Landeszeitung Lüneburg: Es wird eng für den Aal
Stella Nemecky (WWF): Wende der EU zu schonender Fischbewirtschaftung könnte für manche Arten zu spät kommen
Lüneburg (ots)
Lob von Fischern wie von Umweltschützern kassierte die EU jüngst für die Fischfangquoten 2014. Laut EU würden bereits mehr als 60 Prozent der Fischbestände in der Nordsee nachhaltig bewirtschaftet. "Ein guter Trend nach den rabenschwarzen Jahren der Vergangenheit", sagt Stella Nemecky vom WWF. Doch es sei zu früh, um Entwarnung zu geben, betont sie im Interview.
Die Fischbewirtschaftung galt lange als Paradebeispiel für Misswirtschaft. Nun wurde die EU sogar von Umweltschützern gelobt. Ist die EU auf dem Weg zu einer schonenden Bewirtschaftung der Fischbestände?
Stella Nemecky: Das ist sie durchaus. Allerdings muss man für eine endgültige Bewertung noch abwarten. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass die Reform der Fischereipolitik eine deutliche Verbesserung darstellt. Diese erste Quotenvergabe nach der Reform im Dezember hat gezeigt, dass es Bestrebungen im Fischereiministerrat gibt, die Fischbestände nachhaltig zu bewirtschaften. Zuvor war es über Jahrzehnte so, dass teuer bezahlter wissenschaftlicher Rat kurzerhand über Bord geworfen wurde, indem willkürlich hohe Fangquoten beschlossen wurden. Als Richtgröße für gesunde, produktive Fischbestände gilt der sogenannte höchstmögliche Dauerertrag. Also die Menge Fisch, die ein Fischbestand unbegrenzt liefern kann, ohne dass der Bestand gefährdet wird. Der wurde nun als Management-Prinzip verankert. Leider wurde keine Frist benannt, bis wann die europäischen Bestände die sichere Bestandsgröße erreicht haben sollen. Andere Vorhaben wie die Verabschiedung von Mehrjahresplänen und eines Rückwurfverbotes sind zwar begrüßenswert, aber beurteilen muss man letztlich, wie gut sie umgesetzt werden.
Hören die Politiker heute eher auf die Empfehlungen der Wissenschaftler?
Nemecky: Ja. Die jüngste Fangquotenvergabe hat es gezeigt. Überwiegend folgt sie dem Rat der Forscher, leider nicht überall. Ein besonders schlechtes Beispiel für anhaltende Ignoranz der Politiker sind die Fangmengen, die für Seezunge in der Irischen See beschlossen wurden. Dieser Bestand ist bereits stark überfischt und droht zu kollabieren. Die Wissenschaftler empfahlen eine Schließung der Fischerei. Dennoch darf er auch weiterhin befischt werden.
Fast ein Drittel der weltweiten Fischbestände ist überfischt, weitere 57% sind bis an ihre Grenzen genutzt. Seit 1950 hat sich die Menge des angelandeten Fischs verfünffacht. Kommt die Einsicht zu spät?
Nemecky: Das wollen wir nicht hoffen. Die Einsicht kommt in der Tat sehr spät, so dass es für manche Fischbestände wie die des Europäischen Aals sehr eng werden wird. Auch beim Blauflossen-Thunfisch und dem Nordsee-Kabeljau gibt es zwar erste Erholungstendenzen, doch die Bestände sind nach wie vor gefährdet.
Der Rückwurf des Beifangs soll erst später verboten werden - zu spät?
Nemecky: Das Rückwurfverbot ist insgesamt sehr schwierig zu bewerten. Das liegt unter anderem daran, dass es erst im Rahmen sogenannter Mehrjahrespläne umgesetzt werden soll. Sie legen für mehrere Jahre fest, wie die Fischerei gemanagt wird. Doch diese stecken derzeit im europäischen Räderwerk fest, Kommission und Rat können sich noch nicht einigen. Wie das Rückwurfverbot jeweils regional und bezogen auf die Art der Fischerei umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Manche Fischereien können das Rückwurfverbot relativ schmerzfrei umsetzen, etwa die pelagischen Fischereien, die über dem Meeresboden im Freiwasser z.B. Hering fischen. Diese werden das Rückwurfverbot schon 2015 umsetzen. Bei der gemischten Fischerei in der Nordsee wird die Umsetzung des Rückwurfverbotes dagegen deutlich schwieriger werden. Zudem besteht die Gefahr, dass allzuviele Ausnahmen das Ziel verwässern.
Wäre es sinnvoll, Beifang auch zu verkaufen oder auf die Quote des eigentlichen Zielfischs anzurechnen?
Nemecky: Die Möglichkeit, den Beifang anders als bisher verkaufen zu können, ist sehr zwiespältig. Es darf kein Anreiz geschaffen werden für den Fang anderer Arten, denn das würde einen entsprechenden Markt erst schaffen. Es muss das Ziel bleiben, den Beifang bereits auf See zu vermeiden. Dennoch soll bereits gefangener und toter Fisch genutzt und nicht verschwendet werden. Der Fischer sollte eine finanzielle Entschädigung erhalten, sonst hat er keinen Anreiz, Fisch auch anzulanden, der nur Lagerraum belegt. Mit der neuen Regelung darf man neun Prozent der Zielfisch-Quote auf Fänge anrechnen, die der Fischer über oder ohne Quote gefangen hat. Hier sind die Wissenschaftler, die die EU beraten, der Auffassung, dass dies zur Überfischung seltener Arten beitragen kann. Zudem wird die Übertragung von Quoten den Wissenschaftlern die Bestandsschätzung erheblich erschweren. Der Beifang von seltenen Arten, für die es keine Quote gibt, kann mit dieser Regelung quasi "legalisiert" werden. Der Fischer kann gezielt auf Arten gehen, für die er keine Quote besitzt. Er tauscht einfach die Quote für "billigen" Kabeljau gegen das Recht, kostbaren Beifang wie Glatt- oder Steinbutt zu vermarkten.
Wie soll kontrolliert werden, dass kein Beifang zurückgekippt wird? Kameras oder Kontrolleure - was ist effektiv?
Nemecky: Beides, mehr Kontrolleure und der Einsatz von Kameras an Bord wären begrüßenswert. Angesichts der Weite des Meeres kann man aber nicht sicher kontrollieren, das ist das Hauptproblem des Rückwurfverbotes. Deshalb reicht die Verhängung eines solchen Verbotes alleine nicht aus. Es bedarf eines Bündels weiterer Maßnahmen, etwa zeitweilige, gebietsbezogene oder saisonale Schließungen und Netze, die die Fische besser selektieren. Es braucht innerhalb des Subventionssystems jedoch entsprechende Anreize, damit Fischer diese auch einsetzen, etwa. Problematisch ist auch, dass das Anlandegebot nicht für alle Arten gilt. Der Fischer darf auch weiterhin Fisch über Bord werfen. Etwa in Form von fischereispezifischen Rückwurfpauschalen, die bis zu 5% betragen können. Ebenso dürfen Arten, die keine Fangmengenbegrenzung haben; deren Fang verboten ist sowie lebende Exemplare von Arten mit wissenschaftlich erwiesener hoher Überlebensrate weiter über Bord geworfen werden. Zieht ein Schiff einen Schwarm Vögel hinter sich her, ist das für den Kontrolleur das sichere Zeichen, hier wird Fisch zurückgeworfen. Ziehen aber alle Schiffe diese Schwärme von Vögeln hinter sich her, weil es diese Ausnahmen gibt, kann kein Kontrolleur aus der Distanz effektiv arbeiten. Er muss an Bord gehen, um zu ermitteln, was über Bord geworfen wird. Auch hier gilt also: ob und wie gut dieses Anlandegebot ist, wird erst die Zukunft zeigen.
Legt die EU die Axt beherzt genug an die übergroßen Fangflotten etwa von Spanien und den Niederlanden?
Nemecky: Grundsätzlich nein, aber das ist ein vorläufiges Urteil. Denn die Verhandlungen zum finanziellen Förderrahmen sind noch nicht abgeschlossen. Gerade über den richtigen Einsatz von Subventionen kann aber sehr viel gesteuert werden. Derzeit ist die europäische Fangflotte noch doppelt so groß wie sie sein dürfte, um nachhaltigen Fischfang zu ermöglichen. Gleichwohl sollen Subventionen eingesetzt werden, um sie auszubauen. Hier hätte die Axt also eigentlich genug Schiffsraum zu versenken.
Australien und Neuseeland haben Meeresschutzgebiete eingerichtet - ein Vorbild für Europa?
Nemecky: Es sollte eines sein. Doch leider gibt es in dieser Hinsicht in Europa noch erheblichen Nachholbedarf. Meeresschutzgebiete in europäischen Gewässern existieren im Grunde nur auf dem Papier. Es gibt kaum Einschränkungen bei der Nutzung. Sand- und Kiesabbau oder die Fischerei sind in den meisten Fällen erlaubt. Von dieser traurigen Regel gibt es nur sehr wenige Ausnahmen, z.B. in der Küstenzone der Niederlande und Schwedens sowie im Seegebiet von Irland und Spanien. Dabei zeigt die Erholung der Fischbestände in streng regulierten Schutzgebieten, wie Neuseeland und Australien sie eingerichtet haben, dass es sinnvoll wäre, sich an diesen Ländern ein Beispiel zu nehmen.
Haben Fangmoratorien für extrem gefährdete Bestände Erfolge gebracht?
Nemecky: Fangmoratorien gab es in den Fischgründen Europas sehr sehr selten. In aller Regel behielten hier soziale und wirtschaftliche Interessen die Oberhand. Bei manchen Beständen wäre es sehr sinnvoll, etwa für den Europäischen Aal. Seit den 80er-Jahren ist ein gravierender Rückgang der Population zu beobachten - ein Fangmoratorium gab es aufgrund mangelnden politischen Willens trotzdem nicht. Mittlerweile ist der Aal vom Aussterben bedroht. Befischt werden darf er nach wie vor.
Schont die EU die eigenen, überfischten Bestände auf Kosten derjenigen vor Afrika?
Nemecky: Nein, weil weder die heimischen Bestände ernsthaft geschont wurden noch die vor den Küsten Westafrikas. Wir werden abwarten müssen, ob der Druck auf die afrikanischen Bestände wächst, wenn Europa tatsächlich eine ernsthaft schonende Bewirtschaftung seiner Fischbestände gelingt. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, daß die Fischerei der europäischen Flotte in afrikanischen Gewässern nun nach den gleichen Prinzipien der Nachhaltigkeit ausgeführt werden soll wie in heimischen Gewässern.
Realisiert die Politik die Gefährdung durch die Erwärmung und Versauerung der Meere?
Nemecky: Es gibt schon sehr viel Forschung zu diesen Auswirkungen, gerade in Deutschland wurde auch sehr viel Geld in entsprechende Wissenschaft gepumpt. Aber ernsthaften Niederschlag in der Politik haben diese Erkenntnisse noch nicht gefunden.
Das Interview führte Joachim Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de
Original content of: Landeszeitung Lüneburg, transmitted by news aktuell