschließen, dass es für solche Szenarien schon Gespräche gegeben hat zwischen Peking und Washington.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann

Pressekontakt:

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Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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